
Während die weltgrößte Wirtschaftsnation USA unter Präsident Donald Trump weitgehend auf Abschottung setzt, bricht sich anderswo der Freihandel weiter Bahn. Im Dezember einigten sich die Europäische Union und Japan nach vier Jahre dauernden Verhandlungen auf ein umfassendes Freihandelsabkommen (FHA).
Nach einer – teilweise mehrjährigen – Übergangsfrist soll ein Großteil der beidseitig hergestellten Produkte zollfrei zwischen der EU und Japan gehandelt werden können, sobald das Abkommen in Kraft ist. Auf japanischer Seite betrifft dies rund 94 Prozent der landwirtschaftlichen Produkte und Industrieerzeugnisse. EU-Produkte sind zu etwa 99 Prozent zollbefreit. Infolge des Abkommens entfallen aber nicht nur Zölle, sondern auch andere Handelshemmnisse. Bislang brauchte es zum Beispiel für jede einzelne Sorte von nach Japan ausgeführten Zitrusfrüchten eine Genehmigung; diese komplizierte Prozedur entfällt künftig. Japan hat gemäß der Einigung außerdem zugesagt, bei Pharma- und Medizinprodukten, Autos und anderen Waren internationale Standards anzuerkennen und die Einfuhr nicht mehr durch eigene japanische Sonderstandards zu erschweren. Zudem erhalten europäische Unternehmen Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen auch auf lokaler Ebene und im Schienenverkehr.
Mit dem Abkommen werden auch in Japan rund 200 geschützte europäische Herkunftsbezeichnungen von Lübecker Marzipan über Tiroler Speck bis hin zu Prosecco anerkannt. Bier aus der EU wiederum wird in Japan nicht mehr als „alkoholhaltiges Erfrischungsgetränk“ eingestuft und deshalb künftig niedriger besteuert.
Handelsvolumen könnte um 20 Milliarden Euro wachsen
Allein die volkswirtschaftliche Dimension des Abkommens ist beeindruckend. Schon heute vereinen die EU und Japan ein Drittel der Wirtschaftsleistung der Welt aufeinander. Das Handelsvolumen zwischen beiden Seiten belief sich 2016 auf 125 Milliarden Euro. Nach Angaben der Kommission könnte es durch den Abbau von Handelsbarrieren stark steigen. Die EU-Behörde rechnet mit einem Anstieg der Ausfuhren um 20 Milliarden Euro. Das entspreche rund 280.000 neuen Jobs in Europa.
Dem Münchener Ifo-Institut zufolge ist die deutsche Volkswirtschaft einer der größten Gewinner des Freihandelsabkommen. Pro Jahr rechnen die Forscher mit einer volkswirtschaftlichen Vermögenssteigerung in der EU von 11 Milliarden Euro aufgrund des neuen Abkommens – 3,4 Milliarden davon dürften auf Deutschland entfallen. Mit der volkwirtschaftlichen Vermögenssteigerung meint das Ifo-Institut das Bruttohaushaltseinkommen ohne Zolleinnahmen. Auf den weiteren Plätzen folgen Großbritannien mit 1,6 Milliarden und Frankreich mit 1,2 Milliarden Euro. Ersteres freilich nur, solange die Briten Teil der EU sind. Nach einem Brexit müsste Großbritannien sämtliche Freihandelsabkommen bilateral neu verhandeln, um weiterhin die gleichen Vorteile zu haben.
Für Deutschland prognostiziert die Europäische Kommission einen jährlichen Anstieg des Bruttoinlandsprodukt um bis zu 20 Milliarden Euro oder 0,7 Prozent. Wilhelm Meemken, Vorstandsmitglied im Deutsch-Japanischen Wirtschaftskreis, lobt daher den neuen Vertrag: „Das Freihandelsabkommen ist ein ganz wichtiges Signal gegen den sich zurzeit immer mehr verbreitenden Protektionismus und Isolationismus. Das gilt umso mehr, als sich viele Probleme heutzutage nicht mehr auf nationaler Ebene lösen lassen, sondern internationale Kooperation verlangen.“
Änderungen betreffen Pharma-, Agrar- und Autobranche
Der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) bewertet das Abkommen noch positiver als den zwischen der EU und Südkorea 2011 geschlossenen Vertrag. Denn im Handel mit Japan müssen EU-Firmen sich nicht lizenzieren, ein sogenannter Ermächtigter Ausführer wie im Handel im Südkorea ist nicht Teil der Vereinbarungen.
Nach Darstellung der EU-Kommission profitieren im Abkommen mit Japan Unternehmen aus den Bereichen Arzneimittel, Medizinprodukte, Agrarerzeugnisse und Lebensmittel sowie Kraftfahrzeuge und Beförderungsmittel am stärksten von dem Abkommen. Beispielhaft für die Landwirtschaft ist der Fruchtweinhersteller Kellerei Katlenburger aus Niedersachsen. Die Firma ist mit rund 24 Millionen Flaschen Fruchtwein pro Jahr der größte Fruchtweinhersteller Europas. Das Unternehmen exportiert zehn Prozent seiner Produktion in 17 Länder, darunter auch Japan. Die japanischen Verbraucher schätzen vor allem den „Multi Vita Vino“, einen aus zehn verschiedenen Obstsorten hergestellten Wein. Im vergangenen Jahr hat Katlenburger allerdings mit 750.000 Flaschen Fruchtwein nur noch halb so viele wie noch vor fünf Jahren nach Japan exportiert.
Katlenburger zufolge sind Exporte nach Japan durch unlauteren Wettbewerb und einen zunehmend preisempfindlichen Markt schwieriger geworden, das fernöstliche Land erhebt bis dato Zollabgaben von etwa 33 Eurocent je Liter. „Besonders kleine Unternehmen sind abhängig von Exporten, da der heimische Markt immer schwieriger wird und von Großunternehmen mit umfangreichen Werbebudgets dominiert wird“, sagt Klaus Demuth, Geschäftsführer von Katlenburger.
Erfreulich für Demuths Branche: Für Wein werden die Zölle sofort abgeschafft. Dies gilt längst nicht für jeden Wirtschaftszweig. Während die Zölle für chemische Erzeugnisse, Textilien und Textilerzeugnisse mit sofortiger Wirkung fallen, sollen Zollsätze von bis zu 30 Prozent auf Leder erst im 11. Jahr und auf Schuhe erst im 16. Jahr nach Inkrafttreten des Abkommens abgeschafft werden.
Wie Mittelständler im Ausland erfolgreich werden, erfahren Sie in unserem Schwerpunkt „Internationalisierung“.
Unternehmen hoffen auf schnellere Zulassung
Auch das mittelständische Unternehmen SEH Computertechnik aus Bielefeld hat in der Vergangenheit unter dem zusätzlichen Aufwand gelitten, den kosten- und zeitintensive Zulassungen und Sicherheitsabnahmen der Produkte beim Export nach Japan erforderten. „Obwohl die Sicherheitsbestimmungen in der Europäischen Union und Japan eigentlich schon jetzt sehr ähnlich sind“, wundert sich Vertriebschef Mischa Dehne-Visic. „Trotzdem hat sich die Vermarktung unserer IT-Produkte in Japan oft verzögert, und die Zulassungen unserer Produkte in Ausschreibungen waren umständlich“, sagt er. Laut Europäischer Kommission fallen diese Zulassungsschwierigkeiten mit Inkrafttreten des Freihandelsabkommens weg.
Für die Firma Goldschmidt Thermit aus Leipzig liegen die Barrieren im Handel weniger im regulatorischen als vielmehr im faktischen Bereich, wo auch ein Freihandelsabkommen keine Lösungen liefern kann. „Private wie vormals öffentliche Bahnbetreiber in Japan greifen auf jahrzehntelang erprobte Lieferanten zurück“, sagt Stefan Damm, Geschäftsführer der japanischen Tochtergesellschaft mit Sitz in Tokio. „Lediglich bei Produkten, bei denen es keine oder nur schwache japanische Wettbewerber gibt, können europäische Unternehmen zum Zug kommen“, berichtet er. Einen Wettbewerb mit japanischen Anbietern nimmt Damm kaum wahr, stattdessen trifft er im Markt auf europäische Konkurrenten. Trotzdem laufen die Geschäfte gut, freut er sich, denn das Preisniveau sei akzeptiert, und Importe würden traditionell vom Kunden direkt verzollt.
Freihandelsabkommen tritt 2019 in Kraft
Wie geht es nun weiter? Das von der EU-Kommission ausgehandelte Abkommen wird derzeit in alle Landessprachen der EU übersetzt und dann dem Europäischen Parlament und den EU-Mitgliedsstaaten zur Genehmigung vorlegt. Ziel der EU-Kommission ist es, den Vertrag noch vor Ende der laufenden Amtszeit der Europäischen Kommission im Jahr 2019 in Kraft zu setzen.
Parallel zu den internen Genehmigungsprozessen werden die Verhandlungen über Investitionsschutzstandards und die Beilegung von Investitionsschutzstreitigkeiten fortgeführt. Die Kommission hatte darauf gedrungen, im Rahmen des Handelsabkommens mit Japan festzuschreiben, dass Streitfälle zwischen Unternehmen und Staaten künftig vor einem neu zu schaffenden internationalen Gerichtshof für Investorenklagen geklärt werden sollen. So ist es auch in dem Handelsabkommen mit Kanada Ceta vereinbart. Sie konnte sich damit aber nicht gegen die japanische Regierung durchsetzen. Die Regelung, an die Japan sich bei anderen Freihandelsabkommen gewöhnt hat, sieht so aus: Fühlt sich ein Unternehmen ungerecht behandelt, erlauben die internationalen Verträge, dass ein privates, geheimes Schiedsgericht einberufen wird, bei dem Kläger und Angeklagter je ihren eigenen Richter mitbringen. Zudem einigen sich beide Parteien auf einen dritten Richter, dann wird leise prozessiert und entschieden, wer recht hat. Ob es den Verhandlungsführern der EU gelingt, diesen Aspekt noch zu ihren Gunsten zu drehen, ist nicht abzusehen.
Durch das Freihandelsabkommen mit Japan sind EU-Firmen ihren Wettbewerbern aus den USA einen großen Schritt voraus. Nachdem die Vereinigten Staaten unter Präsident Donald Trump aus der Transpazifischen Partnerschaft (TTP) ausgestiegen sind, ist ein gegenseitiger freier Marktzugang zwischen diesen beiden Nationen in weite Ferne gerückt.
Freihandel Japan–EU in Kürze
Von 2019 an gelten folgende neue Handelserleichterungen:
- Beseitigung fast aller von EU-Unternehmen zu entrichtenden Zölle. Derzeit belaufen sie sich auf 1 Milliarde Euro jährlich.
- freier Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen, etwa im Eisenbahn- und Verkehrsinfrastruktursektor
- Öffnung des japanischen Marktes für Agrarausfuhren. Käsesorten und Wein werden zollfrei, für Fleisch gelten reduzierte Zollsätze.
- Schutz von geistigen Eigentumsrechten und geschützten geographischen Angaben, beispielsweise Tiroler Speck
- Öffnung der Dienstleistungsmärkte, unter anderem bei Finanzdienstleistungen, Telekommunikation und Verkehr
- neue Geschäftsmöglichkeiten in den Branchen Pharma, Medizinprodukte, Kraftfahrzeuge und Transportmittel
Quelle: Europäische Kommission