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Zukunftsmärkte > Innovationsstandort Deutschland

Deutschlands Innovationskraft: Große Ideen, kleine Erträge

Deutsche Erfindungen prägen die Welt, doch der wirtschaftliche Erfolg findet oft anderswo statt. Eine Analyse der Gründe und möglichen Lösungsansätze.

(KI-generiert Markt und Mittelstand)

Deutschland gilt als Land der Erfinder und Tüftler. Von der Kleinbildkamera bis zur mRNA-Technologie - viele bahnbrechende Innovationen haben ihren Ursprung hierzulande. Doch während die Ideen aus Deutschland kommen, werden die großen Gewinne oft im Ausland gemacht. Eine Analyse.

von Andreas Kempf

7. Platz von insgesamt 35 Volkswirtschaften

Auch bei den ersten Chatbots waren Wissenschaftler der Uni Kaiserslautern vorn mit dabei. Doch der wirtschaftliche Erfolg fand und findet dann nicht in Deutschland, sondern in Nordamerika oder Asien statt. Es scheint seit Jahrzehnten so, dass viele heimische Tüftler es nicht schaffen, aus einer bahnbrechenden Innovation auch ein großes Geschäft zu entwickeln. Zwar lobt der deutsche Maschinenbau die Bundesrepublik als bevorzugten Forschungsstandort, beklagt aber, dass zu viel Wissen zu leicht ins Ausland abwandert und dort dann zu Geld gemacht wird.

Deutschland belegt bei Schlüsseltechnologien den 7. Platz von insgesamt 35 Volkswirtschaften. „Länder wie Singapur, die Schweiz, Japan und China laufen uns hier den Rang ab", heißt es in einer Studie von Industrieverband BDI, Roland Berger, Fraunhofer ISI und dem Forschungsinstitut ZEW zur globalen Innovationskraft. Nur bei Nachhaltigkeit schaffen die Deutschen mit dem dritten einen der vorderen Plätze. Zu den Top-Themen zählen die Experten digitale Hardware und Vernetzung, neue Produktionstechnologien, Energie, Biotechnologie, Kreislaufwirtschaft und Neue Materialien. Im Innovationsranking der Studie liegt die Bundesrepublik auf Platz zwölf. „Deutschland verliert an Boden", urteilen die Experten der Studie. Die Spitzenplätze nehmen die Schweiz, Singapur und Dänemark ein. Es tröstet wenig, dass die USA erst auf Platz 18 auftauchen. Dort hat man notfalls das Geld, das Wissen der anderen einzukaufen.

„Die Welt beneidet uns um unser Wissenschaftssystem", sagt dennoch Holger Hanselka, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, in der Studie. Experten wie er verweisen auf das QS World University Ranking. Demnach hat kein Land so viele Hochschulen unter den besten 1300 der Welt wie Deutschland. Die Technische Universität München, die Ludwig-Maximilians-Universität München, die Universität Heidelberg, die Freie Universität Berlin und die RWTH Aachen liegen sogar unter den Top 100. Auch die Wirtschaft ist innovativ: Nach den Daten des Europäischen Patentamtes wurden hierzulande nach den USA die meisten Patente angemeldet, noch vor Japan und China. Dabei muss man auch berücksichtigen, dass viele Mittelständler ihre Innovationen gar nicht erst anmelden, um den Wettbewerbern keine Hinweise zu geben.

Grundlagenforschung, wie sie an den gelobten deutschen Universitäten entsteht, braucht allerdings eine sichere Basis. „Die Autonomie in der Forschung ist sehr wichtig", betont Patrick Cramer, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. „Immer wieder müssen wir der Politik erklären, wie langfristig diese angelegt ist. Es hilft nicht, wenn die Politik versucht, uns Themenfelder vorzuschreiben. Die Zukunft lässt sich nicht vorhersagen." Doch die Einrichtungen kämpfen um Geld. Nur zehn Prozent der Neuanstellungen sind mit einem festen Vertrag verbunden. In der Wirtschaft sind es nach dem jüngsten Bericht des Bundesforschungsministeriums 70 Prozent. Allerdings sind sie nicht sicher. So will etwa Bosch hunderte Entwicklungsingenieure und Software-Entwickler loswerden.

Bürokratie bremst mal wieder

Gleichwohl gibt es immer noch findige Menschen, die eine glänzende Idee haben, die die Menschheit voranbringen könnte. Doch der Standort Deutschland ist dafür schwierig. „Bill Gates fing in einer Garage an und hatte als junger Mann schon ein Weltunternehmen. Manche sagen mit bitterem Spott, dass sein Garagenbetrieb bei uns bereits an der Gewerbeaufsicht gescheitert wäre." So beklagte Bundespräsident Roman Herzog 1997, dass in Deutschland innovative Geister ausgebremst werden. Bürokratie ist gerade für Gründer eine hohe Hürde. Vorschriften für Produktion, Räume, Mitarbeiter, Lager, Buchhaltung und Dokumentation rauben Kraft, die man in den Firmenaufbau stecken sollte. Deshalb verkaufen manche ihre Ideen und überlassen es anderen, sie zum Erfolg zu bringen.

Wer sich durchkämpft, Produkte bis zur Serienreife vorantreibt, müsste dann auf großer Basis am Markt handeln. Dafür ist Geld nötig. Doch in Deutschland tun sich Gründer schwer, risikofreudige Investoren zu finden. Insgesamt sammelten heimische Start-ups 2024 gut sieben Milliarden Euro Wagniskapital ein. Das sind knapp eine Milliarde Euro mehr als im Vorjahr, aber weniger als 2022, als Start-ups nach einer Studie der Beratungsgesellschaft EY 9,8 Milliarden Euro Wagniskapital bekamen. Im Rekordjahr 2021 waren es 17,3 Milliarden Euro. Im internationalen Vergleich sind das überschaubare Summen. Für dieses Jahr wird erwartet, dass Venture-Capital-Gesellschaften weltweit 260 Milliarden Dollar investieren, mehr als 140 Milliarden Dollar davon in den USA.

Kein Wunder, dass es viele Gründer nach Nordamerika zieht oder sie Innovationen dorthin verkaufen oder Partner dort suchen. So arbeitet das Biotechnologieunternehmen Biontech aus Mainz mit dem Pharmakonzern Pfizer zusammen. Der Impfstoff gegen Corona war dabei eher ein Nebenprodukt, das die Kassen mithilfe der Amerikaner kräftig auffüllte. Biontech will mit mRNA-Technologie Mittel gegen Krebs entwickeln. Die ersten Produkte sollen 2026 auf den Markt kommen. Konkurrent Curevac aus Tübingen hatte es während der Pandemie allein versucht. Nun geht es nur noch mit Milliardenhilfe des US-Konzerns Glaxo weiter.

Die meisten Konzerne betreiben eigene Risikokapital-Töchter, die passende Gründer und Innovationen aufspüren und an sich binden. Mittelständler sind mit dieser personal- und kapitalintensiven Strategie in der Regel überfordert. Zudem prallen in der Praxis sehr unterschiedliche Welten aufeinander. Gründer arbeiten oft unkonventionell und kennen keine ausgefeilten Prozesse, die die Abläufe in etablierten Unternehmen bis ins Detail prägen.

Bayern Innovativ, eine Einrichtung des Freistaates, bringt beide Seiten besser zusammen. „Unsere Mittelständler, das sind Champions und Technologie- und Innovationsführer in ihrer Branche. Und das sollen sie auch zukünftig sein", erklärt Geschäftsführer Rainer Seßner. „Dazu vernetzen wir sie mit jungen Start-ups, die mit ganz neuen Ideen um die Ecke kommen und eine Lücke in den Fähigkeiten des Mittelständlers schließen – meist neben der eigentlichen Technologie." Oft wüssten die Unternehmen nicht, dass es bereits jemanden gebe, der die Lösung entwickelt habe, die man suche. Helfen soll zudem eine intensive Vorauswahl, sodass Firmen und Start-ups schon einmal grundsätzlich gut zueinanderpassen.

Am Puls der Quantencomputer

Moderne Technologien können auch so komplex sein, dass sie Unternehmen mit Milliardenumsätzen überfordern – etwa bei Quantentechnologie und damit verbundenen Mikrochips, deren Leistungsfähigkeit ganz neue Rechenmöglichkeiten bieten. Optikspezialist Carl Zeiss aus Oberkochen, Maschinenbauer Trumpf aus Ditzingen und Automatisierungsprofis Festo aus Esslingen haben deshalb ihre Kräfte im Start-up Qant in Stuttgart gebündelt. Ende Februar begann eine Pilotanlage, „photonische Chips" herzustellen. Sie bilden das Herzstück künftiger Quantencomputer. Zeiss und Trumpf entwickelten bereits gemeinsam das EUV-Lithografieverfahren, das derzeit als beste Technologie in der Halbleiterherstellung gilt. ASML aus den Niederlanden baut damit Maschinen, die 300 Millionen Euro kosten und Halbleiter von nur sieben Nanometern Größe herstellen können. Der Innovationsstandort Deutschland ist bei Zukunftstechnologien also noch rege.

Manche Themen müssen europaweit angefasst werden. KI zum Beispiel. Eine Initiative von Politik, Unternehmern und Investoren will 150 Milliarden Euro bereitstellen, die EU legt weitere 50 Milliarden Euro dazu. Offenbar erkennen Politiker, dass die USA und China hier zu enteilen drohen. US-Präsident Donald Trump hat seiner Industrie bereits einen bedingungs­losen Freischein ausgestellt.

Gleichwohl sind die Deutschen auch hier nicht völlig verloren. Als KI-Hoffnungsträger gilt das Heidelberger Start-up Aleph Alpha. Das Unternehmen, an dem sich die Deutsche Bank beteiligt hat, gilt als die europäische Antwort auf den ChatGPT-Betreiber OpenAI aus den USA. Im Neckartal zwischen Stuttgart und Tübingen entsteht ohnehin gerade eine ganze KI-Firmenlandschaft. Beteiligt sind die ansässigen Max-Planck- und Fraunhofer-Institute. Aber auch dort kämpfen die jungen Unternehmen über Monate mit Finanzierung, Förderanträgen, Rechtsvorschriften. Seit Herzogs Rede ist also kaum ein Ruck durchs Land gegangen.

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