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Zukunftsmärkte > Krise in Fernost

Deutsche Unternehmen in China: Nicht nur das Coronavirus ist eine Belastung

Die Probleme häufen sich für deutsche Unternehmen mit Standorten in China. Seit Wochen kommen schlechten Nachrichten aus Fernost. Doch der Markt ist zu wichtig, um einen Rückzug planen zu können. Was ist die Alternative?

Vor gut zwei Jahren belegte US-Präsident Donald Trump Solaranlagen und Waschmaschinen aus China mit Strafzöllen. Seitdem befinden sich die beiden Staaten im Handelsstreit. Auch wenn derzeit Burgfrieden herrscht, hat der Konflikt Folgen: Im dritten Quartal des vergangenen Jahres sank das chinesische Wirtschaftswachstum auf sechs Prozent, den niedrigsten Wert seit 30 Jahren. Derzeit führt die chinesische Regierung landesweit ein Rating- und Bonitätssystem für Unternehmen ein, das „Corporate Social Credit System“, das Unternehmen unter immer strengere Kontrolle durch die Kommunistische Partei stellt. Und schließlich legt das Coronavirus weite Teile des riesigen Reiches seit mehreren Wochen lahm – und stürzt die ohnehin schwächelnde Wirtschaft noch tiefer in die Krise.

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass deutsche Unternehmen in China derzeit nur wenig optimistisch in die Zukunft blicken: In der aktuellen Geschäftsklima-Umfrage der Deutschen Handelskammer in China glauben nur 27 Prozent der 526 befragten Unternehmen, ihre für 2019 geplanten Ziele erreicht oder gar übertroffen zu haben. Besonders stark zurückgegangen sind die Erwartungen in der Automobil- und Maschinenbaubranche. Droht jetzt also ein Rückzug des deutschen Mittelstandes aus dem Reich der Mitte? „Nein“, ist sich Jens Hildebrandt, Geschäftsführer der Deutschen Handelskammer in Peking, sicher: „Viele deutsche Unternehmen vertrauen darauf, dass sich der chinesische Markt wieder besser entwickelt – zwei von drei Befragten wollen in den beiden kommenden Jahren weiter in ihr China-Geschäft investieren.“

Leichte Entspannung

Für etwas Zuversicht sorgt die vorläufige Einigung im Handelsstreit zwischen China und den USA. Mitte Januar unterzeichneten beide Seiten in Washington ein Teilabkommen, das neue Strafzölle zunächst ausschließt. Das beruhigt auch deutsche Mittelständler wie HUT Heuwieser Umwelttechnik aus Gelnhausen. Das Unternehmen produziert Katalysatoren für Industrieanlagen und exportiert rund 20 Prozent davon nach China. „Der Konflikt hat Unruhe in die Märkte gebracht, das haben wir schon gespürt“, sagt Geschäftsführerin Julia Heuwieser. Ähnliche Erfahrungen hat Alexandra Altmann gemacht, geschäftsführende Gesellschafterin der Firma Altmann aus Herford, die Bauteile für Mess- und Regeltechnik herstellt. Ihr Unternehmen entwickelt und produziert regelbare Widerstände, sogenannte Potentiometer, für industrielle Anwendungen. Diese kommen zum Beispiel im Spezialfahrzeugbau oder in der Medizintechnik zum Einsatz. Über ein Schwesterunternehmen kauft Altmann einige Potentiometer und elektronische Bauteile bei diversen chinesischen Partnern ein. „Viele unserer Kunden in aller Welt hatten die Sorge, dass der Handelsstreit das globale Wirtschaftswachstum eintrüben könnte. Deshalb haben sie weniger Waren bestellt und erstmal ihre Lagerbestände abgebaut. Inzwischen hat sich die Lage wieder etwas entspannt.“

Zu einer ähnlichen Einschätzung wie Heuwieser und Altmann kommt auch der Großteil der Unternehmen, die an der Geschäftsklima-Umfrage der Handelskammer teilgenommen haben: 83 Prozent von ihnen sehen sich direkt – etwa in Form von Zöllen – oder indirekt, beispielsweise durch eine wachsende Volatilität in den globalen Märkten, durch den Handelsstreit betroffen. „Der Konflikt ist sicher noch nicht vorbei, ein Großteil der Zölle besteht weiterhin. Aber die jetzige Einigung verschafft den Unternehmen zumindest eine Verschnaufpause bei der monatelang anhaltenden Unsicherheit auf den internationalen Märkten. Dennoch: Bis zu einer für die Wirtschaft greifbaren Entspannung im Welthandel ist es noch ein weiter Weg“, bestätigt auch Handelskammer-Vorstand und Geschäftsführer Jens Hildebrandt.

Compliance als Wettbewerbsvorteil

Eine solche Verschnaufpause ist gerade für den deutschen Mittelstand wichtig. Denn andere Aspekte im Geschäft mit China erfordern schon genug Aufmerksamkeit. „Das Thema Compliance gewinnt in China zunehmend an Bedeutung. Die entsprechenden Vorschriften werden immer komplexer“, sagt Martin Knaup, Spezialist für Corporate Compliance bei der internationalen Wirtschaftskanzlei Taylor Wessing. „Für Mittelständler mit begrenzten Ressourcen ist es eine echte Herausforderung, die Auswirkung dieser Regelverschärfungen zu managen.“ Wer bereit ist, sich intensiver mit dem Thema Compliance auseinanderzusetzen, als es die Gesetze verlangen, kann sich in diesem Feld auch einen Wettbewerbsvorteil erarbeiten: Internationale Konzerne, die in China Aufträge ausschreiben, erwarten, dass hohe Compliance-Standards eingehalten werden. Das kann für europäische Unternehmen ein Vorteil bei der Internationalisierung sein, da viele von ihnen in ihrem Heimatmarkt bereits umfangreiche Erfahrungen mit dem Thema gesammelt haben. 

Ein weiterer Punkt, der alle in China tätigen Unternehmen betrifft, ist das Sozialkreditsystem, das im Jahr 2020 landesweit in Kraft treten soll. Dadurch erhält jedes Unternehmen ein Ranking, das sich unter anderem aus seiner Historie mit Zoll-, Steuer- und Justizbehörden ergibt. Die Folge: mehr Transparenz – andererseits aber auch mehr Überwachung: „Wir müssen uns bewusst sein, dass fast alle Informationen, die wir mit unserer chinesischen Tochter austauschen, erfasst werden“, sagt Eberhard Flammer, Geschäftsführer von Elkamet Kunststofftechnik aus Biedenkopf. „Das bedeutet, dass wir im Kontakt mit China mit sensiblen Daten sehr bewusst umgehen.

Die nunmehr zentral zu jedem Unternehmen gesammelten Daten dienen als Grundlage für ein individuelles Unternehmensrating. Daraus leiten die chinesischen Behörden dann Sanktions- und Bonifizierungsmaßnahmen ab, die beispielsweise einen besseren oder schlechteren Zugang zu Bankkrediten oder öffentlichen Ausschreibungen bedeuten. Bereits seit mehreren Jahren werden Teile des Systems in einigen chinesischen Provinzen getestet. „Das System macht publik, wer ein aus rechtlicher Sicht einwandfreier Marktteilnehmer ist“, sagt Mike Goldammer, China-Experte bei Taylor Wessing. Unternehmen, die sich nichts zuschulden kommen lassen, können von dem neuen System also durchaus profitieren: Indem sie die Vorschriften einhalten, erreichen sie regelmäßig einen höheren Punktwert, der dann zum Beispiel dazu führen kann, dass sie einen einfacheren Zugang zu öffentlichen Aufträgen bekommen. Zudem helfe das System, schwarze Schafe unter den eigenen Geschäftspartnern zu erkennen, berichtet Goldammer von einem seiner Mandanten: Dem habe der Blick in die Einträge der Gerichtsdatenbank eines potentiellen neuen Lizenznehmers gezeigt, dass das Unternehmen schon häufiger wegen Patentrechtsverletzungen vor Gericht stand.

Marktöffnung geht nicht weit genug

Auf der einen Seite überwacht das kommunistische Regime also in- wie ausländische Unternehmen. Auf der anderen Seite öffnet es aber den Markt nach außen: Mitte des vergangenen Jahres wurde die Zahl der Branchen, in denen ausländische Unternehmen nicht oder nur eingeschränkt investieren dürfen, deutlich reduziert. Diese sogenannten Negativlisten umfassen seither nur noch 40 statt bislang 48 Sektoren. Zu den Bereichen, in denen der Marktzugang erleichtert wurde, zählen etwa der Bau und Betrieb von städtischen Gas- und Heizkraftleitungsnetzen oder die Beteiligung an innerchinesischen Seefrachtagenturen. Und auch bei Alltagsthemen hat sich einiges gebessert, berichtet Unternehmerin Alexandra Altmann: „Seit dem vergangenen Mai muss man die Visa für China zwar online beantragen und mehr Fragen als vorher beantworten – dafür ist es jetzt möglich, als Vielreisender ein bis zu zwei Jahre gültiges ‚Multiple Entry Visum‘ zu beantragen. Dies war vorher nur für ein Jahr möglich.“

Vielen Teilnehmern der Geschäftsklima-Umfrage der Deutschen Handelskammer gehen solche Erleichterungen aber nicht weit genug. Nur die Hälfte der befragten Unternehmen bewertet sie als positiv. „Nominell ist zwar in immer mehr Branchen ein freier Zugang zum Markt möglich“, sagt Handelskammer-Geschäftsführer Jens Hildebrandt. Von einer systematischen Marktöffnung sei China aber nach wie vor weit entfernt: „In der Realität gibt es zahlreiche Möglichkeiten für den chinesischen Staat, heimische Unternehmen bevorzugt zu behandeln.“ Das bestätigt auch ein Positionspapier der Europäische Handelskammer in China aus dem vergangenen Jahr: Demzufolge gebe es in China nach wie vor ein Rechtsystem, das staatliche Unternehmen gegenüber privaten und einheimische gegenüber ausländischen favorisiere und diesen etwa einen bevorzugten Zugang zu Kapital oder Lizenzen gewähre. Dieser staatliche Protektionismus ist gewollt – im Gegensatz zu den Auswirkungen des Coronavirus, das in den vergangenen Wochen und Monaten das Wirtschaftsleben in China weitgehend lahmlegte. Auch hier spüren die in China ansässigen deutschen Mittelständler deutliche Auswirkungen. „Die Zentralregierung hat Betriebsschließungen angeordnet – das betrifft auch uns“, sagt Eberhard Flammer von Elkamet. Julia Heuwieser beklagt deutlich höhere Transportkosten: „Etliche Fluggesellschaften haben ihre Verbindungen nach China eingestellt. Sinkende Frachtkapazitäten bedeuten immer steigende Preise.“

Doch allen Hiobsbotschaften zum Trotz – selbst wenn die chinesische Wirtschaft einen starken Einbruch erleiden sollte, dürften ihre Wachstumsraten deutlich über denen in Deutschland und vielen anderen europäischen Staaten liegen. So bleibt das Reich der Mitte für den deutschen Mittelstand auch weiterhin interessant. Auf den wachsenden Protektionismus haben sich die Unternehmen ohnehin längst eingestellt, weiß Jens Hildebrandt: „Um die Hürden zu überwinden, halten die Betriebe mittlerweile genügend Geld, Zeit und Personal vor – blauäugig geht heute niemand mehr nach China.“


Der Artikel stammt aus der März-Ausgabe von „Markt und Mittelstand“. Hier können Sie das Heft ab Freitag bestellen

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