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Die Spielregeln der grünen Transformation mitgestalten

Normen und Standards helfen Unternehmen beim Klimaschutz.

Normen und Standards helfen Unternehmen beim Klimaschutz. Bild: Shutterstock

Überschwemmungen, Waldbrände, Dürren: Der Klimawandel ist deutlich spürbar und die Uhr tickt. Im Pariser Klimaabkommen haben sich die teilnehmenden Staaten dazu verpflichtet, die Erderwärmung bis 2100 auf deutlich unter zwei Grad Celsius – im besten Fall auf 1,5 Grad – zu begrenzen. Zu hohe Treibhausgasemissionen und knapper werdende Ressourcen zwingen Politik und Wirtschaft zu schnellem Handeln: Bis 2050 soll die EU klimaneutral sein, also eine Netto-Treibhausgasbilanz von null haben. Jetzt sind auch Unternehmen gefragt, ihre Prozesse und Produktionsweisen noch stärker auf Nachhaltigkeit auszurichten.

 

Die Chance am Schopf packen

Klar ist: Die grüne Transformation erfordert auch neue Technologien und Geschäftsmodelle. Gerade für mittelständische Unternehmen ist das eine große Chance, nicht nur ihrer ökologischen und gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen, sondern völlig neue Produktbereiche und Märkte für sich zu erschließen. Hier gilt: Wer die Norm hat, hat den Markt. Normen und Standards sind ein wichtiges strategisches Instrument, weil sie den Stand der Technik abbilden und gewährleisten, dass neue technische Lösungen miteinander kompatibel sind. Das macht einen effizienteren Einsatz von Ressourcen möglich und minimiert Risiken bei Investitionsentscheidungen. Einheitliche technische Regeln stellen zudem sicher, dass Unternehmen über den Globus hinweg reibungslos zusammenarbeiten können und schaffen Vertrauen in neue, klimafreundliche Technologien. Jetzt geht es darum, Ideen und Vorstellungen zu teilen, die Spielregeln festzulegen und die Zukunft aktiv mitzugestalten. Entscheider*innen müssen sich also fragen: Welche Normen und Standards sind oder werden für die grüne Transformation in meiner Branche wichtig? Wie wird das eigene Unternehmen dadurch beeinflusst? Und welchen Beitrag kann ich selbst leisten, um Normen und Standards auf den Weg zu bringen, die zum Klimaschutz beitragen?

 

Transparenz schaffen

Der gute Wille allein reicht längst nicht mehr: Unternehmen müssen verstärkt Rechenschaft darüber ablegen, ob sie nachhaltig handeln – und zwar entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette. Zertifizierungen auf Basis bestehender Normen erlauben es beispielsweise, die eigenen Partner in der Lieferkette besser zu evaluieren. Nicht zuletzt wird Nachhaltigkeit auch für Endverbraucher*innen ein immer wichtigerer Faktor: Eine Studie[FW1]  einer Unternehmensberatung aus dem Jahr 2021 belegt, dass Nachhaltigkeit bei 58 Prozent der in Deutschland befragten Konsument*innen als wichtiges beziehungsweise sogar sehr wichtiges Kaufkriterium eingestuft wird. Indem sie Normen einhalten, können Unternehmen beweisen, dass sie Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Das schafft Vertrauen in Produkte und fördert den Absatz.

 

Ein Blick in die Branchen

Schon heute gibt es zahlreiche Normen, die in unterschiedlichen Branchen zum Klimaschutz beitragen – zum Beispiel in der Automobilindustrie. Hier muss die Dekarbonisierung sowohl auf Unternehmens- als auch auf Produktseite massiv vorangetrieben werden. Dafür ist es notwendig, die Umweltauswirkungen eines Produktes über den gesamten Lebenszyklus hinweg zu bestimmen, sprich wie viele Emissionen bei der Entwicklung, Herstellung, Nutzung sowie der anschließenden Verwertung freigesetzt werden. Zur Berechnung der Umweltauswirkung können internationale Normen wie die ISO 14044 herangezogen werden. Die Herausforderung dabei: Die Emissionsberechnung muss über die gesamte Wertschöpfungskette stattfinden, zudem muss eine einheitliche Berechnungsmethodik gewährleistet sein, damit die Produkte am Markt vergleichbar sind. Umso wichtiger ist es, dass sich hier alle am Wertschöpfungsprozess Beteiligten aktiv einbringen und zügig einheitliche Anforderungen und Regeln erarbeiten, die auch international gelten. Denn Klimaneutralität bis 2050 bedeutet auch, dass die bis dahin im Markt befindlichen Produkte so weit wie möglich dekarbonisiert sein sollten. Geht man von einer Nutzungsdauer von zehn Jahren aus, müssen also schon Produkte, die 2040 auf den Markt kommen, klimaneutral sein. Zieht man hier noch einmal eine Produktentwicklungszeit von sieben bis acht Jahren ab, steigt der Handlungsdruck spürbar. Die Zeit zu handeln ist deshalb jetzt. Auch kleine und mittelständische Unternehmen sollten sich mit bestehenden Normen und Standards zur Berechnung des sogenannten Product Carbon Footprint vertraut machen. Mit dem Ziel, die Dekarbonisierung der eigenen Produkte in den Produktentwicklungsprozess zu integrieren – denn nur so können sie die Zukunftsfähigkeit der Produkte sicherstellen.

 

Ein Selbstläufer ist Standardisierung jedoch nicht, teils braucht es noch bessere Abstimmung, das zeigt beispielhaft ein Blick in die Finanzindustrie: Unternehmen müssen gemäß der neuen Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der Europäischen Kommission künftig nicht nur die Wirkung von Nachhaltigkeitsaspekten auf die wirtschaftliche Lage des Unternehmens verdeutlichen, sondern auch die Auswirkungen des eigenen Betriebs auf Nachhaltigkeitsaspekte offenlegen. Ab 2024 betrifft diese Pflicht rund 50.000 europäische Unternehmen, 15.000 davon allein in Deutschland. Doch bei den dafür nötigen einheitlichen Berichtsstandards gibt es Optimierungspotenzial: Die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) soll diese Standards im Auftrag der EU erarbeiten – das geschieht bislang jedoch ohne ausreichende Anbindung an die internationalen und europäischen Normungsorganisationen. Das birgt das Risiko ineffizienter Prozesse und von Doppelnormung.

 

Spielregeln für mehr Klimaschutz

Die beiden Beispiele zeigen: Um Unternehmen hinsichtlich Nachhaltigkeit vergleichen zu können, sind international einheitliche und branchenübergreifende Standards essenziell. Nur so lässt sich sicherstellen,

dass beispielsweise Kennzahlen in der Automobilindustrie gleich erhoben werden wie in der Finanzindustrie, die die Automobilhersteller und deren Lieferketten finanziert. Ist diese Einheitlichkeit jedoch gewährleistet, sind Normung und Standardisierung ein signifikanter Hebel für Unternehmen, Wirtschaft, Politik und weitere Akteure, um einen wertvollen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.

<link https: www.simon-kucher.com sites default files studies simon-kucher_global_sustainability_study_2021.pdf>

Christoph Winterhalter ist seit 2016 Vorstandsvorsitzender des Deutschen Instituts für Normung e. V. (DIN) und Vizepräsident Policy der ISO International Organization for Standardization. Er setzt sich für eine aktive Beteiligung von Unternehmen an der Normung ein, um die grüne Transformation voranzutreiben und den Klimawandel und zu bekämpfen.

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