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Deutschland wird wieder Kohleland

Russische Kohle soll auf dem Sanktionsindex landen. Doch in Deutschland wird die Kohle mehr denn je gebraucht. Ein vorgezogener Kohleausstieg, wie ihn die Ampelkoalition aus Klimaschutzgründen eigentlich geplant hatte, wird mehr und mehr unrealistisch. Es gilt die Regel: Wo die Versorgungssicherheit bedroht ist, hat die Nachhaltigkeit das Nachsehen.

Kohle kraftwerk mit Rauchschwade
Der Essener Konzern Evonik könnte sein firmeneigenes Kohlekraftwerk in Chemiepark Marl länger als geplant laufen lassen.

Der Chemiepark Marl im tiefsten Ruhrgebiet ist mit knapp zehn Quadratkilometern Fläche einer der größten in Deutschland. Seit mehr als 80 Jahren setzt der Spezialchemiekonzern Evonik hier auf Kohle als Energieträger, um Strom und Wärme für seine Werke zu erzeugen. Doch damit sollte Schluss sein: „Evonik beendet Kohlestromerzeugung mit neuem Erdgaskraftwerk und spart bis zu eine Million Tonnen CO2“, gab der Konzern im Hochsommer 2019 bekannt. Gemeinsam mit Siemens sollte stattdessen ein „neues hocheffizientes und modernes Gas- und Dampfturbinenkraftwerk“ errichtet werden. „Die Modernisierung unseres Kraftwerksparks ist ein wesentlicher Baustein für die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele von Evonik“, sagte Arbeitsdirektor Thomas Wessel damals.

Das war vorher. Eine Zeitenwende später, in der der Ukraine-Krieg dazu geführt hat, dass jeder in Deutschland darüber nachdenkt, wie sich die Abhängigkeit von russischem Gas vermindern lässt, klingt Evonik-Vorstand Christian Kullmann ganz anders: Der Essener Konzern könnte sein firmeneigenes Kohlekraftwerk in Chemiepark Marl länger als geplant laufen lassen. Es funktioniert ja noch gut. „Wir prüfen diesen Schritt intensiv, um so einen Beitrag zur Versorgungssicherheit mit Energie in Deutschland leisten zu können“, berichtet der Chef. Klar wird: Wenn die Versorgungssicherheit auf dem Spiel steht, hat die Nachhaltigkeit das Nachsehen. Und die als besonders dreckig verschriene Kohle erlebt eine Renaissance.

 

Versorgungssicherheit geht vor

Das gilt nicht nur im Montanland Nordrhein-Westfalen, wo die Kohle einst das schwarze Gold genannt wurde, sondern überall da, wo der Kohleabbau noch eine Rolle spielt. Vor allem die Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder mit Braunkohlerevieren sehen ihre Chance gekommen, noch einmal am Zeitplan für den Kohleausstieg zu rütteln. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) macht sich Gedanken, „ob die Zeitschiene für den Kohleausstieg 2030 real ist“.  Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) befindet in der „Sächsischen Zeitung“, die „Ausstiegsbeschlüsse zu Kohle oder Atomkraft müssten neu diskutiert“ werden. Man müsse „die Scheuklappen beiseitelassen, was Braunkohle und was Atom angeht“, sagt er. Der dritte im ostdeutschen Kohlebunde ist Reiner Haseloff (CDU). Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt glaubt nicht mehr an einen Kohleausstieg im Jahr 2030, wie ihn die Ampelkoalition anvisiert hatte: „Unter den gegebenen Bedingungen wird es nun wohl zur Makulatur.“ In der aktuellen Lage deutsche Kohlekraftwerke schnell abschalten zu wollen, halte er für unverantwortlich, sagte er der „Welt“.

Die Ministerpräsidenten vollziehen damit eine Wende, die ihnen Umfragen nahelegen. Steigende Energiepreise haben die Zustimmung zum Kohleausstieg bei der Bevölkerung im mitteldeutschen Revier nämlich deutlich sinken lassen. Beim Thema raschen Kohleausstieg haben die Befürworter in Befragungen jedenfalls ihre Mehrheit verloren. 48 Prozent stimmten in einer jüngsten Umfrage nur noch dafür.

 

Deutsche zweifeln am Kohleausstieg

In Nordrhein-Westfalen will sich die CDU/FDP-Regierung nicht ganz so klar positionieren – was an den Wahlen im Mai liegt. Der für Armin Laschet ins Amt gewechselter CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst ist derzeit bemüht, es allen recht zu machen. Er hält einen Kohleausstieg bis 2030 noch für möglich. Sein FDP-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart allerdings sagte im Handelsblatt, der doppelte Ausstieg aus Kohle und Kernkraft habe Deutschland „ein Klumpenrisiko beschert, aus dem wir uns herausarbeiten müssen“. Möglicherwies planen beide einen Kompromiss, der dann auch Strategie im Bund werden könnte: Die Kohlekraftwerke könnten die nächsten drei, vier Jahre unter Volldampf laufen, bis Alternativen gefunden seien. Anschließend ließen sie sich abrupter als geplant abschalten und den Ausstieg 2030 doch noch zu schaffen. Die Strategie wäre ähnlich wie etwa die der Bundesregierung beim Geldausgeben und der Schuldenbremse: Die Ausgaben werden schnell sprunghaft erhöht und sollen dann genauso schnell gestoppt, um die Verschuldung im Zaum zu behalten. Die Erfahrung zeigt, dass das meistens dann schief geht.

Das Hin und Her beim Kohleausstieg hat im bevölkerungsreichsten Bundesland Tradition und ist kein CDU-FDP-Phänomen. Auch die einstige rot-grüne Landesregierung unterstützte den Neubau des Kohlekraftwerks Datteln, das erst vor zwei Jahren ans Netz gegangen ist, als der Kohleausstieg schon beschlossene Sache war. Es wurde, wie man unter Nachbarn sagen würde, schwarz gebaut. Ein Gericht hat das im Nachhinein festgestellt, doch den Betreiber, Uniper kümmert es nicht. Und inzwischen gibt der Lauf der Geschichte dem Konzern sogar recht. Deutschlands modernstes Kohlekraftwerk schützt das Klima, weil es noch dreckigere Anlagen verhindert, lautet die Lesart, auf die man sich in NRW geeinigt hat. Wichtigster Kunde von Datteln ist übrigens die Deutsche Bahn, die von sich selber gern behauptet, grünen Strom zum Fahren zu benutzen.

 

Schwarz gebautes Kraftwerk

In der rot-grün-gelben Bundesregierung bemühte man sich lange um mehr Einigkeit. Ganz ist das auch nicht gelungen. Die Ampelkoalition im Bund hatte sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, „idealerweise“ bereits 2030 aus der Kohleverstromung auszusteigen. Sie entsprach damit einer Forderung der Grünen. Denn laut Kohleausstiegsgesetz muss der Ausstieg erst 2038 über die Bühne gegangen sein. Robert Habeck als zuständiger Wirtschafts- und Klimaminister hat sich für eine pragmatische Herangehensweise ausgesprochen. Er schließe nicht aus, dass Kohlekraftwerke länger laufen müssen, um das Land energiepolitisch unabhängiger von Russland zu machen. „Da muss der Pragmatismus jede politische Festlegung schlagen, die Versorgungssicherheit muss gewährleistet sein.“

Der Wirtschaftsminister spricht damit der Branche aus der Seele: Angesichts der Lage stünden „Krisenbewältigung und Energie-Versorgungssicherheit im Mittelpunkt“, sagt Kerstin Andreae, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). „Wir müssen alle Optionen prüfen, um unabhängig von Gas- und Kohlelieferungen aus Russland zu werden. Das schließt auch die Option ein, zur Sicherung der Versorgung eventuell Kohlekraftwerke aus der Sicherheitsbereitschaft zu aktivieren“, s meinte sie gegenüber dem Handelsblatt. Bei der Sicherheitsbereitschaft handelt es sich um stillgelegte Braunkohlekraftwerke, auf die Stromnetzbetreiber unter bestimmten Bedingungen zurückgreifen können. Dass das dem Ziel der CO2-Minderung im Weg stehen könnte, sieht sie ducrhaus. Sie benennt es nur anders: Man müsse, sagt sie, auch „mal einen Schritt zur Seite gehen“.

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