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Zukunftsmärkte > Energie

Der Mülllaster fährt mit Wasserstoff

Faun baut schwere Nutzfahrzeuge mit Brennstoffzelle und Batterie. Jetzt bringt der Mittelständler einen Lastwagen auf den Markt. Die EU-Typzulassung gibt es schon.

Nutzfahrzeuge mit Brennstoffzelle und Batterie© BSR

Sicherheit geht vor. Und deshalb schießen die Techniker bei Faun aus vollen Rohren auf manche Fahrzeugteile. Auf Tanks für Mülllaster zum Beispiel. Natürlich nicht auf die der klassischen Fahrzeuge. Deren Dieseltanks sind simple Kisten verglichen mit denen des neuen Spitzenprodukts Bluepower – ein Müllwagen mit E-Antrieb, Batterie und Brennstoffzelle. Die Wasserstofftanks fassen bis zu 16 Kilo. Und die sollen gezielt verbrennen und nicht explodieren. Sie müssen also einiges aushalten. Crashtests gibt es deshalb auch. Mit dem neuen Fahrzeug will der Spezialhersteller aus Osterholz-Scharmbeck bei Bremen den europäischen Markt aufrollen. Firmen-Chef Patrick Hermanspann gerät ins Schwärmen, selbst wenn er nur die Zahlen des „ersten serienmäßigen wasserstoffelektrischen Müllwagens“ vorträgt: 17 Tonnen Zuladung, 250 Kilometer Reichweite nach europäischem WLTP-Testzyklus, 16 Kilogramm Wasserstoff, in 15 Minuten bei 700 bar Druck weitgehend betankt. Das Fahrzeug ist seit 2021 auf dem Markt. Ende des laufenden Jahres sollen mehr als 100 ausgeliefert sein.

Doch der Müllwagen soll nicht alles gewesen sein. Auf der IAA Transportation, der runderneuerten internationalen Leitmesse für Nutzfahrzeuge, Logistik und Transport, will Faun jetzt den Prototyp eines Lastwagens vorstellen – praktisch den Müllwagen mit einem eher einfachen Kastenaufbau. Das Citypower genannte Fahrzeug für den sogenannten Verteilerverkehr in Städten soll 500 Kilometer Reichweite haben und neun Tonnen Zuladung. Neben der wasserstoffelektrischen Version soll es auch eine rein elektrische geben, die dann höchstens 260 Kilometer schafft. Der Serienstart ist für 2023 vorgesehen. Die Straßenzulassung der EU liegt bereits vor. Und weitere Ideen hat das Unternehmen auch schon, schweigt sich aber aus – wegen der Konkurrenz.

Alle großen Nutzfahrzeughersteller wie Daimler Truck, Hyundai, Iveco, Renault, Scania und Volvo arbeiten an Antrieben, die den Motor, der Diesel verbrennt, ersetzen können. Eine Idee: Biosprit aus Abfällen verwenden und die Verbrennertechnik behalten. Eine weitere: Wasserstoff direkt verbrennen. Eine andere: ein E-Motor. Der könnte Strom von einer Batterie bekommen, die an einer Tankstelle, induktiv in der Fahrbahn oder aus einer Oberleitung geladen wird. Und sie könnte von einer Brennstoffzelle gespeist werden, die Strom aus Wasserstoff gewinnt, der wiederum durch Ökostrom erzeugt wurde. Darauf setzt Faun. „Wasserstoff als Energieträger ist ideal für den Nutzverkehr“, sagt Hermanspann. 2030 will das Unternehmen Europas Marktführer bei wasserstoffbetriebenen Lastwagen auf Mittel- und Kurzstrecke sein. Die schweren Lastwagen von Clean Energy, Daimler Truck, Hyundai, MAN und Nikola sind auf der Langstrecke unterwegs, Berlin bis Mailand zum Beispiel. Faun setzt mehr auf Frankfurt bis Mainz. Im Mai hat das Unternehmen deshalb die Tochter Enginius gegründet. Derzeit arbeiten im Bremer Werk 80 Beschäftigte, es sollen 800 werden. Dabei hat Faun insgesamt nur knapp über 2000 Mitarbeiter. Ist das Werk ausgebaut, sollen bis zu 5000 Fahrzeuge jährlich gefertigt werden. Fauns Vorteil laut Firmenchef Hermanspann: „Wir sind sehr früh dabei.“ Und es gibt bereits erprobte Fahrzeuge.

2009 war noch etwas früh

Hinter dem Unternehmen steht die Kirchhoff Gruppe. Das Familienunternehmen aus Iserlohn in Nordrhein-Westfalen setzte zuletzt 2,2 Milliarden Euro um und ist mit 12.200 Mitarbeitern weltweit tätig, liefert unter anderem auch komplexe Karosserieteile für die Autoindustrie und stellt Werkzeuge her. Faun gehört zur Umwelt- und Kommunaltechniksparte und ist recht unabhängig. Begonnen hat die Geschichte des Wasserstoffmüllwagens Mitte der 2000er-Jahre. Und sie hat damit zu tun, dass Müllfahrzeuge doch sehr spezielle Gefährte sind. Entsprechend eng sind Hersteller und die meist kommunalen Kunden miteinander verbunden. Und die haben Wünsche.

Ein Müllfahrzeug stoppt bis zu 800 Mal am Tag, setzt Feinstaub frei, und die Bremsenergie geht verloren. Faun entwickelte deshalb einen ersten elektrischen Müllwagen, der 30 bis 40 Prozent Primärenergie einsparte – und kein großer Verkaufsschlager war. „Wir waren 2009 wohl noch etwas früh“, sagt Chef Hermanspann. Aber die Techniker ließ das Thema nicht los. Sie arbeiteten an einem E-Müllfahrzeug mit Brennstoffzelle, haben Batterie, Motor und Zelle selbst entwickelt.

Das Basisfahrzeug selbst kommt von Daimler Truck, weshalb der Enginius auch vorn den Stern trägt. Die Stuttgarter liefern Fahrgestell und Kabine des eigenen Econic, Faun baut dann den Antrieb ein und setzt den Aufbau auf, den der Kunde wünscht. Manche Stadtreinigungen pressen den Müll, andere nutzen rotierende Trommeln mit Schnecke. Eine gute Idee allein reicht aber nicht, das Fahrzeug muss sich auch in der Praxis bewähren. Faun hat harte Tester gefunden, die den Anspruch haben, technologisch vorn mit dabei zu sein: die Berliner Stadtreinigung (BSR), den größten kommunaler Stadtreinigungsbetrieb Europas. 1800 Fahrzeuge, eigene Werkstatt und mit Wolfgang Wüllhorst einen innovativen Fuhrparkleiter. „Wir sind ein anspruchsvoller und dadurch bisweilen auch anstrengender Partner für die Hersteller“, sagt er. „Unsere Rückmeldung zu den Produkten hilft, diese am Ende besser zu machen.“ Und davon profitieren beide Seiten.

Ein Müllwagen fährt in Berlin zwischen 100 und 120 Kilometern am Tag in zwei Touren. Dabei transportiert er jeweils elf Tonnen Müll, kräftig zusammengedrückt. „Bei solch einem Abfallsammelfahrzeug ist das ‚Fahren‘ nicht die wichtigste Funktion, das ist vor allem das ‚Pressen‘“, sagt Wüllhorst. Und das muss funktionieren, sonst lassen sich die Müllmengen in Berlin nicht effizient abtransportieren. Zu Beginn jedenfalls überzeugten die Faun-Fahrzeuge nicht ganz. „Die ersten sechs Monate waren für beide Seiten herausfordernd“, bilanziert der Fuhrparkleiter. „Wie bei vielen Neuerungen ruckelte es am Anfang an ein paar Stellen: Es gab Probleme mit der Brennstoffzelle, es hakte auch beim Batterieaufladen und an der Schnittstelle zur Wasserstofftankstelle.“ Die Schwierigkeiten sind behoben, inzwischen schlagen die neuen Müllwagen sogar die herkömmlichen. Die durchschnittliche Einsatzfähigkeit lag zuletzt bei 91 Prozent, die gesamte BSR-Flotte kam im Schnitt auf 87 Prozent.

Tankstellen fehlen

Es hakt dafür an anderer Stelle: der Tankin­frastruktur. „Wir tanken nur an öffentlichen Wasserstofftankstellen. Die müssen auch die 700-bar-Technik beherrschen, möglichst mehrere Fahrzeuge nacheinander betanken können und den Tank auch mindestens bis zu 95 Prozent füllen“, zählt Wüllhorst auf. „Sonst kann es kritisch werden, die Tagestouren zu schaffen.“ Derzeit gibt es 96 Wasserstofftankstellen in Deutschland. Und es entstehen weitere, weil die Nachfrage steigt. Eine sogar extra wegen der BSR.

Bleibt der Preis der Fahrzeuge, die schon mal 750.000 Euro kosten können – je nach Ausstattung. Herkömmliche Fahrzeuge kosten eher ein Drittel dieser Summe. „Natürlich ist diese neue Technik teurer als bei herkömmlichen Abfallsammelfahrzeugen“, sagt der BSR-Fuhrparkleiter. „In Deutschland herrscht immer die Erwartung, dass sich alles sofort rentieren muss. Aber jetzt ist die Zeit, Veränderungen anzustoßen. Wir müssen etwas bewegen – für mehr Klimaschutz. Und hier gilt auch: Machen ist krasser, als immer nur zu reden.“

Das sehen auch die Stadtreinigungen anderer Kommunen so. Unterwegs sind die Wasserstofffahrzeuge von Faun inzwischen nicht nur in Berlin, sondern unter anderem auch in Aachen, Bochum, Duisburg, Freiburg und Mainz, in Brüssel und Graz. Bestellungen gibt es bereits auch aus der Schweiz. Die BSR hat inzwischen sechs der Müllwagen im Einsatz, acht weitere sollen geliefert werden.

Und wie fährt sich der Wagen? Nach dem Anlassen summt das Fahrzeug, ab und zu springt pfeifend eine der bis zu drei Brennstoffzellen an und lädt die Batterie. Der Motor ist abgeregelt. „Sonst hinterlässt man schwarze Streifen auf der Straße“, sagt ein Techniker. Tempo 140 wäre möglich, bei 90 Kilometern pro Stunde ist aber Schluss, schließlich geht es um Mülltransport und nicht um Rennen. Und sonst? Wie ein normaler Müllwagen, nur leiser, CO2-frei. Statt Abgas eben Wasser. „Und auch der Lärm nimmt ab“, sagt BSR-Fuhrparkchef Wüllhorst. „Das steigert die Lebensqualität für die Einwohner wie auch für die Fahrer.“ 

Brennstoffzellen, Drohnen, Testfahrten

Alles neu nach vier Jahren: Aus der Nutzfahrzeugmesse wird IAA Transportation.

Nach vier Jahren startet in diesem September die größte internationale Messe rund um Busse und Lastwagen mit einem runderneuerten Konzept. Unter dem Namen IAA Transportation (früher IAA Nutzfahrzeuge) will der Ausrichter, der Verband der Automobilindustrie (VDA), „die Transport- und Logistikbranche erstmals in ihrer gesamten Bandbreite“ abbilden. Es wird also nicht nur Fahrzeuge mit Rädern zu sehen geben, sondern auch Drohnen. Themen sind unter anderem Wasserstoffladeinfrastruktur und Datenmanagement. Wegen des weiteren Themenspektrums haben sich viele neue Aussteller angekündigt: CATL, Linde, Samsung und Siemens etwa. Cargobikes und Lieferroboter werden genauso vorgestellt wie Lastwagen und Busse mit Elektroantrieben oder schwere Nutzfahrzeuge mit Batterie und Brennstoffzelle sowie intelligente Hänger, die sich dank eigenem E-Antrieb „leichter“ machen können und so Energie sparen. Für „ambitionierte Gründerinnen und Gründer“ ist eine Bühne mit Fahrstuhl für „Elevator-Pitches“ vorgesehen. Auf einem sogenannten Plug-and-Play-Campus geht es vor allem um Ladeinfrastruktur und darum, wie wichtig das 5G-Mobilfunknetz für Logistik und Transport ist. Neu ist auch eine Art Straßenparcours, auf dem Fahrzeuge vor Ort getestet werden können. Fachbesucher können sich einzelne Lastwagen oder Busse ausleihen. Zudem ist ein umfangreiches Konferenzprogramm vorgesehen.

Die Messe läuft von Dienstag, 20. bis Sonntag, 25. September, auf dem Messegelände in Hannover. Die Dauerkarte für die sechs Tage kostet 69 Euro, die Tageskarte 25 Euro.

Es gibt eine App, mit der sich der Messebesuch planen lässt. Sie informiert über ­Veranstaltungen und meldet sich etwa, wenn Termine verschoben werden.
Dort ist es auch möglich, einen persönlichen Terminkalender einzurichten und sich zielgerichtet mit anderen Fachbesuchern oder Ausstellern zu vernetzen.
Weitere Informationen unter www.iaa-transportation.com

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