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Die Bundeswehr schießt sich selbst ins Bein

Die Bundesregierung will mit 100 Milliarden Euro die Bundeswehr modernisieren. Doch eine schnelle Umsetzung droht am bürokratischen Beschaffungssystem zu scheitern. Zudem kochen deutsche Militärs gern ihre eigene teure Suppe.

Der Sprecher einer bayerischen Waffenschmiede ist entwaffnend ehrlich: „Die Nachricht hat uns völlig überrascht“, sagt er stellvertretend für die gesamte Branche und meint die Aufrüstungsbemühungen, die die Bundeswehr mit einmal bewältigen soll. Von so einem drastischen Kurswechsel hatte man bis vor einer Woche nicht mal zu träumen gewagt. Jetzt warten die Unternehmen auf detaillierte Informationen, wann und wie das milliardenschwere Sondervermögen die meist mittelständisch geprägte Branche erreichen soll. „Aktuell beraten die Fachleute im Verteidigungsministerium, welche Dinge schnell beschafft werden müssen, um die die Bundeswehr wieder einsatzfähig zu machen“, erklärt Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. (BDSV), der 220 Unternehmen vertritt.


Der Kurswechsel kommt bei der Branche prinzipiell gut an. Allerdings machen die Firmenvertreter deutlich, dass die politische Kehrtwende jetzt mit einem strukturellen Umdenken bei der Bundeswehr und vor allem deren Beschaffungswesen einhergehen muss. „Die Beschaffung ist derzeit stark juristisch gesteuert“, sagt ein Unternehmenssprecher, der damit nicht namentlich zitiert werden möchte. Bei jedem Gespräch mit der Bundeswehr säßen Anwälte dabei, um ja keine Fehler zu machen. Militärische Beschaffung sei vor allem eine Sache von Paragraphen und Gesetzen.


Diese Auswüchse haben sich die Unternehmen allerdings zum Teil selbst zuzuschreiben. Über Jahre wurde der Bundeswehr milliardenschwerer Schrott angedreht. Fehlerhafte Flugzeuge, Schützenpanzer mit langen Mängellisten, Hubschrauber, die mehr stehen als fliegen, Gewehre, die sich bei Gebrauch verziehen. Unter der Ägide von Ursula von der Leyen wurde deshalb ein engmaschiges Kontrollsystem eingeführt, das verhindern soll, dass die Armee weiterhin über den Tisch gezogen wird. Mit dem Kollateralschaden, dass das Material überhaupt nur noch tröpfchenweise bei der Truppe ankam.


Soll es künftig zügig vorangehen, dann erwarten die Unternehmen eine wesentliche Vereinfachung des Beschaffungswesens. Derzeit bestehen mit den zivilen Lieferanten rund 12.500 Verträge. „Davon betreffen 11.000 jeweils ein Volumen von weniger als 500.000 Euro. Aus Sicht der Bundeswehr also eher Kleinkram“, erklärt Atzpodien. Das könne man im Rahmen von standardisierten Musterverträgen wesentlich beschleunigen.  Derzeit aber unterliegt jede einzelne Bestellung einer umfangreichen juristischen Prüfung, obwohl die Güter Routine sind. „Die amerikanischen Kollegen verzweifeln, wenn sie mit der deutschen Bürokratie konfrontiert werden“, berichtet ein Insider. Das passt nicht zum neuen Anspruch der Bundesregierung, die Bundeswehr zügig zu modernisieren. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) hat hier eine Aufgabe vor sich, an der ihre Vorgängerinnen Annegret Kramp-Karrenbauer und Ursula von der Leyen (beide CDU) weitgehend gescheitert sind.


So blockierte Uneinigkeit zwischen den Bestellern Bau und Lieferung von neuen U-Booten, die gemeinsam mit Norwegen bei Thyssen-Krupp Marine-Systems geordert werden sollten. Weil sich die Beteiligten offenbar nicht auf die genauen Anforderungen an die Tauchboote einigen können, ging der Auftrag nicht raus. Keine Lösung in Sicht war lange auch beim Thema Drohnenabwehr. Die Flugabwehrpanzer Gepard wurden ausgemustert, moderne Nachfolger fehlten. Dabei spielen Drohnen in Kriegen eine entscheidende Rolle. Das vorhandene System „Ozelot“ bezeichnete das Verteidigungsministerium selbst als „veraltet und unzureichend“. In eine Modernisierung des Patriot-System sollte erst ab 2023 Geld gesteckt werden. Für den Aufbau eines eigenen Systems, was die Bundesweher mit anderen Armeen in der EU angehen will, fehlen aber bislang vier Milliarden Euro.
Geradezu grotesk ist bisher, was den findigen Bundeswehr-Beschaffern manchmal als Ausweg aus der Dauerkrise einfällt. So braucht die Marine für ihre durstige Flotte neue Tankschiffe, die beiden vorhandenen „Treibstofftransportschiffe“ mit den Namen „Rhön“ und „Spessart“ sind umgebaute zivile Öltanker aus den siebziger Jahren. Langsam geht an ihnen jede Menge kaputt, für neue Tankschiffe standen bislang rund eine halbe Milliarde Euro zur Verfügung. Weil die vorliegenden Angebote aber fast doppelt so teuer waren, sollten Billig-Versionen die alten Kästen ersetzen: mit weniger Bewaffnung, mit größerem Tiefgang und geringerem Transportvolumen als geplant.


Die Bundeswehr selbst räumt im Einsatzbericht aus dem vergangenen Oktober ein, dass bei den 71 wichtigsten Waffensystemen jedes Fünfte nicht einsatzfähig ist. Das sieht man schon positiv, war es ein Jahr zuvor noch jedes Vierte. Würde man lediglich die längst fälligen Ersatz- und Reparaturmaßnahmen jetzt umsetzen, wäre schon fast die Hälfte des Sondervermögens weg. Derzeit klafft eine Lücke von mehr als 42 Milliarden Euro zwischen den eigentlich notwendigen Anschaffungen und dem bis Ende Februar tatsächlich eingeplanten Etat.


Die Bürokraten im Beschaffungswesen sind allerdings nicht die einzige Hürde, die es auf dem Weg zu einer modernen und schlagkräftigen Verteidigung zu nehmen gilt. Oft steht sich die Truppe selbst im Weg. So geben sich die Einkäufer auf der Hardthöhe in Koblenz ungern mit Systemen aus dem Lieferantenregal zufrieden. Es darf gerne etwas mehr sein. Die deutsche „Goldrandlösung“, wie sie unter Insidern gerne genannt wird, führt dazu, dass Anschaffungen besonders teuer werden – oder erst gar nicht zu Stande kommen. Der Kauf eines amerikanischen Transporthubschraubers, scheiterte an der Frage, ob Fahrzeuge einfach an einem Seil aufgehängt oder im Inneren verfrachtet werden. Inklusive aller entsprechenden deutschen Transportvorschriften. Lange wurde an der „germanischen Luxusversion“ – wie es im Ausland spöttisch heißt - getüftelt. Am Ende scheiterte die Beschaffung an den überbordenden Kosten für den Hubschrauber mit Goldrand. Dem Vernehmen nach schaut man sich jetzt wieder die Basisversion an.


Inzwischen legendär ist der Bau des Transportflugzeugs A300M. Die deutschen Militärs haben Airbus und deren Zulieferer mit immer neuen Nachbesserungen traktiert. Wobei solche Sonderwünsche für die Industrie bisweilen auch sehr lukrativ sind, denn sie kommen auf den vereinbarten Betrag obendrauf. Und so galoppieren die Kosten davon. „Am Ende weiß man nicht mehr, was Henne und was Ei war“; beschreibt Atzpodien, wie im Laufe der Zeit der Überblick verloren geht. Die Goldrandmentalität führt beispielsweise dazu, dass die Bundeswehr das in der ganzen Welt genutzte Flugabwehrsystem „Patriot“ nicht einfach nutzen kann. Die deutsche Version wurde in wichtigen Bereichen neu konzipiert und muss extra adaptiert werden.
Solche Umbauten sichern zwar manche Beschäftigung in Deutschland. Doch es ist fraglich, ob solche Extratouren wirklich sein müssen. Denn sie kosten Zeit und Geld. Am Ende steht die Truppe sogar mit leeren Händen da und muss zu skurrilen Notlösungen greifen. So wird jetzt das analoge Funkgerät SEM 80/90 aus den 1980er Jahren für 600 Millionen Euro nachgebaut. Offiziell gibt man den komplexen Vergabeverfahren die Schuld. Alles müsse europäisch ausgeschrieben werden, heißt es von der Hardthöhe. Da sei der Nachbau des Oldtimers schneller umzusetzen gewesen. Fragt sich nur, warum denn dann die Verbündeten aus anderen Nato-Länder längst digital kommunizieren können.


Der Branchenverband lässt den Verweis auf die europaweite Ausschreibung nicht gelten. Andere Länder würden auf die nationale Sicherheit verweisen und vergeben die Aufträge schnell national. So hat Paris 2017 unter dem kurz zuvor gewählten Emanuel Macron eine „Revue Stratégique“ beschlossen, in dessen Rahmen eine „starke industrielle und technologische Grundlage“ definiert wird. Dem folgend sollen vor allem französische Unternehmen den eigenen Streitkräften zuliefern. Die Branche sieht sich grundsätzlich in der Lage, die Bundeswehr zügig mit neuem Gerät auszustatten. Das gilt vor allem für Munition, Feuerwaffen, und Ausrüstung. „Der gute Wille ist riesig“, betont der BDSV-Hauptgeschäftsführer. Viele Unternehmen könnten flexibel reagieren. Doch es gäbe natürlich auch Kapazitätsgrenzen. „Eine verlässliche Planung, würde vieles erleichtern“, so Atzpodien. Immerhin müssten in einigen Fällen die Produktionsanlagen erweitert und zusätzliches Personal gefunden und eingestellt werden.  


Der Branchenverband mahnt einen Mentalitätswechsel bei der Beschaffung an. Das beginne mit dem Beschaffungsansatz. „Statt am grünen Tisch einen Wunschzettel auszufüllen, wäre es sinnvoller die Industrie zu fragen, was denn im vertretbaren Rahmen machbar ist. Im Zweifel bleiben dann mal teure Sonderwünsche weg“, betont Atzpodien. Das ermögliche den Unternehmen zudem, die Produkte auch international anbieten zu können, was am Ende die Kosten weiter senke. Der Schützenpanzer „Puma“ belegt, wie die heutige Wirklichkeit aussieht. Das für die Bundeswehr konzipierte Fahrzeug ist so komplex und teuer, dass es niemand auf der Welt übernehmen will. Von der Planung bis zur Bestellung müssten deshalb klare Prozesse hinterlegt werden, die einen zügigen Ablauf sicherstellen, erklärt Atzpodien: „So wie das jeder wirtschaftlich arbeitende Betrieb auch macht.“   

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