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Zukunftsmärkte > ifW-Präsident Gabriel Felbermayr im Interview

„Die WTO leidet unter einem fundamentalen Konstruktionsproblem“

Die Welthandelsorganisation WTO soll den internationalen Freihandel fördern. Durch die Blockadepolitik der USA ist sie dazu derzeit nur bedingt in der Lage. Für ifW-Präsident Gabriel Felbermayr ist das nicht das einzige Problem der WTO. Er fordert eine grundlegende Reform.

Handelsembargos, Strafzölle, Freihandelszonen: Der Welthandel ist in Bewegung. Für Unternehmen mit Exportgeschäft bedeuten die sich häufig ändernden Rahmenbedingungen aber auch massive Unsicherheiten. Aktuellen Anlass zur Besorgnis gibt die Schwächung der Welthandelsorganisation (WTO). Weil US-Präsident Donald Trump die Ernennung neuer Berufungsrichter blockiert, ist die zweite Instanz des WTO-Schiedsgerichts unterbesetzt und faktisch arbeitsunfähig. Das wirkt sich auch auf das Exportgeschäft des deutschen Mittelstandes aus. Wo die Probleme der WTO liegen und wie deutsche Unternehmen am besten damit umgehen können, erklärt Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (ifW), im Interview.

Die WTO ist derzeit handlungsunfähig. Welche Auswirkungen hat das für deutsche Unternehmen?

Das Schiedsgericht der WTO soll Handelskonflikte zwischen zwei Staaten sowie zwischen einem Staat und einem Unternehmen schlichten. Nun, da es gelähmt ist, bleibt die handelspolitische Willkür eines Staates möglicherweise ungeahndet – und ruft Nachmacher auf den Plan. Für Mittelständler, die in ihren Export- und Handelsbeziehungen auf sichere und faire Rahmenbedingungen angewiesen sind, beinhaltet das viele Risiken. Denn wer sich nicht darauf verlassen kann, dass morgen noch dieselben Handelsregeln gelten wie heute, riskiert mit jedem neuen Exportauftrag die eigene Geschäftsgrundlage. Trotzdem würde ich es nicht überdramatisieren, dass das Schiedsgericht aktuell handlungsunfähig ist. Staaten haben die WTO-Urteile auch in der Vergangenheit häufig nicht beachtet. Es gibt keine Welthandelspolizei, die sie durchsetzt. 100-prozentige Sicherheit gab es also vorher auch nicht.

Nun ist die Entwicklung bei der WTO ja nicht das einzige Problem, mit dem sich der Mittelstand derzeit herumschlagen muss.

Das stimmt leider. Seit Anfang 2018 erleben wir einen noch nie dagewesenen Vertrauensverlust im Welthandel. Seitdem brechen die USA – immerhin die größte Volkswirtschaft der Welt – fortlaufend die geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze der WTO. Dass es nicht lange gedauert hat, bis auch andere Länder dem schlechten Beispiel gefolgt sind und ihre Verpflichtungen ignorieren, ist da kein Wunder.

 

Welche Gesetze werden konkret gebrochen?

Laut Artikel 21 des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens der WTO darf ein Land, das sich in seiner nationalen Sicherheit bedroht fühlt, Handelsbarrieren einführen. Mit diesem Artikel hat US-Präsident Donald Trump die Strafzölle auf chinesische Waren ebenso begründet wie diejenigen gegen europäischen Stahl und Aluminium. Natürlich ist allen Beteiligten klar, dass die nationale Sicherheit der USA durch diese Importe nicht bedroht war und dass der Artikel nur als Vorwand diente. Trotzdem hat er mit seiner Politik das Tor zur unrechtmäßigen Anwendung von Artikel 21 geöffnet: Russland, Pakistan, Südafrika und Indien haben ihn seitdem auch als Grundlage für protektionistische Politik angeführt und den freien Handel dadurch massiv eingeschränkt.

Müssen deutsche Unternehmen ihr Exportgeschäft nun anders aufstellen?

Gegen handelspolitische Unsicherheiten kann man sich nicht absichern, zumindest nicht mit einer Hermesdeckung oder anderen Policen. Der einzige Hebel, den deutsche Unternehmen gegen Protektionismus haben, ist der Aufbau lokaler Produktionskapazitäten in wichtigen Märkten. Wer vor Ort fertigt, dem können Exportschranken nichts anhaben.

Klingt nach einer teuren Lösung.

Das ist sie auch – und unsicher noch dazu. Denn so wenig sich Unternehmen auf freie Märkte verlassen können, so wenig sind auch die eingeführten Barrieren von Dauer. So oft wie im Handelskrieg zwischen den USA und China die Zollsätze und -bedingungen angepasst wurden, kann kein Unternehmen seine Strategie ändern. Die Gefahr besteht also, dass ein deutscher Mittelständler viel Geld in eine chinesische Fabrik steckt, dann die Exportschranken aber wieder fallen und er keinen Vorteil durch die Investition hat. Aus diesem unternehmerischen Dilemma gibt es derzeit leider keinen Ausweg.

Sollten Unternehmen ihre Handelsbeziehungen diversifizieren, um die Risiken in den einzelnen Märkten zu senken?

Theoretisch klingt das gut. Praktisch hat der deutsche Mittelstand seine Exportbeziehungen aber ohnehin schon sehr breit geknüpft. Viel diverser geht es nicht. Trotzdem bleiben einige wenige Märkte – zum Beispiel die USA – deutlich wichtiger als viele kleine. Und die Verwundbarkeit, wenn sich in diesen wichtigen Märkten die Rahmenbedingungen ändern, ist hoch.

Dann heißt es für Unternehmen also nur: abwarten?

Genau. Einige Experten gehen davon aus, dass Donald Trump in einer zweiten Amtszeit neue Handelsabkommen schließen und die USA nicht weiter abschirmen würde. Wenn das so kommen sollte, könnte sich vieles normalisieren. Doch um eine Unternehmensstrategie danach auszurichten, ist diese Theorie zu vage. Denn es könnte auch sein, dass alles noch weiter in den Protektionismus gleitet.

Vor diesem Hintergrund scheint ein neutrales globales Rechtsorgan wie die WTO wichtiger denn je. Trotzdem hat auch die EU die Organisation häufig kritisiert und Reformen angemahnt. Warum?

Bei der Kritik der EU geht es unter anderem um die Förderung von Entwicklungsländern. Diese genießen im Rahmen ihrer WTO-Mitgliedschaft insofern eine Sonderbehandlung, als sie geringere Zölle zahlen müssen und gesonderte Unterstützung der WTO erhalten. China zum Beispiel hat davon maßgeblich profitiert. Und obwohl China mittlerweile eindeutig kein Entwicklungsland mehr ist, nimmt seine Regierung weiterhin alle Vorteile für sich in Anspruch. Das kritisieren Europa und die USA massiv – meiner Meinung nach zu Recht. Zudem sind die WTO-Regeln zu Subventionen überholt. Länder sollten nicht unbegrenzt eigene Industriezweige subventionieren dürfen. Denn damit schalten sie den globalen Wettbewerb aus.

Wie wahrscheinlich ist es, dass die WTO gemäß dieser Forderungen reformiert wird?

Meiner Meinung nach leidet die WTO unter einem fundamentalen Konstruktionsproblem, das im laufenden Betrieb kaum behoben werden kann. Bei ihrer Gründung im Jahr 1995 war man davon ausgegangen, dass es global keinen Systemwettbewerb mehr gebe, sondern sich die Marktwirtschaft überall durchsetze und Volkswirtschaften miteinander kompatibel mache. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass diese Annahme naiv war: Der Staatskapitalismus erlebt in China und Russland neue Höhenflüge. Der WTO fehlen aber die Instrumente, um Volkswirtschaften mit unterschiedlichen Systemen zur Kooperation zu zwingen.

Das heißt: neu gründen statt reformieren?

Im Grunde genommen wäre das der effizientere Weg. Wir brauchen eine Welthandelsorganisation, die mehr Differenzierung zwischen ihren Mitgliedern zulässt. Meiner Meinung nach muss es einen Kern von Multilateralisten geben – darunter die EU, Japan, Kanada und hoffentlich irgendwann auch wieder die USA –, die sich auf strenge Regeln der Reziprozität einigen und diese auch einhalten. Zusätzlich dazu kann es dann einen äußeren Ring von Ländern geben, die andere Wirtschaftssysteme haben: Diese könnten mit den Kernländern in bestimmten Punkten kooperieren, dürften aber keine Vetomacht in der Gesamtorganisation haben. Einen konkreten Plan für diese neue Handelsorganisation sollte die EU in den nächsten Jahren ausarbeiten. Damit würde sie international den Druck erhöhen und sich gleichzeitig als gestaltungswilliger Multilaterlist hervortun. Ein solches Engagement würde auch das Ansehen deutscher und europäischer Unternehmen im weltweiten Handel stärken.

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