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Zukunftsmärkte > Insolvenzen und Substanzverlust: Deutschlands Wirtschaft in der Krise

Die Spitze des Eisbergs

11.000 Insolvenzen im ersten Halbjahr zeigen nur die Spitze des Eisbergs. Ein tieferer Substanzverlust bedroht Deutschlands Wirtschaft.

Die deutsche Wirtschaft im Höhenflug... Bildnachweis: picture alliance / dieKLEINERT | Kostas Koufogiorgos

Allein im ersten Halbjahr haben mehr als 11.000 Unternehmen den Gang zum Insolvenzgericht antreten müssen. Das ist der höchste Wert seit zehn Jahren. Galeria Kaufhof und FTI Touristik sind nur die prominentesten Beispiele. Unter den Dienstleistern und in der Baubranche sind die Pleiten um gut ein Drittel im Vergleich zum Vorjahr hochgeschnellt. Im Handel ist die Zahl der Insolvenzen um 20 Prozent angestiegen.

Pleiten gehören prinzipiell zum Wirtschaftsgeschehen dazu. Vor allem in schlechten Zeiten fallen jene Betriebe durch den Rost, die zuvor auch schon auf tönernen Füßen standen. Fehlende Substanz, überholte Geschäftsmodelle oder eine falsche Strategie sind meist die Gründe, warum Firmen in Schieflage geraten. Während der Pandemie konnten sich einige Dank der staatlichen Hilfen über Wasser halten. Das hat in den vergangenen Jahren das Bild über die Lage etwas verfälscht. Somit erleben wir jetzt eine Marktbereinigung, die ohnehin fällig war.

Also kein Grund zur Aufregung? Aufhorchen lässt die Analyse der Wirtschaftsauskunft Creditreform, die die Entwicklung der Insolvenzen auswertet. Dessen Urteil lautet: Die Unternehmensstabilität in Deutschland ist derzeit wackelig wie seit vielen Jahren nicht mehr. Die Rezession, gestiegene Kosten für Energie, Personal und Bürokratie zudem eine durch gestiegene Zinsen wesentlich teurere Refinanzierung sind eine toxische Mischung – nicht nur für angeschlagene Betriebe. Die Pleitewelle trifft also eine ohnehin angeschlagene Gesamtwirtschaft. Die 11.000 Insolvenzen bedeuten, dass abertausende von Gläubigern auf Ihren Forderungen sitzen bleiben und nun ebenfalls noch mehr Probleme bekommen. Es droht also ein Dominoeffekt.

Die deutsche Wirtschaft verliert aber nicht nur Unternehmen durch Insolvenzen. Im vergangenen Jahr haben 176.000 Unternehmen aufgegeben. Nur elf Prozent mussten wegen einer Insolvenz schließen. Tausende von Arbeitsplätzen, Milliarden an Steuer- und Rentenzahlungen verschwinden leise und fallen allenfalls durch immer mehr Leerstände in den Städten, fehlende Handwerksbetriebe und mangelnde Dienstleistungen – beispielsweise in der Pflege - auf. Der stille Aderlass wird zudem von jenen Unternehmen verstärkt, die wegen der schlechten Bedingungen hierzulande ihre Fertigungen und Entwicklungsabteilungen ins Ausland verlagern. Das wirft ein fragwürdiges Licht auf den Gesamtzustand der deutschen Wirtschaft. Die ist im Rückwärtsgang, während sich die Volkswirtschaften in anderen Ländern positiv entwickeln.

Somit sind die Insolvenzen nur die Spitze des Eisbergs. Was Sorge bereiten muss, ist der wesentlich größere Substanzverlust der deutschen Wirtschaft. Der ist nicht nur konjunkturgegeben, wie die Politik gerne glauben machen will. Für viele Unternehmer lohnt es sich schlicht nicht mehr, hierzulande einen Betrieb zu führen. In dem Zusammenhang sei daran erinnert, dass allein bis 2027 laut KfW jährlich rund 125.000 kleine und mittelgroße Unternehmen eine Nachfolgelösung finden müssen. Das stellen sich derzeit viele die Sinnfrage.

Es geht also um deutlich mehr als nur um ein paar Unternehmer, die ihren Laden mangels Masse zusperren müssen. Es geht ums Grundsätzliche. Zu lange wurde Wirtschaftspolitik eher halbherzig betrieben. Dieses Versäumnis reicht weit in die Zeiten der großen Koalitionen zurück. So ist bezeichnend, dass in Berlin der Finanzminister in Wirtschaftsfragen mehr Gewicht hat als der Ressortchef selbst. Es besteht Reformbedarf: dringend! Weniger Bürokratie, bessere Infrastruktur und Ausbildung sowie eine offensive Anwerbung von Fachkräften sind nur einige Stellschrauben. Es braucht ein positives Investitionsklima im Land, wobei der Staat endlich offensiv vorangehen muss. Bleibt es beim trägen „Weiter so“ schafft sich der Wirtschaftsstandort Deutschland weiter Betrieb für Betrieb von selbst ab.

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