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Zukunftsmärkte > Messe

Die beste Messe der Welt

Ganz große und ganz kleine Messen werden boomen. Dazwischen wird es schwierig. Auch wenn der Chef zur Auflockerung Plüschohren trägt.

Verspielter Auftritt: Der US-Cloudanbieter Salesforce lockt auf seiner Hausmesse schon mal mit hawaiianischen Klängen und den Red Hot Chili Peppers.© picture alliance / EPA | JOHN G. MABANGLO

Marc Benioff, charismatischer CEO des Cloud-Riesen Salesforce, betritt die Bühne des Moscone Centers in San Francisco. Die Halle ist mit 40.000 Teilnehmern brechend voll. Nach hawaiianischen Tänzen und Gesängen gibt es Informationen und Demos, dann spielt Musiklegende Lenny Kravitz zur Auflockerung vor jubelnden Fans. Am Abend geht es in das Football-Stadion Oracle Park, wo die Red Hot Chilli Peppers abrocken. „Das ist wie eine Wiedergeburt“, freut sich der Unternehmenschef. 2021 fand der Kongress nur vor einer Handvoll Teilnehmern statt, der Rest schaltete sich online zu. Niemand wagte eine Prognose, ob die Hausmesse des IT-Riesen jemals wieder alte Dimensionen erreichen würde.

Nach drei Tagen stand fest: Die Messe – mit ­parkähnlichen Außenbereichen, künstlichen Wasserfällen, Blockhäusern auf Kunstrasen und Eventflächen auf abgesperrten Straßen – war ein voller Erfolg. Die Stadt San Francisco spricht von 40 Millionen Dollar, die die Teilnehmer in Hotels, Bars und Restaurants gelassen haben. Es war 2022 möglicherweise die beste Messe der Welt.

„Sie haben uns gesagt, man werde nicht mehr reisen wie früher und man werde nicht mehr auf Messen gehen“, fasst Jens Heithecker die vergangenen drei Jahre zusammen. „Aber das war falsch.“ Der frühere langjährige Chef der Internationalen Funkausstellung (IFA) sieht Präsenzmessen im Aufwärtstrend. Über 160.000 Besucher kamen bereits zurück zur IFA nach Berlin. Die Erholung der Branche brauche aber Zeit, warnt Heithecker. Reiserestriktionen bei Unternehmen gingen erst langsam zurück.

Nach Angaben des Center for Exhibition Industry Research aus Dallas in Texas hatte das Business-to-Business-Messewesen in den USA 2019 mit 35 Millionen Teilnehmern gerade einen neuen Rekord aufgestellt, als die Pandemie alles ausradierte. Nur noch 7,4 Millionen Teilnehmer wurden 2020 gezählt. 2021 waren es 11,5 Millionen.

Diese Erfahrung hat die Branche verändert. Die Zukunft gehöre digital integrierten Messen, erklärt Heithecker. Das sind Präsenzmessen mit attraktiven digitalen Erweiterungen. Und es werde eine Polarisierung stattfinden, glaubt er. „Ganz große und kleine, hoch spezialisierte Messen werden den Markt unter sich aufteilen.“

Peter Jefimiec von Siemens Gamesa sagt: „Virtuelle Messen haben sich etabliert, aber sie werden persönliche Messen nicht ersetzen. Es wird sich eine Kultur der Hybridevents entwickeln.“ Jüngst habe Siemens Gamesa eine Machbarkeitsstudie für grünen Wasserstoff vorgestellt. „Das war dann für 40 Gäste vor Ort auf der Branchenmesse WindEnergy in Hamburg und gut 2000 Interessenten live online.“

Professionell umgesetzt und mit Unterhaltungselementen aufgewertet, könnten Digitalerweiterungen auch Hausmessen bei Mittelständlern, die sich keine Football-Stadien und Rockbands leisten können, optimieren. „Die Technologien sind da und auch nicht mehr so teuer wie früher.“ Messemanager Heithecker ergänzt: „Was die Inhalte angeht, können wir noch viel vom Fernsehen und den USA lernen.“

Generation TikTok übernimmt

Entertainment und lockeres Auftreten sind feste Bestandteile der Messen und Kongresse in den USA. Es muss nicht gleich wie bei Salesforce sein, wo der CEO mit weißen Plüschhasenohren auf dem Kopf wie nebenbei erwähnt, man habe erstmals SAP als weltweite Nummer eins bei Unternehmensapplikationen abgelöst. Nicht jeder Manager, nicht jede Managerin kann oder will so etwas. Aber: „Es muss nur authentisch rüberkommen“, sagt Jefimiec. „Dann werden auch spielerische Einlagen ernst genommen.“ Die Generation TikTok übernimmt.

Für Hans Elstner von der thüringischen Rooom AG ist das Metaverse, eine volldigitale Welt, sogar prädestiniert, um Ängste und Hemmungen abzubauen. Die Akteure sind als Avatare, als digitale Abbilder, unterwegs, erklärt er im Gespräch. „Ein Avatar kann sich Plüschohren aufsetzen, ohne peinlich zu wirken.“ Rooom hat nach eigenen Angaben 260 zahlende Kunden, davon 210 Mittelständler. 50 Prozent der Installationen seien virtuelle Showrooms für Produkte oder Dienstleistungen, dazu viele Events. Große Kunden wie Porsche oder die Deutsche Telekom experimentieren auch mit Formaten, wovon dann kleine Kunden später profitieren. Eine weltweite Beratungsgesellschaft habe von ganztägigen Mitarbeiterevents umgestellt auf vier Tage, mit nur jeweils zwei Stunden pro Tag, sagt Elstner. Digitale Präsenz kann auf Dauer enorm anstrengend sein.

Das Maß an Unterhaltung ist nicht das Einzige, was deutsche und US-Veranstaltungen unterscheidet. Deutsche Messen sind Nachfahren der Marktfeste aus dem Mittelalter, wo man sich traf, um Handel zu treiben. Heute organisieren diese Treffen nicht mehr Gemeinden, sondern Messebetreiber. In den USA wurden Messen traditionell von Branchenverbänden betrieben. So wie die Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas, vor der Pandemie die mit Abstand größte Messe der USA. Für Messekunden, sagt Profi Heithecker, sei das nicht unwichtig. In den USA regierten Branchenverbände ihre Messen allein. In Deutschland stünden Veranstalter in direkter Konkurrenz. Das halte die Preise niedrig und zwinge, effektiv zu arbeiten.

Eng wird es für rein mittelständische Hausmessen. Sie sehen sich überall Problemen gegenüber. Viele Kunden haben weder Zeit noch Geld, um reihenweise Hausmessen zu besuchen. Dazu kommen, wie Heithecker weiß, versteckte Kosten einer eigenen Veranstaltung, die „oft krass unterschätzt werden“. Dazu kommt die Angst, als kleiner Aussteller schlicht unbeachtet zu bleiben. Doch Heithecker sieht viele Möglichkeiten, sich medial abzuheben: „Im Mittelstand kennt man sich untereinander. Selbst Konkurrenten im Markt können sich zusammenschließen und eine kombinierte Pressekonferenz oder Präsentation halten.“ Not machte schon immer erfinderisch.

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