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Zukunftsmärkte > Pandemie und Krieg

Der „perfekte Sturm“ rollt auf uns zu

Die großen deutschen Familienunternehmen rufen die Politik auf, mit einem Entfesselungspaket eine Rezession abzuwenden. Noch niemals seit Kriegsende haben sich so viele Faktoren zu einer so schwierigen Wirtschaftssituation verwoben wie jetzt. Deutschland droht eine tiefe Rezession. Sieben Gründe sind dafür verantwortlich.

Deutschland droht eine tiefe Rezession: Ein perfekter Sturm Bild: Shutterstock

Romanautor Sebastian Jungers landete einen Weltbestseller und Regisseur Wolfgang Petersen wiederholte das auf der Kinoleinwand: „Der perfekte Sturm“ ist die Geschichte eines Fischerboots, das vor der Ostküste der USA in ein Wetterphänomen gerät, das allenfalls alle hundert Jahre vorkommt: Ein Tiefdruckgebiet zieht vom Festland aufs Meer, ein Hoch aus Kanada schiebt kalte Luft nach Süden und Hurrikan Grace wirbelt feuchtwarme Überreste über den Ozean. Die Männer auf dem Boot „Andrea Geil“ kämpfen gegen die Naturgewalten und verlieren. Für George Clooney war es eine tragische Heldenrolle mehr. Das Faszinierende an dem Titel ist seine Gegensätzlichkeit: Auch das Böse kann perfekt sein.

Ökonomen haben deswegen diesen Titel übernommen, wenn sie das Ergebnis vieler Zutaten beschreiben, die sich auf den Finanzmärkten der Welt so einmalig zusammenbrauen, dass mehr als ein Schiff untergehen kann. Der perfekte Sturm, den sie meinen, kann Menschen arm werden lassen und auf die Straße treiben, er kann Unternehmen an die Wand drängen, er kann ganze Volkswirtschaften in den Abgrund ziehen. Und ausgerechnet von so einem perfekten Sturm ist jetzt die Rede. US-Starökonom Kenneth Rogoff hat ihn bereits auf dem Radar. Er spricht von der Gefahr einer gleichzeitigen Rezession in Europa, China und den USA. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) warnt vor einer weltweiten Rezession. Es gebe derzeit mehrere miteinander verbundene Krisen: „Die hohe Inflation, die Energiekrise, die Lebensmittelknappheit und die Klimakrise.“ Hinzu käme, dass „die Welt in Machtblöcke zu zerfallen droht“.

Unvergessen bleibt Beobachtern der Auftritt des 91jährigen Star-Investors George Soros beim jüngst zu Ende gegangenen Weltwirtschaftsforum in Davos. Schweren Schrittes tastet er sich ans Rednerpult. Seine oft eher trüben Prognosen – sie alle sind eingetreten, manche schlimmer als selbst Soros sie sich ausmalen konnte. Mit leisen Worten geht er auf die Bedrohung totalitärer Regime wie Russland und China ein. Er, der den Holocaust überlebt hat, wendet sich mit brüchiger Stimme an sein Weltpublikum: Das, was jetzt komme, „wird unsere Zivilisation vielleicht nicht überleben“.


Die großen deutschen Familienunternehmen rufen die Politik auf, mit einem Entfesselungspaket eine Rezession abzuwenden. Das Krisenmanagement der Bundesregierung sei wichtig, doch Krisenbekämpfung allein reiche nicht aus, sagte Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen und Politik, zur Eröffnung des Tages des deutschen Familienunternehmens Ende Juni in Berlin. Alle Gesetze, die wirtschaftliche Aktivitäten erschweren, sollten gestoppt werden.

Der „perfekte Sturm“, der Rogoff und Habeck und Kirchdörfer umtreibt, und der Soros schwarzsehen lässt, hat anders als im Roman nicht drei, sondern gleich sieben Zutaten, die sich gerade mit unterschiedlicher Wucht ineinander verknäulen. Sie lauten:

1) Pandemie

Sie stand am Anfang der heißen Phase des Sturms. Etwas ähnliches hatte die Welt seit der Spanischen Grippe vor mehr als 100 Jahren nicht erlebt. Im Zeitalter von Kernspintomographen und Herzverpflanzung starben mit einmal wieder Menschen auf der ganzen Welt an einem Virus. Die erzwungenen Lockdowns schwächten Wirtschaft und Staatskassen. Immer wieder neue Varianten des Virus sind den Impfungen voraus und verursachen erneute Lockdowns an neuralgischen Punkten des Welthandels wie in Shanghai. Die Gefahr ist nicht gebannt, sie ist nur an den Rand der Wahrnehmung gerutscht. Schon steigen die Ansteckungszahlen wieder. Populäre Virologen wie Christian Drosten warnen vor der nächsten Coronawelle nach den Sommerferien.

2) Krieg

Unvorstellbar für die meisten Menschen, die in der Europäischen Union leben und seit dem Fall der Mauer von einem immerwährenden friedlichen Miteinander auf ihrem Kontinent träumten, überfällt Russland am 24. Februar die Ukraine und entfesselt damit nicht nur einen militärischen, sondern auch einen Wirtschaftskrieg. Es geht um Energielieferungen Richtung Westen und Getreidelieferungen in die ganze Welt, die von Russland kommend mit einmal ins Stocken geraten. Deutschland als eines der Hauptabnehmerländer russischer Energielieferungen, das zudem auch noch als eines der wenigen Länder der Welt seine Atomkraftwerke abgewrackt hat, rutscht völlig unvorbereitet in eine Energiekrise, wie es sie seit dem Ölpreisschock von 1973 nicht mehr gegeben hat. Für die Gasversorgung hat die Bundesregierung die Alarmstufe ausgerufen. Kommt in den nächsten Wochen noch weniger Gas aus Russland, müssen Betriebe schließen, und im Winter bleiben Wohnungen kalt. Die hohen Energiekosten treffen Deutschland besonders, Europa ein bisschen weniger, den Rest der Welt kaum. Im internationalen Wettbewerb hat Europa das Nachsehen.

3) Inflation

Vor mehr als zehn Jahren, als die hohen Schuldenstände mancher Länder in der EU den Euro zu sprengen drohten, verkündete der damalige Zentralbankpräsident Mario Draghi sein „Whatever it takes“. Dahinter stand die Absicht, die Notenpresse so lange auf Touren zu bringen, bis genügend Geld für die Finanzierung der Staatsschulden im Markt war. Das, zusammen mit Energiepreisen und Pandemiefolgen, hat die Inflation auf ein Rekordhoch von derzeit mehr als acht Prozent getrieben. Das heißt, bei einem Lohn von 50 000 Euro netto im Jahr bleiben einer Familie 46 000 Euro übrig. Will sie das ausgleichen, fällt zum Beispiel der Sommerurlaub flach. Die Unzufriedenheit wächst.
 

4) Zinsen

Unmittelbar mit der Inflation zusammen hängt das, was die Zentralbanken als Gegenmittel verschreiben: steigende Zinsen. An sich keine schlechte Idee – nur kommt sie zu spät. Die Folge: Entweder heben Zentralbanken die Zinsen so zögerlich an wie in der EU, dann wirkt das Mittel nicht gegen die Inflation. Oder sie langen beherzter hin wie in den USA, dann erwürgt der Zinsschritt das Wirtschaftswachstum, weil Kredite für Investitionen zu teuer werden. In den USA hat es noch nie eine Phase steigender Zinsen gegeben, die nicht spätestens nach zwölf Monaten zu einer Rezession führte.

5) Arbeitsmarkt

Die Unternehmen haben längst bemerkt, was auf sie zukommt. Die einen können die Energiekosten nicht mehr aufbringen, den anderen fehlt Material für ihre Produkte, und der Vertrieb stockt. Die Folge: Der Arbeitsmarkt dreht sich. Aus dem Arbeitskräftemangel wird mehrheitlich ein Arbeitskräfteüberschuss, zumindest mit Blick auf das, was sich die Unternehmen in der Krise noch an Personal leisten können. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit Detlef Scheele warnt: Bei einem Ausfall russischer Gaslieferungen wäre das Risiko mit Blick auf Arbeitsplätze in Deutschland „aktuell sehr hoch“. Kurzarbeit und einen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit hält er dann für wahrscheinlich. Auch jenseits des Atlantiks sieht es trüb aus. Der prominente Investor und Börsenexperte Dirk Müller analysiert: „Die Leute vor allem im Niedriglohnsektor werden reihenweise entlassen. Das kommt in einer Situation, in der sie hochverschuldet sind, und die Zinsen für ihre Schulden durch die Decke gehen.“ Gleichzeitig gibt es noch immer einen Fachkräftemangel. Deutschland produziert Abiturienten am Fließband, aber Handwerker, IT-Spezialisten und Techniker fehlen. Aufträge bleiben liegen, weil sich niemand darum kümmern kann.

6) Materialengpässe

Auf unbenutzten Parkflächen reihen sich noch immer Neuwagen deutscher Hersteller, denen an entscheidender Stelle ein Chip fehlt, um die Elektronik in Gang zu bringen. Die Lieferung klemmt. Das gleiche Bild anderswo: Die Jahre lang erfolgsverwöhnte Immobilienbranche spürt mit einmal, dass keiner mehr bauen will. Ein Grund dafür: Niemand kann kalkulieren, wann und zu welchem Preis sich Baumaterialien auftreiben lassen. Entweder stecken sie in Containern fest, die pandemiebedingt nicht rechtzeitig entladen werden können, oder sie sind wegen der gestiegenen Energiekosten so teuer geworden, dass sie jede Baukalkulation über den Haufen schmeißen.

7) Geostrategische Gefahr

Russlands Regime ist zum Feind geworden und vielen geht auf, dass totalitäre und damit unberechenbare Strukturen wie in Moskau auch in Peking herrschen. Die Führung dort ist in einen Handelsstreit mit den USA verstrickt, verfolgt eine Null-Covid-Strategie, die die Wirtschaft umklammert und dimmt ihre jahrzehntelang gewaltigen Wachstumsraten auf ein Normalmaß. Gleichzeitig unterdrückt sie in ihrem Riesenreich aufmüpfige Völker, wie das der Uiguren und zeigt, zu welchen Grausamkeiten sie fähig ist. All das führt im eignen Land zu den größten Verwerfungen: Der Immobilienmarkt ist zusammengebrochen. Die beiden größten Immobilienentwickler des Riesenreichs überleben nur dank Staatshilfen. China ist einer der wichtigsten Handelspartner Deutschlands. Bisher konnten sich Unternehmen darauf verlassen: Wenn es hierzulande nicht so läuft, dann läuft’s in China wie geschnitten Brot. Doch diese Erkenntnis ist Geschichte.
Im Buch „Der perfekte Sturm“, das sich an wahren Begebenheiten orientiert, heißt es, es sei durch eine so seltene Kombination von Faktoren eine Situation entstanden, die „unmöglich schlimmer hätte kommen können. Der Sturm verursachte zehn Stockwerke hohe Wellen und Windgeschwindigkeiten von 190 Kilometer die Stunde. Er peitschte das Meer in unvorstellbare Höhen, wie es nur wenige Menschen auf der Erde je gesehen haben.“ Am nächsten Tag war der Spuk vorbei. Die „Andrea Geil“ und ihre Besatzung allerdings waren von der Oberfläche verschwunden.

oli

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