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Der große Energiebetrug? Billigversorger können nicht liefern, aber pleite gehen sie nicht

Hunderttausende Strom- und Gaskunden standen über Nacht ohne Anbieter da.Ihre Discountversorger haben die Lieferung einfach eingestellt. Doch pleite sind die abtrünnigen Unternehmen nicht. In der Branche wird vermutet, dass sie ihre Energiekontingente jetzt zu Höchstpreisen an der Börse verhökern. Zahlreiche Indizien sprechen dafür.

Strom & Gaszähler
Discountversorger verscherbeln ihren Strom an der Energiebörse und freuen sich, über die hohen Energiepreise, die sie da erzielen.

Wenige Tage vor Weihnachten war es für viele deutsche Strom- und Gaskunden vorbei mit der Besinnlichkeit: "Aufgrund der historisch einmaligen Preisentwicklung sahen wir uns zu unserem ausdrücklichen Bedauern gezwungen, alle Lieferverträge mit Ablauf des 21.12.2021 zu beenden.“ Mit diesen Krokodilstränen ließen beispielsweise die Anbieter Stromio und Gas.de ihre Kunden im Regen stehen. Die Discounter – so der Eindruck - haben die sprunghaft angestiegenen Energiepreise nicht mehr kompensieren können und müssen jetzt die Grätsche machen.

 

Pleite sind diese Anbieter bis heute nicht

Das Erstaunliche ist aber: Pleite sind diese Anbieter bis heute nicht. Nur liefern wollen sie nicht. Wenn sie aber nicht ihre Kunden beliefern, was ist dann mit jenen Strom- und Gaskontingenten passiert, die die Billigheimer zur Verfügung hatten? Darüber gibt es eine Vermutung, über die in der Branche hartnäckig geredet wird. Und die geht so: Die Discounter verscherbeln ihren Strom an der Energiebörse und freuen sich, über die hohen Energiepreise, die sie da erzielen.  Das bringt viel mehr, als auf Euro und Cent achtende Privatkunden weiter zu versorgen.

 

Was ist dran an diesem Gerücht? "Eindeutig lässt sich ein Stromkontingent nicht auf einzelne Unternehmen zurückverfolgen, denn die Discounter haben oft den Handel an Dienstleister ausgelagert“, erklärt ein Marktbeobachter. Die Leipziger Strombörse schweigt auf die Frage, ob denn ungewöhnliche Angebote in jüngster Zeit zu beobachten waren: "Der börsliche Großhandel mit Strom erfolgt anonym, um eine Gleichbehandlung aller Handelsteilnehmer sicherzustellen. Aus diesem Grund kann sich die Börse nicht zum Handelsverhalten einzelner Unternehmen/Kundengruppen äußern.“ Allerdings dürfte den Profis durchaus auffallen, wenn plötzlich Strommengen angeboten werden, die man so nicht auf dem Zettel hatte. Denn der Markt ist relativ übersichtlich, wie mehrere Insider bestätigen. "Der Gedanke liegt nahe, dass diese Strommengen an der Börse verkauft werden“, urteilt ein Sprecher des Versorgers Eon. Sein Vorstandschef Leonhard Birnbaum wird wesentlich deutlicher. Er schwingt sich sogar zum Kronzeugen für die Vermutung auf: Es könne nicht sein, dass Anbieter Kunden abwerfen, um dann Stromverträge an der Börse zu Geld zu machen. "Da fragen wir uns, ob wir da de facto einem Insolvenzbetrug zum Opfer fallen“, sagte Birnbaum diese Woche auf einer Veranstaltung des Handelsblatts.

 

Vertragsverletzung oder Betrug?

Der Eon-Boss dürfte dabei beispielsweise an Stromio und Gas.de gedacht haben. Die zählen zum Firmengeflecht von Ömer Varol, zu dem auch der Anbieter Grünwelt gehört. Dieses Unternehmen hat im Dezember ebenfalls die Strom- und Gaslieferung eingestellt. Nach einem Bericht des Magazins "Der Spiegel“ haben Stromio und Gas.de zusammen allein 2019 bei einem Umsatz von 1,1 Milliarden Euro einen Betriebsgewinn von 111 Millionen Euro erwirtschaftet. Und das mit nur 36 Mitarbeitern. Auch in den Jahren zuvor habe das verschachtelte Firmenimperium des Unternehmers Varol prächtig verdient, so dass der Preisschub am Energiemarkt hat hier offenbar keine angeschlagenen Unternehmen getroffen.
Vor diesem Hinterghrund verfestigt sich der Eindruck, dass lieber den Kunden statt der eigenen Kasse den Stecker gezogen wurde. Wer bei Varol selbst nachfragt, erlebt folgendes: Statt eines Vorstands oder Sprechers meldet sich auf Anfrage eine Kölner Anwaltskanzlei zurück. Die bestätigt, dass Stromio, Gas.de und Grünwelt nicht insolvent sind, aber ihre ehemaligen Kunden nicht mehr beliefern wollen. "Der Gas- und Strompreis für Lieferungen in der Winterzeit hat sich auf den Beschaffungsmärkten in der Spitze um mehr als 400 Prozent im Vergleich zum Vorjahr erhöht. Vor diesem Hintergrund bitten unsere Mandanten ihre Kunden um Verständnis, dass in dieser historisch einmaligen Situation Verträge gekündigt werden mussten.“ Die Frage, ob die Mandanten den Strom zwischenzeitlich lukrativ an der Börse verscherbeln, beantworten die Anwälte so: "Unsere Mandanten haben Energiemengen kurz bis mittelfristig geordert, sodass sie unmittelbar von den jüngsten Preisexplosionen an den europäischen Energiehandelsplätzen betroffen waren.“

 

Also alles nur dumm gelaufen? So eine eigenartige Auslegung von unternehmerischem Risiko zu Lasten der Kunden wertet das Verbraucherschutzministerium als Vertragsbruch. "So eine Kündigung ist unzulässig. Das kann zu einem Schadensersatzanspruch führen, weil der Anbieter seine vertraglichen Pflichten nicht eingehalten hat“, stellt die Verbraucherzentrale NRW klar. Ob neben der Vertragsverletzung sogar Betrug im Spiel ist, wie Eon-Chef Birnbaum vermutet, bleibt offen. Die Aufsichtsbehörde gibt sich dazu zugeknöpft: "Fragestellungen, die Verdachtsmomente für Straftaten enthalten, werden von der Bundesnetzagentur an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden abgegeben.“  Was übersetzt wohl heißt: Auch den Aufsehern ist etwas zu Ohren gekommen und sie beschäftigen sich sehr wohl mit der strafrechtlichen Bewertung des Sachverhalts.

 

Grundversorgung

Insgesamt haben bundesweit knapp 40 Unternehmen angekündigt, nicht mehr zu liefern. Deren Kunden müssen nun von den sogenannten Grundversorgern aufgenommen werden. Allein Eon spricht von einer "kleinen sechsstelligen Kundenzahl“, die der Konzern auffangen musste. Bei der Energie Baden-Württemberg (EnBW) landeten in kurzer Zeit Haushalte "im mittleren fünfstelligen Bereich“. Das Phänomen hat sogar eine europäische Dimension: "Wir haben in Großbritannien, Deutschland und Tschechien mehrere Hunderttausend Kunden übernommen“, so Eon-Chef Birnbaum. Die englischen Kunden hat sein Konzern zum Teil von Brilliant Energy Supply "geerbt“- ebenfalls ein Ableger aus Varols Firmengruppe. In diesem Fall wurden 17.000 Kunden im Stich gelassen. Sowohl die britischen Steuerbehörden als auch der Regulierer Gas and Electricity Markets Authority ermittelten nun gegen Brilliant, die im Unterschied zu den deutschen Billigheimern inzwischen Insolvenz angemeldet hat.

 

Bei den großen Versorgern bekommen die gestrandeten Kunden im Rahmen der gesetzlich gesicherten "Ersatzversorgung“ Strom zum Grundtarif angeboten. Der bewegt sich die 30 Cent je Kilowattstunde. Das ist allerdings nicht überall so. Einige Stadtwerke kassieren kräftig ab. So verlangen die Stadtwerke Pforzheim von 1500 Verbrauchern sogar 1,07 Euro je Kilowattstunde.  Der Versorger argumentiert, im Dezember habe man zusätzlichen Strom besonders teuer an der Strombörse zukaufen müssen. "Da müssen wir auch unsere Bestandskunden schützen“, argumentiert eine Sprecherin im SWR. Die Verbraucherzentrale in Stuttgart läßt das nicht gelten. Der Gesetzgeber habe die Ersatzversorgung für alle Bürger vorgesehen. Da können man keine Sondertarife einführen. Inzwischen prüft das Landeskartellamt Baden-Württemberg die Pforzheimer Preisvorstellungen. In Düsseldorf hat die Verbraucherzentrale die Versorger Rheinenergie, Stadtwerke Gütersloh sowie die WSW Energie & Wasser abgemahnt. Die Wuppertaler WSW hat den unfreiwilligen "Neukunden“ 82,97 Cent je Kilowattstunde in Rechnung gestellt. Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung nennt das die Verbraucherzentrale in Düsseldorf. Sie fordert die Stadtwerke auf, die Tarife zu ändern. Andernfalls müsste man über eine Klage nachdenken.
Soziales System für die eigene Tasche genutzt.

 

Grundversorger und die Verbraucherschützer sind sich einig wie nur selten. Es könne nicht sein, dass der liberalisierte Markt nur dann gelte, wenn man den Strom günstig beschaffen und attraktiv verkaufen kann, ist von beiden Seiten zu hören. Wenn die Zeiten schwierig werden überlässt man die Kunden dann den Grundversorgern. "So sichert man sich Gewinne und kehrt zurück, wenn die Zeiten wieder besser sind“, schimpft Verbraucherschützer Matthias Bauer in Stuttgart. "Wer so ein soziales Schutzsystem ausnutzt, hat auf dem Markt nichts zu suchen!“ Die Bundesnetzagentur antwortet auch zu dieser Frage sehr defensiv: "Die Bundesnetzagentur prüft fortlaufend, ob energierechtliche Verpflichtungen durch Lieferanten eingehalten werden. Sie steht dafür mit betroffenen Kunden, den jeweiligen Energielieferanten und Verbraucherverbänden im Austausch.“

 

Klarere Regulierung in Zukunft

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat indes eine klarere Regulierung von Energiediscountern angekündigt. "Die hohen Energiekosten sind eine echte soziale Härte", sagt der Grüne Spitzenpolitiker. Die Spekulation auf ewig günstige Preise an der Strombörse sei kein belastbares Geschäftsmodell. "Wir müssen verhindern, dass die Leute, die 50 oder 100 Euro sparen wollen, am Ende die Geprellten sind", so Habeck. Dass sich die Menschen jetzt im teureren Grundversorgungstarif wiederfinden, könne nicht ohne Konsequenzen bleiben. Man müsse schauen, wie der sehr stark liberalisierte Strom- und Gasmarkt in Zukunft aufgestellt werde. Eon-Chef Birnbaum fordert hier klare Verhältnisse auf dem Energiemarkt: "Wir hatten eine Reihe von Marktteilnehmern, die es nie hätte geben dürfen.“   

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