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Zukunftsmärkte > Cloud-Computing

Der Mittelstand in Wolke sieben

Künstliche Intelligenz ist durch Programme wie ChatGPT plötzlich bekannt. Ohne die Cloud im Hintergrund wird bald kein Mittelständler mehr auskommen.

Ausruhen auf Wolke sieben: Wo Engel entspannen, sehen IT-Spezialisten und Industrie die Zukunft – in der Cloud.Bildquelle: © izzzy71/Shutterstock.com

Die Cloud? Christian Steiger, Geschäftsführer von Lexware und Gründer von Lexoffice, ist mehr als optimistisch. Im Grunde ist für ihn die Technologie sein eigenes Raumschiff Enterprise: Es soll den Mittelständler aus dem Haufe Verlag in neue digitale Galaxien katapultieren: „Wir wollen die digitalen Berater unserer Kunden werden“, formuliert er. Die Cloud also, die große Wolke: zentrale Software, zentrale Daten und Programme, die die Daten auswerten können, von einem Anbieter gemietet, der auch die Speicherkapazität und Rechenleistung liefert. Selbst entwickeln oder vorhalten muss man nichts mehr.

Für Haufe bedeutet das: Was einmal mit Loseblattsammlungen begann, soll dank künstlicher Intelligenz, Chatbots und digital gestützter Entscheidungsfindung zentraler Anlaufpunkt der Kunden in der Cloud werden. Es sollen digitale Produkte entwickelt werden, die ohne Cloud gar nicht möglich oder schlicht für einen Mittelständler unbezahlbar wären. Leisten konnten sich solche Projekte früher nur Großunternehmen, deren IT-Budget so groß war wie der gesamte Umsatz eines Mittelständlers. Doch mit der Cloud hat sich das Spielfeld grundlegend geändert, und der raketenhafte Aufstieg der sogenannten generativen AI, der künstlicher Intelligenz, die in Echtzeit neue Inhalte erzeugt, wird die Bedeutung der Cloud noch vergrößern. Denn in der Cloud liegen die Daten, die dafür gebraucht werden.

Jetzt sitzt Steiger an einem Novembermorgen 2022 gemeinsam mit Andreas Plaul, dem CIO der Haufe-Gruppe, bei einem Pappbecher voll Kaffee in einem schmucklosen Konferenzraum im Venetian Hotel in Las Vegas. Die nicht justierbare Klimaanlage ist auf Antarktis eingestellt. Man trägt warme Jacke im Konferenzzentrum und T-Shirt draußen in der Sonne. Es ist AWS re:invent, die Fachkonferenz der Amazon-Tochter AWS. IT- und Business­profis pilgern jedes Jahr nach Las Vegas und beraten über die Entwicklung der Cloud-Technologien, Branchentrends, Produkte, Chancen, Schwierigkeiten. Mehr als 60.000 Besucher zählt die Messe, die 2012 mit einer Handvoll Enthusiasten in einem einzigen Konferenzraum begonnen hat und zum größten Branchentreff der jungen Cloud-Industrie herangewachsen ist.

Vor allem Start-up-Unternehmen waren früh begeisterte Kunden der Cloud-Anbieter. IT-Leistung wie die ganz großen – aber nur kleine monatliche Mietzahlungen, das schont knappe Kassen. Dann wurden etablierte Unternehmen aufmerksam: „Um 2015 war uns klar geworden, dass wir alles in der Cloud für unsere neuen Kunden aufbauen müssen und irgendwann den Rest der Kunden nachholen“, sagt Steiger von Lexware. Seine Erfahrung: „Alles auf einmal, das geht nicht. Unsere alten Produkte laufen weiter – und wer will, kann umsteigen. Neue Kunden gehen direkt in die Cloud.“ Die Buchhaltung Lexoffice, eines der Kernprodukte bei Haufe, ist jetzt seit fast zehn Jahren in der Cloud, so CIO Plaul, und hatte allein 75.000 Neukunden in 2022. Mehr als 50.000 Steuerberater nutzen Lexoffice, viele davon noch auf eigener Hardware. Das sei kein Problem.

Die Geschwindigkeit des Wandels ist dabei atemberaubend. „2008 gab es drei AWS-Produkte“, erinnert sich Haufe-Manager Plaul. „Heute braucht man einen Berater, um sich im Angebot zurechtzufinden.“ Die Anzahl der Komponenten im Baukastensystem AWS geht in die Hunderte. Am Anfang war Cloud-Computing nur eine Möglichkeit, IT-Abteilungen effektiver zu machen. Werner Vogels, CTO und Vizepräsident bei Amazon, erinnert sich noch an den Aufbruch. Der Plan war, die gewaltigen IT-Kapazitäten des Webhändlers Amazons besser zu nutzen. Er ging mit dieser Idee zu Jeff Bezos, damals Konzernchef, der zustimmte. Amazon schrieb rote Zahlen, und alles, was die Lage verbessern konnte, war einen Versuch wert. So entstand Amazon „S3“, was schlicht „Simple Storage Service“ hieß. Eine digitale Umgebung, um Daten im Internet zu speichern und zu verwalten. Unternehmen sollten Amazon-Hardware per Internet nutzen und dafür bezahlen. Mehr war nicht geplant.

Aber warum nur die Speicher nutzen? Amazon begann Teile seiner Rechnerkapazitäten zu vermieten, und es kamen immer mehr Anwendungen, Apps oder Services, dazu. Heute ist die Cloud-Industrie der am schnellsten wachsende Bereich der weltweiten IT-Branche. AWS ist Marktführer, Microsoft die Nummer zwei, und Wettbewerber wie Google, IBM oder Oracle versuchen, mit Milliardeninvestitionen aufzuholen.

So wie Wasser aus der Leitung kommt, kommt die IT dabei aus dem Netzwerkanschluss. Da gibt es „PaaS“, „Platform as a Service“, Betriebssysteme, Rechenleistung und Speicher nach Wunsch. Dann vielleicht „SaaS“ zubuchen, „Software as a Service“, statt Einzellizenzen von Microsoft, Oracle oder SAP. Vorteile: Investitionen lassen sich sparen, die Unterhaltskosten sind geringer. Wartung, Updates und Betrieb der Infrastruktur leistet der Cloud-Betreiber. Im Gegenzug zahlen die Kunden für die Nutzungszeit, abgerechnet nach Minuten oder Sekunden.

„Die Cloud ist angekommen“, sagt denn auch Constantin Gonzalez von AWS DACH (Deutschland/Österreich/Schweiz). Seit 2019 sehe man „starkes Wachstum“ auch im Mittelstand. Unternehmen mit Cloud zeigten im Schnitt 13,8 Prozent Umsatzwachstum durch neue Produkte oder Dienstleistungen, ergab eine Amazon-Analyse. Bei untersuchten Unternehmen ohne Cloud belief sich das Wachstum auf unter acht Prozent.
Tobias Haungs, IT-Verantwortlicher bei Kamax, spricht generell erst einmal von „Schnelligkeit in jeder Hinsicht“ als Grund für den Cloud-Einsatz. Mit 4000 Mitarbeitern weltweit verkauft und entwickelt das Unternehmen hochfeste Verbindungs- und Formteile für die Mobilitätsindustrie. Pro Jahr kommen rund 300 neue Produkte dazu. Der Jahresumsatz liegt bei 800 Millionen Euro.

„Die Komplexität der IT nimmt weiter zu, und immer mehr Aufwand wird in Betrieb und Wartung gesteckt“, beschreibt er die Ausgangslage. Die Cloud nehme der IT-Abteilung jetzt „die Arbeit ab, die keinen direkten Mehrwert bringt“. Dinge wie Serververfügbarkeit, Auslastung, Virenabwehr oder Back-ups sind Hintergrundaufgaben, die auf den Cloud-Betreiber übertragen werden.

Die frei werdenden Kapazitäten bei Personal und Finanzen beschleunigen direkt die digitale Transformation. Es gibt sogar einen eigenen „digitalen Inkubator“ im Unternehmen, quasi ein digitales Start-up. „Das soll auch ein klares Signal nach innen senden, dass wir strategisch in die Digitalisierung investieren“, sagt Haungs. Ein Beispiel sei die Inhouse-Entwicklung von Apps, wo SAP oder Microsoft SharePoint an ihre Grenzen stießen.

Ein Beispiel sei „Zählen statt Wiegen“. Hört sich einfach an, war es aber lange nicht. Bis zu 60 Jahre alte Maschinen werden weltweit mit Hardware und einer App aus dem AWS-Baukasten nachgerüstet. Die Zahl von produzierten und lieferfertigen Kleinteilen wird nicht mehr nach Gewicht geschätzt, sondern auf die Einheit genau abgezählt. Dazu braucht es Kameras, Apps, die lernen und erkennen, was da das Band herunterkommt, zählen und falsche oder fehlerhafte Produkte aussondern. Das Fließband bekommt Augen und Gehirn, erkennt dank künstlicher Intelligenz Fehler und holt die Exemplare vom Band. Es fange oft mit solchen „Kleinigkeiten“ an, die aber einen klaren Mehrwert für das Unternehmen brächten, sagt Haungs, und dann nehme der Mut zu, immer mehr zu machen.

Solche Optimierungen und Beschleunigungen bestehender Prozesse sind auch nach der Erfahrung von IBM-Manager Matthias Götz, Technology Leader Public Cloud DACH, gängige Praxis. IBM hat sich zusammen mit dem Open-Source-Spezialisten Red Hat auf sogenannte hybride Cloud-Systeme spezialisiert. Dabei teilen sich vorhandene Unternehmens-IT und Cloud-Dienste die Arbeit. Das kann Investitionen sparen, zeitlich strecken oder überflüssig machen. Ob eine Lohnabrechnung, die einmal im Monat unter Volllast läuft, wirklich auf einem teurem Mietspeicher im Web liegen muss, ist zumindest diskutabel. Da könnten Festplatten im Keller weiterhin ausreichen.

„Nehmen wir manuelle Qualitätskontrollen am Band eines Lebensmittelproduzenten“, sagt Götz. „Eine monotone und fehleranfällige Arbeit, die mit hohem Arbeitsaufwand verbunden ist. Mit Visual-Recognition-Technologien, die Machine Learning nutzen, lässt sich der Prozess digitalisieren, und Mitarbeiter können an anderer Stelle eingesetzt werden.“ Grundsätzlich ließe sich das auch auf eigenen Systemen aufbauen, gibt Götz zu, allerdings sei der Prozess oft langwierig und teuer. Ein verfügbares „As a Service“-Mietangebot könne hingegen in kurzer Zeit zu geringeren Kosten angepasst werden. Eine Nutzung „as a Service“ kann neben bestehender Technik aufgebaut werden. „Einen solchen Bereich für Innovationen aus der Cloud sollten mittelständische Unternehmen einrichten und unterstützen“, empfiehlt er. Generell biete „die Cloud-Technologie die Chance, mit der immer höheren Geschwindigkeit internationaler Innovation mitzuhalten“. Die hybride Cloud unterstütze dies dadurch, dass Daten und Applikationen im Unternehmen bleiben könnten. Es entstünden weniger Migrationsaufwände, und die Anzahl anspruchsvoller Transformationsprojekte könne verringert werden.

Haufe-CIO Plaul legt den Finger noch auf eine andere Wunde des Mittelstands: „Mitarbeiter zu finden, ist mit Abstand das größte Problem.“ Kamax-Manager Haungs stimmt dem voll zu. Die Cloud helfe dabei, junge Talente ins Haus zu holen. „Die Cloud hat Strahlkraft“, sagt er. Es gebe attraktive Projekte für karriereorientierte IT-Spezialisten. „Bei uns muss man nicht mehr im Keller Magnetbänder wechseln.“ Akuter Fachkräftemangel kann auch mit Cloud, maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz gemildert werden. 

Software per Sprachbefehl

Thomas Dohmke, CEO der Microsoft-Tochter GitHub, verweist auf den Service-Co-Piloten, der Programmierern sozusagen einen neuen Code auf Wunsch in die Tastatur schreibt. Amazon bietet für AWS einen Code-Whisperer an, der die nächsten Programmschritte einflüstern kann. Das Ziel ist es immer stärker auf sogenannte Low-Code- oder sogar No-Code-Plattformen auszuweichen. Das, sagte GitHub-Chef Dohme auf der Hausmesse Universe in San Francisco, entlaste ganz klar mittlere Unternehmen mit kleineren IT-Abteilungen. Im Endeffekt, so die Pläne, kann ein Marketingmitarbeiter per Sprachbefehl seine künstliche Intelligenz, zum Beispiel ChatGPT, mit einfachen Worten anweisen, eine App zu bauen, die eines seiner Probleme löst. Microsoft hat gerade angekündigt, seine Bürosoftware Office mit künstlicher Intelligenz auszustatten. Die notwendigen Informationen sammelt der Dienst aus den Projekten, die die IT-Abteilung im Haus bereits realisiert hat, aus neuen Informationen, die zugefüttert werden, etwa einem Handbuch für eine spezielle Programmiersprache, und natürlich aus der weltweiten Cloud.

Die Arbeitswelt ist im Begriff, sich dramatisch zu wandeln. Das ist erst der Anfang. Künstliche Intelligenz steht heute da, wo einmal ein britisches Start-up namens Sinclair gezeigt hat, was man so mit einem Computer machen kann. Der ZX 80 im heimischen Wohnzimmer konnte aus heutiger Sicht praktisch nichts. Aber was ist daraus geworden! 

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