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Des Wodkas reine Herkunft

Nach Sanktionen gegen Russland listen deutsche Supermärkte russische Produkte aus. Darf man jetzt noch Wodka Gorbatschow trinken?

Wodkaflaschen

Die neue Lust am Boykott ist entbrannt. Große Händler wie Lidl, Aldi, Kaufland, Edeka und Rewe sortieren russische Lebensmittel aus. Edeka sendete kurz nach Kriegsausbruch in der Ukraine ein Signal auf verschiedenen Social-Media-Kanälen: Statt des Slogans „Wir lieben Lebensmittel“ hieß es „Freiheit ist ein Lebensmittel“, geschrieben auf der ukrainischen Fahne. Unternehmen positionieren sich, denn seit dem Angriffskrieg Russlands wird eine wachsende Zahl von Marken nicht mehr an ihrer Inszenierung gemessen, sondern an der Markenhaltung. Fachleute sprechen euphorisch von der Stunde des Purpose-Marketings. Kleine Supermärkte positionieren sich auf analogem Weg. In leeren Regalen steht auf Papier geschrieben: „Aufgrund des derzeitigen Kriegsgeschehens in der Ukraine werden russische Produkte nicht mehr nachbestellt.“

Viele russische Lebensmittel sind es nicht, die normalerweise in den deutschen Supermarktregalen stehen. Doch jetzt verschwinden sie komplett. „Wir kaufen keine Ware aus Russland mehr“, machte etwa André Kowalew klar, Geschäftsführer von Dovgan aus Hamburg, dem wohl größten Großhändler für osteuropäische Lebensmittel in Deutschland. Allein im März rechnet Kowalew mit Umsatzverlusten in Höhe von zehn Millionen Euro.

Betroffen sind vor allem verschiedene Wodkas, Haferflocken von Hercules oder Tradizionel, einzelne Süßwaren und Fertiggerichte, gezuckerte Kondensmilch, Hygieneartikel wie Zahnpasta, Sonnenblumenkerne von Babkiny oder Martin und verschiedene Teesorten von Richard Royal Tea.

Dass es offenbar auch Produkte trifft, die gar nicht aus Russland kommen, sondern nur den Anschein erwecken, fällt in die Kategorie Kollateralschaden – jedenfalls aus Sicht der Boykottierer. Wodka Gorbatschow ist so ein Beispiel; in sozialen Netzwerken war zu sehen, wie der unschuldige Wodka im Abfluss landet, Purpose-Marketing in den eigenen vier Wänden. Dabei kommt die Marke Wodka Gorbatschow aus Deutschland – und zwar aus der Hauptstadt. Sie gehört zur Henkell-& -Co.-Gruppe, die wiederum seit 1986 zum Oetker-Imperium gehört. Wodka Gorbatschow: ein fast bodenständiger Ostwestfale, der in diesen Tagen unter seinem Nachnamen leidet. Und selbst der führt in die Irre. Der Wodka in der charakteristischen Flasche, die an den Zwiebelturm einer russisch-orthodoxen Kirche erinnert, ist nicht nach dem ehemaligen sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow benannt, sondern nach dem Gründer Lew Leontjewitsch Gorbatschow – ein wegen der Oktoberrevolution 1921 nach Berlin geflüchteter Betreiber einer Wodkadestillerie aus St. Petersburg.

„Unser Wodka wird nicht aus den Sortimenten der Supermärkte genommen“, sagt Unternehmenssprecher Jan Rock Markt und Mittelstand. Die meisten Kunden wüssten ohnehin, dass es sich um ein deutsches Produkt handelt. Und für all diejenigen, die es nicht wissen, schreibt es der Hersteller gleich unter den Markennamen: „Gegründet 1921 in Berlin“. Tatsächlich dürfte „des Wodkas reine Seele“ von den Auslistungen der russischen Konkurrenzprodukte sogar profitieren. Denn wer in den kommenden Wochen vor dem Spirituosenregal steht und Wodka sucht, muss sich mit einer reduzierten Auswahl arrangieren. Es könnte schlimmer sein.

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