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Zukunftsmärkte > Mobilität in Unternehmen

Dienstreisen wandeln sich radikal

Mobilität in Unternehmen muss gänzlich neu gedacht werden. Praktisch alle Aspekte verändern sich. Und Experten arbeiten bereits an virtuellen Treffen.

Dienstreisen wandeln sich radikal© picture alliance/United Archives

Nach rund zwei Jahren voller Einschränkungen haben sich Hunderttausende wieder auf Dienstreisen gefreut. Kunden besuchen, an Veranstaltungen teilnehmen oder schlicht Abwechslung vom Büroalltag. Doch dann erleben die meisten ein Bild des Grauens: schier endlose Warteschlangen in Flughäfen, Verspätungen im Zugverkehr und eine Knappheit an Mietwagen, die sich vom Ärgernis zum regelrechten Showstopper entwickelt hat. Dazu kommen hohe Preise. Gleichzeitig denken Unternehmen bei Dienstreisen radikal um. Und nicht nur dort.

Bei der betrieblichen Mobilität steht eine Zeitenwende an. Weil Dienstreisen nerviger, zeitaufwendiger und kostspieliger geworden sind. Weil Kunden den persönlichen Austausch nicht mehr so einfordern wie vor der Corona-Pandemie. Weil Reisen genau wie Fuhrparks kritisch betrachtet werden, ihr CO2-Ausstoß muss oft bilanziert werden.

„Der Bedarf an Dienstreisen war im Zuge der Corona-Pandemie gewaltig gesunken. Jetzt stellt sich aus ökologischen und ökonomischen Gründen immer häufiger die Frage, ob eine Dienstreise wirklich unternommen werden muss. Praktisch jede wird auf den Prüfstand gestellt“, fasst Axel Schäfer, Geschäftsführer des Bundesverbandes Betrieb­liche Mobilität, die Lage zusammen. Alternativen wie Videokonferenzen sind zum Alltag geworden. Die Zahl der Fahrten ins Büro wird durch Homeoffice-Regeln verringert. Und die Fuhrpark-Verantwortliche bauen ihre Flotten in Richtung Elektro um. Mehr Veränderung gleichzeitig geht kaum.

Neben den finanziellen spielen mehr und mehr auch ökologische Kosten eine Rolle: Es gilt heute als unschicklich, unnötig CO2 freizusetzen durch eine Dienstreise von zweifelhafter Notwendigkeit. „Der gesellschaftliche Trend setzt sich hier voll durch: Man kann sich nicht mehr leisten, Argumente der Nachhaltigkeit zu ignorieren. Unternehmen denken immer stärker über alternative Mobilität nach“, sagt Schäfer. Längst lassen Firmen ihren Ausstoß von Dienstleistern wie Planetly messen: von der Flugreise über den Fuhrpark bis hin zum Pendeln der Mitarbeitenden ins Büro. Denn bald – und zum Teil heute schon – wollen und müssen sie selbst und ihre Kunden über diese Werte berichten.

So spricht einiges dafür, unnötige Reisen zu unterlassen. „Ich kann allen Unternehmen nur empfehlen, sich dringend mit ESG-Regulatorik zu befassen. Dabei geht es nicht mehr nur um die CO2-Berichtspflicht für die Dienstwagenflotte, sondern auch um das Pendeln von daheim zu den Büros“, sagt Verbandschef Schäfer. Gerade die mittelständischen Unternehmen hätten eine Vorbildfunktion für die Menschen. „Wer im Job mit einem Elektroauto gute Erfahrungen gemacht hat, denkt auch privat anders darüber“, sagt Schäfer.

Die betriebliche Mobilität ist auch mit einem anderen großen Thema in den meisten Unternehmen verbunden: dem Fachkräftemangel. Ein schicker Dienstwagen ist seit Jahrzehnten für Führungskräfte ein Grund, sich eher für das eine als das andere Unternehmen zu entscheiden. Aber inzwischen geht es bei der wachsenden Zahl von Menschen eben auch darum, wie ökologisch sich der Betrieb verhält. „Heute spielt für die Attraktivität eines Arbeitgebers eine sehr große Rolle, wie die nachhaltige Mobilitätsstrategie aussieht“, sagt Schäfer.

Hier ist die Welt zweigeteilt: Einige Mitarbeitende erwarten eine strikt auf Nachhaltigkeit ausgelegte Reiserichtlinie, andere sind absolut nicht bereit, zwei Stunden eher aufzustehen, um mit dem ICE zu reisen statt mit dem Flugzeug. Und es gibt immer noch eine hohe Nachfrage nach großen, schweren Fahrzeugen mit reichlich Schnickschnack. „Es soll bei Dienstwagenberechtigten auch schon mal vorkommen, dass sie mit dem Fuhrpark-Verantwortlichen drei Wochen diskutieren, warum er beim neuen Fahrzeug nicht die Nespresso-Maschine für den Kofferraum mitbestellen darf“, sagt Schäfer schmunzelnd.

Solcherlei mag es schon immer gegeben haben. Der rasante Trend weg vom Diesel hin zu Elektro ist in dieser Form neu. Bei den Neuzulassungen in Deutschland liegt der Anteil von Elektroautos und Plug-in-Hybriden bei gut 31 Prozent – sowohl bei privaten als auch bei gewerblichen Fahrzeugen. „Die Energiewende im Fuhrpark ist in vollem Gange – die Umstellung auf Elektrofahrzeuge ist in den Köpfen angekommen“, sagt Roland Meyer, Geschäftsführer von LeasePlan Deutschland. Und rät zur Eile: „Wir empfehlen unseren Kunden, den Fuhrpark zu einem früheren Zeitpunkt zu elektrifizieren, weil Hersteller emissionsarme und emissionsfreie Fahrzeuge priorisieren.“ Die Geschäftsleitung solle mit gutem Beispiel vorangehen.

Die Beliebtheit von Hybridfahrzeugen, deren Nutzen für die Umwelt umstritten ist, dürfte ein Intermezzo bleiben und bald enden. Verbandschef Schäfer nennt Hybride eine „Mogelpackung“ und rät Flottenmanagern, sie aus dem Fuhrpark zu streichen. Zudem endet 2023 die Förderung, was heute schon Folgen hat, denn viele Fahrzeuge, die man jetzt bestellt, werden womöglich erst im nächsten Jahr ausgeliefert.

Preise für E-Autos steigen

Der Trend zur Elektrisierung der Firmenflotten is offenbar nur bedingt im ökologischen Denken der Nutzer begründet. Die finanziellen Aspekte sind für die meisten dominierend: „Die staatliche Förderung ist ein wesentlicher Antreiber. Vor allem durch die 0,5- oder 0,25-Prozent-Versteuerung beim Dienstwagen haben viele User-Chooser angefangen, sich mit Elektrofahrzeugmodellen, deren Reichweite und Lademöglichkeiten zu befassen“, bilanziert LeasePlan-Geschäftsführer Meyer. Eine Beispielrechnung: Für einen Mittelklassewagen im Wert von 50.000 Euro zahlt man bei einem Verbrenner den vollen persönlichen Steuersatz von 500 Euro, für einen Hybriden 250 Euro und für einen vollelektrischen Wagen 125 Euro. Dadurch werde ein Elektrofahrzeug so kalkulierbar wie ein Verbrenner, sagt Meyer.

Allerdings steigen die Preise für E-Fahrzeuge rasant: Das Center Automotive Research in Duisburg hat errechnet, dass die 15 beliebtesten Elektrofahrzeuge 14,5 Prozent oder 5385 Euro mehr kosten als vor einem Jahr. Die Preise für Verbrenner stiegen um 12,5 Prozent. Wenn zum Beispiel Chips teurer werden, betrifft dies E-Autos stärker, weil hier mehr von ihnen verbaut sind. Zudem erwartet der Branchendienst E-Source steigende Kosten für Batterien wegen der hohen Nachfrage.

Hinzu kommt: Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg sorgen für eine Situation, die vor drei Jahren noch undenkbar war. Lieferzeiten von bis zu 20 Monaten bedeuten für Dienstwagenfahrer, dass sie ihre Planungen sehr frühzeitig starten und womöglich Abstriche bei gewissen Extras machen sollten.

Nicht zuletzt wegen der Nachhaltigkeit legen trotz der Lieferzeiten und Preissteigerungen immer mehr Unternehmen in ihren Reiserichtlinien ein Datum fest, von dem an die Flotte nur noch aus Elektrofahrzeugen bestehen wird. Entscheidend ist, ob Elektro finanziell selbst dann von Vorteil bleibt, wenn die Umweltprämie gekürzt oder sogar komplett gekappt wird. „Ein Elektroauto würde sich auch dann noch rechnen“, sagt Fachmann Meyer. „Aktuell lohnt es sich allein schon vor dem Hintergrund hoher Spritpreise. Zudem würden Neuwagen bei Wegfall der Förderung einen höheren Gebrauchtwagenpreis erreichen, der wiederum in die Kalkulation einfließt und sich positiv auf die Leasingrate auswirkt.“ Bei den Transportern gilt Fachleuten zufolge nicht mehr, dass elektronisch betriebene Fahrzeuge teurer sind als Verbrenner – zumindest dann, wenn man Betriebs- und Wartungskosten miteinbezieht. Allerdings ist das Fahrzeugangebot noch nicht so umfangreich wie bei den Pkw.

Egal, ob Fuhrpark, Dienstreise oder der Weg ins Büro: Der Druck wächst auf Unternehmen, Mobilität neu zu denken. Gleichzeitig warten Chancen. „Der Zeitpunkt für den Wandel ist jetzt und war nie besser“, sagt Axel Schäfer vom Bundesverband Betriebliche Mobilität. Dabei gehe es um mehr als um eine Antriebsarten-Diskussion. Firmen sollten sich die gesamte Palette anschauen und überlegen: Was sind Alternativen? Dienstfahrräder? Mehr Bahnfahrten? „Nur mit Freiwilligkeit kriegt man es nicht hin. Es braucht ein klares Commitment der Geschäftsleitung, klare Regelungen bis hin zum Wandel von der Car-Policy zur Mobility-Policy.“

Fuhrpark-Verantwortliche und die, die in Unternehmen intern das Thema Nachhaltigkeit vorantreiben, müssen ihre Botschaften und Regeln sehr sensibel unterbringen. Denn es droht, gute Leute an die Konkurrenz zu verlieren, wenn man zu schnell zu rigide vorgeht. „Mobilitätsbudgets werden leider zu oft als Verbot oder Einschränkung betrachtet, nicht als Benefit. Das ist eine Frage der Firmenkultur, aber auch der Technologie. Mit geeigneten Apps klappt das wirklich gut“, rät Schäfer.

Apropos Technologie: Am Horizont zeichnet sich längst die nächste Entwicklungsstufe ab, die direkten Einfluss auf Dienstreisen haben dürfte – neue Formen der Kommunikation, die viele unter dem Trendbegriff Metaverse zusammenfassen. Gemeint sind Anwendungen für Unternehmen, die eher zwei als fünf Jahre in der Zukunft liegen: virtuelle Treffen, die ein ganz anderes Erlebnis darstellen als Videokonferenzen am Bildschirm. Dennoch werden persönliche Treffen und entsprechend auch Dienstreisen wichtig bleiben. Aber nur die wenigsten Unternehmen werden ihre Zahl auf das Niveau von 2019 zurückheben, wie praktisch alle
Umfragen zeigen. 

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