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Zukunftsmärkte > Heimtiermarkt

Das große Fressen

Wer bei Heimtiermarkt nur an Vogelfutter und Hundehalsbänder denkt, liegt falsch. Es geht um Zukäufe und Fusionen in Milliardenhöhe.

Karl Siegert ist ein angesehener Mann in Neuss. Seit diesem Jahr Rentner, aber vorher führte er 33 Jahre einen kleinen Zoohandel in der Innenstadt. Generationen von Kindern haben hier ihren Hamster, die Teenies Kornnattern und Großeltern Wellensittiche gekauft. Bei geöffneter Ladentür zwitscherte es bis auf die schmale Straße. Ein Rat von Siegert, warum die Wüstenrennmaus gerade nicht fraß, ersparte oft den Gang zum Tierarzt. "Mit 13 Jahren habe ich angefangen, Tiere zu züchten, und bin so auf meinen Beruf gekommen. Alle Waren in meinem Laden habe ich zu Hause an meinen eigenen Tieren ausprobiert und alle Züchter kannte ich persönlich. Mir war wichtig zu wissen, wo die Tiere herkommen. Das sind ja lebende Wesen und keine Handelsware."

Aber auch, wo sie hingingen, nahm er trotz kleiner Margen genau: "Manchmal habe ich Kunden ein Tier auch nicht verkauft, wenn im Gespräch klar wurde, dass das doch gar nicht in deren Leben passt oder die Kinder noch zu klein dafür sind." Siegert drehte in Neuss liebevoll ein kleines Rad. Auch mal für Hamster. In München sitzt Cornelius Patt, der Vorstandsvorsitzende von Zooplus, und dreht ein ganz großes Rad. Der im SDax notierte Versandhändler für Haustierbedarf setzte 2020 rund 1,8 Milliarden Euro um. Jetzt sitzt Patt inmitten eines Übernahmekampfes. Bei dem werfen drei der großen, internationalen Beteiligungsgesellschaften mit Geld nur so um sich. Mitte September zog sich KKR aus New York, einst als Investment-Heuschrecke verschrien, aus den Verhandlungen zurück.

Zuvor hatte der kalifornische Finanzinvestor Hellman & Friedman sein Angebot erhöht. Er bot 460 Euro je Aktie und will Zooplus voraussichtlich von der Börse nehmen. Die Mindestannahmequote für das Gebot soll bei 50 Prozent plus einer Aktie liegen. Damit wäre Zooplus 3,3 Milliarden Euro wert. Die Annahmefrist endet am 12. Oktober. Noch bietet aber auch der Stockholmer Finanzinvestor EQT Partners mit. Die Großen fressen die Kleinen. In der Serengeti wie auf dem Heimtiermarkt. Viele Innenstadthändler haben wie Karl Siegert ihr Geschäft aufgegeben. Die Anzahl unabhängiger Fachgeschäfte in Deutschland schätzt der Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe auf rund 3300 – ohne Ketten wie Fressnapf, Futterhaus, Zoo&Co, aber mit jenen Baumärkten und Gartencentern, die ebenfalls Zoofachabteilungen haben.

Genauer lässt es sich nicht beziffern, weil einige Franchise-Systeme den kooperierenden oder übernommenen Betrieben zugestehen, ihre eigenen Markennamen zu führen. So halten es etwa Egesa oder TierTotal. Manche Unabhängigen über leben in einer Nische dieses Ökosystems. Sie gewinnen beim Survival of the Fittest, indem sie sich auf Aquaristik oder Terraristik konzentrieren. Andere fokussieren sich auf Shops nur für die zehn Millionen Hunde und 15 Millionen Katzen in Deutschland oder verkaufen ausschließlich Futter. Mancher ergänzt sein Ladengeschäft durch ein Online-Angebot. Und auch Apotheken, Tierärzte, Züchter, Heimtierpflegesalons, Ein-Euro-Shops, Tank stellen oder Tchibo verdienen gerne und gut mit.

Den größten Umsatz aber machen die Ketten: Fressnapf als stationärer Marktführer (Umsatz 2020: 2,6 Milliarden Euro), Zooplus im Internet. Ärgerlich ist für den Fachhandel die Hingabe, mit der die Deutschen Nass- und Trockenfutter, getrocknete Rinderohren oder Katzen-Leckerli bei Aldi, Lidl, Netto und Konsorten kaufen – wenn man schon mal da ist. Noch dazu gibt den preisbewussten Herrchen und Frauchen die Stiftung Warentest recht. Der diesjährige Futter-Test ergab: Aldi, Kaufland, Penny und Fressnapf stellten die Testsieger beim Hunde-Trockenfutter. Vielleicht ließen die Deutschen dafür deshalb 2,1 Milliarden Euro im vergangenen Jahr im Lebensmitteleinzelhandel, aber nur 1,3 Milliarden Euro im Fachhandel. Finanzinvestoren bringt das nicht um den Schlaf. Insgesamt wird der europäische Markt für Heimtierbedarf auf bis zu 60 Milliarden Euro jährlich geschätzt.

Was treibt diese Entwicklung? Nein, Corona ist es nicht. Auch wenn viele Menschen in der Pandemie ihr Herz für Tiere entdeckten. "Der Markt ist schon in den Jahren vor der Pandemie gewachsen und die Preisentwicklung geht seit Längerem hin zu Premiumangeboten", berichtet Antje Schreiber, Bereichsleiterin im Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe Deutschlands (ZZF). Auch die Fachfrau wundert sich: "Eigentlich gilt der Markt seit Jahren als gesättigt, aber es kommen immer wieder neue Produkte auf den Markt." Andere Faktoren als Corona sorgen dafür, dass bei den Tier freunden das Geld lockerer sitzt als früher.

Nachhaltigkeit

Wenn Frauchen Wert auf gesunde Ernährung legt, soll auch ihr Vierbeiner nicht darben. Seit Jahren berichtet die Heimtierbranche über steigende Nachhaltigkeitswünsche sowohl an die Produkte wie auch an die Unternehmen selbst. Das mag den Herstellern zunächst neue Kosten bescheren, es rechnet sich aber schneller, als eine Katze auf der Zinne ist. So verzichten Futtermittelhersteller auf ohnehin umstrittene Zusatzstoffe. Sie reduzieren Verpackungsgewicht, berichten über optimierte Transportwege und werben mit Öko-Labels. Vegan liefern sie natürlich auch: Alternative Eiweißquellen wie Insekten- oder Pflanzenproteine sind gefragt. Schon 2018 ergab eine Umfrage auf der weltgrößten Zoo Fachmesse: 80 Prozent der Unternehmen erwarteten, dass Nachhaltigkeitsaspekte in den nächsten drei Jahren für die Unternehmen sehr wichtig oder äußerst wichtig sein werden. Deutschland sei dabei auf einem besseren Weg als andere Regionen. Die drei Jahre sind vorüber – und die Branche boomt noch mehr als erwartet.

Leidenschaft

Für Basti nur das Beste. Edel-Welpen als Statussymbol, handgearbeitete Hundegeschirre und Frauchens Gummistiefel fürs Gassigehen – auf matschigen Rheinwiesen bitte nur von Hunter. Düsseldorf-Oberkassel, nur eine Rheinbrücke vom pensionierten Zoohändler aus Neuss entfernt, ist kein Pflaster für Streuner. Hier wird geshoppt mit Stil. Ein Laden wirbt mit Interior aus alten, stilvollen Möbeln im Shabby-Look, angesagten Labels aus der ganzen Welt – ob USA, England, Australien – oder kleinen Manufakturen aus Deutschland, die authentische Produkte ohne Schnickschnack herstellen. Es geht nicht um Herbstmode oder Scandinavian Style für die Dachterrasse. Bei "Dogsmopolitan" sollen sich Vierbeiner wohlfühlen und Zweibeiner zahlen. Himmlische Hundebetten, coole Spielzeuge, Superfood – alles da. Stöbern, schnüffeln und lachen ist erwünscht. Und, da werden sich Sam/Paul/Frieda sicher freuen: "Bei uns findest du nichts, was es in großen Ketten gibt."

Bequemlichkeit

Egal für welches Tier, niemand muss sich mehr für Spezialfutter die Füße platt laufen, 15 Kilo schwere Beutel Trockenfutter oder sperrige Säcke mit Einstreu nach Hause schleppen. Online-Anbieter wie Zooplus, Zoostore, Amazon oder Zoo24 offerieren alles von A wie Adult-Spielzeug, garantiert unzerstörbar (bis der Terrier zuschnappt), bis zu Z wie Zeckenkarte. Damit kann ein Innenstadt-Zoohändler wegen der hohen Mieten dort schon aus Platzgründen niemals mithalten. Die Verbliebenen haben es auch immer schwerer, mit Beratung zu punkten.

Online-Futterverkäufer wie Vet-Concept offerieren – mit gutem Ruf – telefonische Beratung rund um Lebensmittelallergien und Co., montags bis freitags von 7.30 bis 22.00 Uhr, samstags bis 18 Uhr. Zudem haben die Online-Händler zwei weitere entscheidende Vorteile gegenüber Fachhändlern vor Ort: Sie müssen sich weder um steigende regulatorische Auflagen für den Verkauf lebender Tiere kümmern, noch brauchen sie Personal, dass Hamster, Wellensittiche und Co. auch außerhalb der Öffnungszeiten füttert und müffelnde Käfige reinigt.

All das klingt nach Business as usual, nur eben in der Tierbranche. Doch hier treiben Emotionen das Geschäft. Glaubenskrieger gibt es auch unter Tierbesitzern. Flexileine oder feste Lederleine? Barfen (ausschließlich rohes Futter) oder Trockenfutter? Globuli oder Antibiotika? Darüber können Hundebesitzer und -besitzerinnen stundenlang diskutieren, manche erbittert streiten. Bei Nagern, Katzen, Vögeln, Reptilien und Co. ist es nicht anders. Nicht immer geht’s ums Tierwohl, manchem wohl auch ums eigene Sendungsbewusstsein. Die gefürchtete Mütter-Olympiade, der Wettbewerb ums tollste Kind, den gibt es auch unter Hundebesitzern. Es gewinnt, wessen Welpe am schnellsten stubenrein ist, und endet noch nicht mit dem richtigen Mäntelchen für Herbstwetter.

Zooplus hat verstanden. "Für uns gibt es nichts Wichtigeres, als Ihnen und Ihrem geliebten Haustier den Wunsch nach Wohlbefinden zu erfüllen", säuselt der Konzern. Und Tierschützer bekommen Rabatt. Karl Siegert bleibt in Neuss ein in Ehren ergrauter, angesehener Bürger. Sein Rat, wenn sich der Papagei die Brustfedern rupft, bleibt auch als Privater gefragt. Christian Patt bleibt in München ein wohlhabender Mann. Bald noch mehr: Das Management um Patt hält noch fünf Prozent der Aktien mit einem Wert von rund 170 Millionen Euro (Mitte September). Möglicher weise ist sein Rat künftig eher bei M&A-Spezialisten und Start-ups als bei Tierfreunden gefragt.

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