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Einkauf, Marketing und Marken > E-Procurement

Der Einkauf wird zunehmend digitalisiert

Die Digitalisierung ist bei der Beschaffung auf dem Vormarsch. Viele mittelständische Unternehmen verlieren beim elektronischen Einkauf jedoch den Anschluss. Woran das liegt und wie es verhindert werden kann.

Ob Auto oder Zahnbürste – jedes industriell hergestellte Produkt ist letztlich immer nur die Summe seiner Einzelkomponenten und verarbeiteten Rohstoffe. Ein modernes Auto besteht heute – je nach Hersteller und Ausstattung – aus rund 10.000 Einzelteilen. Für eine Zahnbürste sind zwar weit weniger Komponenten notwendig, aber für die Herstellung kommt technisch hoch komplexes Mehrfach-Spritzgießwerkzeug zum Einsatz.Dass die Komponenten und Maschinen für die Fertigung eines Produkts zunächst beschafft werden müssen, war immer schon so.

Doch haben sich die Beschaffungswege und -möglichkeiten in den vergangenen zehn Jahren durch die Digitalisierung der Supply-Chain grundlegend verändert: Wo früher für den Einkauf eine ganze Abteilung notwendig war, genügen heute ein paar wenige Klicks. Genutzt werden können die neuen elektronischen Möglichkeiten beim indirekten Einkauf von produktionsrelevanten Teilen, den A- und B-Teilen, und von Komponenten mit geringem Wert, den C-Teilen. Experten rechnen damit, dass sich der Einkauf in Zukunft weit über das schon heute übliche E-Procurement hinaus zu einem voll integrierten Supply Chain-Management (SCM) entwickeln wird. Dabei wird die gesamte Wertschöpfungskette des Unternehmens – vom Einkauf über die Produktion bis hin zum Vertrieb – komplett elektronisch und ganz ohne Medienbruch ablaufen.

Fatal Digital

Unaufwendiger ist der Einkauf im digitalen Zeitalter deshalb aber nicht geworden – eher im Gegenteil. Die neuen Technologien und ihre Tools eröffnen eine Palette an neuen Strategien und Geschäftsmodellen. Aber nicht jedes Unternehmen behält angesichts der rasanten Veränderungen noch den Überblick.Hilfestellung leistet hier die Bundesvereinigung Logistik (BVL) mit einem Leitfaden, in dem die zehn wichtigsten Fragen rund um die digitale Transformation im Einkauf beantwortet werden. Dabei zeigt sich, dass die Digitalisierung des Einkaufs in unterschiedlichem Tempo abläuft: „Es bestand immer eine Lücke zwischen dem, was technisch möglich ist, und dem, was an digitalisierten Prozessen tatsächlich in Unternehmen zur Anwendung kam“, konstatiert die BVL-Broschüre, „nun aber, da die Geschwindigkeit der Veränderungen so stark zunimmt, besteht die Gefahr, dass diese Lücke im Mittelstand zu groß wird und damit Wettbewerbsnachteile entstehen.“

Die Praxis zeigt: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der digitalen Beschaffung besteht bei den Unternehmen in der Tat ein Unterschied. Das zeigt auch eine aktuelle Umfrage, die Onventis, ein Anbieter von Procurement-Lösungen, jüngst veröffentlicht hat: Danach halten 85 Prozent der befragten Unternehmen das digitale Lieferantenmanagement für wichtig bis sehr wichtig. Ein Fünftel der Unternehmen ist aber nicht bereit, dafür Geld auszugeben. „Wenn 99 Prozent der Beschaffer das Supplier-Networking für relativ wichtig erachten, jedoch 38 Prozent noch keine Budgets dafür einplanen, klafft da eine gewaltige Lücke“, konstatiert Frank Schmidt, der CEO der Stuttgarter Einkaufsexperten. Nach seiner Beobachtung hängt die Bereitschaft zur Digitalisierung in der Beschaffung von der Branche ab. „Die Automobilzulieferer sind hier schon recht gut aufgestellt, weil sie oft direkt an Konzerne und deren Vorgaben gekoppelt sind“, berichtet Schmidt.

Anders sehe es etwa bei Auftragsfertigern aus, die über keinen fixen Kundenstamm verfügten. Dabei sei die Automatisierung der Beschaffung, etwa über Einkaufsplattformen, für alle Beteiligten vorteilhaft, denn: „Elektronische Beschaffungsprozesse und SCM verschaffen dem Einkäufer Beinfreiheit, damit er strategisch besser agieren kann.“Wie weit sich Smart Purchasing in Unternehmen bereits durchgesetzt hat, erforscht die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK) zusammen mit dem Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME). Die jüngsten Zahlen (aus dem Jahr 2015) zeigen, dass erst ein gutes Drittel der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die Stufen seiner Wertschöpfungskette nahezu durchgängig digitalisiert hat. Vier von fünf der befragten Mittelständler stufen das Thema jedoch als relevant ein.

Große nach vorne

Kleiner ist die digitale Lücke bei großen Unternehmen. „Für rund 91 Prozent der von uns befragten Konzerne ist der elektronische Datenaustausch in der Supply-Chain ein wichtiges Thema. Und mehr als Hälfte aller großen Unternehmen wickelt den Einkauf und die Weiterverarbeitung schon durchgehend elektronisch ab“, sagt HTWK-Studienleiter Holger Müller. Eine aktuelle Studie von Mercateo, einem Anbieter von Lösungen für den elektronischen Einkauf, spricht davon, dass drei Viertel der Großen zur Beschaffung des Nicht-Produktionsbedarfs ihre Prozesse integriert haben.

Wissenschaftler Müller überrascht dieser Vorsprung nicht: „Große Unternehmen haben mehr Ressourcen, wenn es darum geht, Schnittstellen in die Fachabteilungen zu schaffen oder die Kosten für eine neue IT-Infrastruktur zu stemmen. Deshalb können sie die digitale Transformation schneller umsetzen.“ Wo diese Ressourcen fehlten oder nicht gebündelt seien, entstehe Nachholbedarf, so Müller.Woran aber liegt es, dass laut der HTWK-Studie immerhin jedes fünfte mittelständische Unternehmen das Thema Digitalisierung, E-Procurement und SCM für nicht relevant hält?

Eine Antwort gibt die Ökonomie: Nicht für jedes Unternehmen lohnt sich E-Procurement. Im Durchschnitt kommt ein Mittelständler auf rund 1.200 Bestellungen pro Jahr, das entspricht vier bis fünf pro Tag. „Soll in ein eigenes System investiert werden, lohnt sich die Digitalisierung der Einkaufsprozesse zumeist erst ab mehreren Tausend Bestellungen im Jahr oder bei deutlich mehr als 50 Lieferanten. Für alle Einkaufsprozesse stehen aber mittlerweile funktionell abgespeckte, preiswerte Cloud-Lösungen zur Verfügung“, sagt Müller.

Kostenersparnis: Gegenüber eine manuellen Beschaffung spart der digitale Prozess Geld (in Euro)

Quelle: Mercateo, HTWK Leipzig

Nicht nur freiwillig

Dafür, dass der Transformationsprozess, vor allem bei kleinen Mittelständlern, oft noch schleichend verläuft, ist aber auch eine Reihe von strukturellen Faktoren verantwortlich. Selbst wenn sie dazu bereit wären, ihre Beschaffungsprozess über digitale Plattformen laufen zu lassen, beziehen sie ihre Komponenten oft von Lieferanten, die oft noch kleiner sind als sie selbst. „Dort fehlt es an den technischen Voraussetzungen für die Einführung von E-Procurement. Um diese zu schaffen, müssten die KMU in Vorkasse gehen. Aber das können – und wollen – sie nicht leisten“, erklärt der Experte.

Eine wirkliche Wahl haben etliche Mittelständler freilich nicht, wie das Beispiel der Highclean Group zeigt. Wenn der Anbieter von Reinigungs- und Hygieneprodukten als Lieferant bei einem großen Abnehmer geführt werden will, muss er die Schnittstellen zu dessen Warenwirtschaft programmieren lassen – auf eigene Kosten. Das kann schon mal mit bis zu 10.000 Euro zu Buche schlagen, ist aber alternativlos, denn: „Ohne elektronische Beschaffung geht in unserem Geschäft gar nichts mehr“, sagt der Vorstandsvorsitzende von Highclean, Markus Karlisch. Zu der Firmengruppe mit insgesamt 600 Mitarbeitern gehören 21 Firmen. Jedes Unternehmen verfügt über Expertenwissen und Kompetenzen in seinem spezifischen Bereich. Pro Abnehmer müssen etwa 200 Artikel intern zusammengeführt werden. Den Kunden gegenüber präsentiert sich der Lieferant als Anbieter aus einer Hand. Das ist nur durch die enge, IT-gestützte Zusammenarbeit über das hauseigene Portal Order-Manager möglich.

In kleinen Schritten

Dass die Digitalisierung des Einkaufs bei vielen kleineren Unternehmen noch nicht angekommen sind, liegt auch an einer gewissen prozessualen Trägheit und Überlastung: So konkurriert der Einkauf oft mit anderen Herausforderungen des operativen Tagesgeschäfts – nicht selten schultert der Geschäftsführer oder Inhaber dieses Paket allein. Häufig treten auch alteingesessene Mitarbeiter auf die Bremse, wenn es darum geht, neue Prozesse und Geschäftsmodelle einzuführen. „Manchmal sehen ältere Mitarbeiter ihr Lebenswerk in Frage gestellt oder wollen keine Entscheidungskompetenz abgeben“, berichtet Einkaufsforscher Müller aus Leipzig.

Eine zumindest teilweise Umsetzung der digitalen Technologien sei aber sinnvoll und nötig, um den Prozess von der Bestellung bis zur Abwicklung mit Purchase-to-Pay medienbruchfrei zu organisieren, betont er und zieht einen drastischen Vergleich: „Wenn ich eine hochautomatisierte Produktion habe und dazwischen steht eine Schubkarre, dann verpuffen die Potentiale.“ Für eine digitale Integration empfiehlt er den KMU, kleine, logische Schritte zu gehen und ein klares Ziel vor Augen zu haben.Ähnliches rät auch der Leitfaden der Bundesvereinigung Logistik: „Wer von Anfang an nach der vollumfänglichen großen Lösung strebt, läuft Gefahr, nie fertig zu werden“, heißt es darin.

Eine pauschale Antwort, in welchen Bereichen des Einkaufs die Digitalisierung beginnen sollte, gibt es freilich nicht. „Für kleine und mittlere Unternehmen bieten elektronische Kataloge bereits eine gute Lösung für einen vereinfachten, einheitlichen Bestellprozess und die Bedarfsbündelung“, bestätigt Matthias Hedergott, Partner bei der Unternehmensberatung Kerkhoff Consulting. Diese Kataloge sorgen dafür, dass Einkäufer nicht für indirekte Bedarfe und C-Artikel selbst mit Lieferanten verhandeln müssen. Allerdings profitieren sie von den verbesserten Lieferservices. So lassen sich die digitalisierten Schritte vereinfachen. Sie können durch internetbasierte Lösungen mit geringem Aufwand direkt angebunden werden.

Kostensenkung nicht das Wichtigste

Größere Mittelständler gehen den Schritt im Sinne einer umfassenden Digitalisierung auch weiter. Das kann in Teilschritten bis hin zu einer vollständigen Prozessautomation oder Übernahme der Einkaufsfunktion führen. Je mehr eine Warengruppe sich standardisieren lässt und je mehr Referenzartikel sich herausbilden, desto höher ist der Automatisierungsgrad für sensiblere Bedarfe. Die Arbeitsschritte orientieren sich an internetbasierten Preisindizes an. Sie automatisieren die Einkaufsfunktion bei marktgerechten und tagesaktuell verfügbaren Bestpreisen. „Damit lassen sich transparente und Compliance-gerechte Prozesse bei Auftraggeber und Lieferant erzielen“, sagt der Digitalisierungsexperte.

Einen weiteren Trend im Bereich der Beschaffung beobachtet Marcus Schüller, Leiter Operations Consulting bei KPMG: Seit etwa vier Jahren bewegten sich mittelständische Unternehmen vom kostengetriebenen Einkauf weg. „Jetzt werden Lücken im System geschlossen. Es geht darum, einen durchgängigen Prozess zu erreichen und damit mehr zu erreichen, als nur Kosten zu senken.“ Das zeige sich besonders beim Einkauf von Materialien oder Leistungen, die nicht für die Herstellung oder das Produkt benötigt werden – etwa bei Reisemanagement, der Bestellung von Büromaterial oder der IT-Ausstattung.

 

Mehr Artikel zum Thema Digitalisierung finden Sie auf unserer Themenseite.

Über ein Bestell- und Katalogsystem – integriert in ein Webportal, das Mitarbeiter des Unternehmens und Lieferanten nutzen – kann direkt ausgewählt und eingekauft werden. Eingang in den Katalog finden nur Angebote, für die vom Einkauf zuvor Rabatte ausgehandelt wurden und die firmenspezifische Konditionen enthalten.

Analyse notwendig

Bevor sich Unternehmen an die Digitalisierung ihrer Beschaffung machten, sollten sie ihre Prozesse genau analysieren und ihre Bedarfe individuell festlegen, rät Holger Müller von der HTWK: „Die Frage ist, wo die Schmerzpunkte sind? Ist die Zahl der kleinteiligen Bestellungen hoch, ist ein Katalogmanagement sinnvoll. Fehlt der Überblick bei den Lieferanten, ist ein Lieferantenmanagement empfehlenswert. Und ist ein Unternehmen häufig von Lieferausfällen oder Engpässen betroffen, braucht es ein Risikomanagement.“

Freilich ist nicht jedes Unternehmen so rational durchorganisierbar. Rudi Frank etwa, Einkaufs- und Produktionsleiter beim Blockflötenhersteller Mollenhauer, setzt andere Prioritäten: „Wir benötigen spezielle Tonhölzer und Verpackungen. Da steht die Qualität im Vordergrund. Dafür sind wir bereit, einen angemessenen Preis zu zahlen.“ Die Verhandlungen mit seinen Lieferanten bezeichnet Frank als „sehr persönlich“ und auf nachhaltige Geschäftsbeziehungen ausgelegt. Es gehe nicht darum, den letzten Cent herauszupressen, betont er. Viel wichtiger sei es, eine stabile Beziehung zwischen den Geschäftspartnern aufrechtzuerhalten.

Frage nach der Wertschöpfung

Vor allem Fachhändler und Handwerker aus der Region werden bevorzugt, selbst wenn deren Angebote nicht unbedingt die billigsten sind. „Der niedrigste Preis ist für uns nicht die Hauptsache“, sagt Frank. Anders läuft es bei dem 1822 gegründeten Traditionsunternehmen, wenn es um die Beschaffung von C-Artikeln geht. Hier nutzt Frank auch schon einmal ein Internetportal für Bürofachhandel oder bedient sich elektronischer Kataloge wie Mercateo.

Peter F. Schmid, Geschäftsführer von „Wer liefert was“, sieht E-Procurement ganz nüchtern. Er rät, dort anzusetzen, wo die größten Einsparpotentiale bestehen: „Diese liegen am Anfang und am Ende der Supply-Chain, also beim Einkauf und Vertrieb.“ Das Einsparpotential im Einkauf berechnet die Mercateo-Studie auf 40 Prozent – bei 7.000 Bestellungen pro Jahr als Basis. Die Münchner Procurement-Spezialisten haben die Stationen einer Bestellung auf Kosten sowie den Zeitaufwand überprüft. Das Ergebnis: Ein manueller Prozess führt zu Prozesskosten in Höhe von 115 Euro pro Bestellung (siehe Grafik). Bei einem digitalen Ablauf sinken sie auf 68 Euro. Doch diese Einsparungen haben „keine wertschöpfende Wirkung“, betont Wissenschaftler Müller. Die Zeitersparnis – rund eine Stunde pro Einkaufsprozess – werde im operativen Geschäft sofort von anderen Tätigkeiten aufgesaugt.


Der Text gehört zu einem Thema aus der Markt-und-Mittelstand-Ausgabe 5/2017. Hier können Sie das Heft bestellen und „Markt und Mittelstand“ abonnieren.

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