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Zukunftsmärkte > Coronavirus

Diese Frau muss den Impfstoff für Europa freigeben

Sie steht erst seit knapp einem Monat an der Spitze der Zulassungsbehörde für Impfstoffe in der EU: Emer Cooke. Die Pharmazeutin begegnet dem Druck, eine schnelle Entscheidung zu treffen, mit irischer Gelassenheit. Sie weiß, dass sie, wie auch immer sie entscheidet, die Kritiker auf den Plan ruft.

Es ist ihre härteste Bewährungsprobe, und sie kommt schon nach einem Monat: Seit dem 16. November steht Emer Cooke, gebürtige Irin und gelernte Apothekerin, an der Spitze der Europäischen Arzneimittel-Agentur in Amsterdam. Strohblondes Haar, blaue Augen, 59 Jahre alt – die Frau, die entscheidet, wann die oder der erste EU-Bürger den Biontech-Impfstoff erhält, versprüht wissenschaftliche Unbestechlichkeit. Sie ist sozusagen das medizinische Pendant zu EZB-Chefin Christine Lagarde. Während die eine, die Menschen vor dem Virus schützen muss, soll die andere die Wirtschaft vor der Krise bewahren. Ratschläge, was sie besser machen könnten, erreichen beide zuhauf. Der Druck, sich in eine bestimmte Richtung zu bewegen, wächst ebenfalls. Bei Emer Cooke wächst er stündlich.

Bange machen, gilt nicht

Wie es ihr ergehen könnte, ahnt Cooke, wenn sie in diesen Tagen mit ihrem Kollegen Stephen Hahn spricht, der auf der anderen Seite des Atlantiks die US-Arzneimittelzulassungsbehörde FDA leitet. Hahn hatte am Freitagabend grünes Licht für die Anwendung des Impfstoffs in den USA gegeben. Als erster Corona-Impfstoff hat damit das Mittel des Mainzer Pharma-Unternehmens Biontech und seines US-Partners Pfizer eine Notfallzulassung in den USA bekommen. Medienberichten zufolge soll das Weiße Haus die FDA zuvor mit Drohungen zur umgehenden Notfallzulassung gedrängt haben. Washington Post und New York Times berichten, der Stabschef des Weißen Hauses, Mark Meadows, habe Hahn aufgefordert, seine Kündigung einzureichen, sollte der Impfstoff nicht vor Ablauf des Freitags zugelassen werden. Hahn selber sprach in einer Stellungnahme davon, die FDA sei "ermutigt" worden, den Antrag von Biontech und Pfizer zügig zu bearbeiten.

Die Episode dürfte Cooke genau verfolgt haben. Auch Großbritannien, Kanada, Bahrain, Saudi-Arabien und Mexiko haben den Impfstoff bereits zugelassen. Warum also nicht die EU? Die EU-Medikamentenbehörde EMA hat ihr Treffen für die Begutachtung des Corona-Impfstoffs mittlerweile zumindest auf den 21. Dezember vorgezogen.

Schnell wird im Gespräch klar: Emer Cooke will sich von niemanden drängen lassen. Ermutigungen jeglicher Art stoßen bei ihr auf Granit. Ihr ist klar, dass sie – wie immer sie entscheidet – zwischen den Stühlen sitzt. Zwischen denen, die Druck machen, und denen, die große Zweifel an der Sicherheit des Impfstoffs haben und jede Nebenwirkung als Bedrohung der Menschheit wahrnehmen. Cooke sieht ihre Verantwortung nach eigenen Worten darin, die Entscheidungen ihrer Agentur gegenüber einer Öffentlichkeit zu verteidigen, die darauf aus ist, dass das Leben wieder normal wird, aber von Informationsüberflutung heimgesucht wird. Würde sie den einmal zugelassenen Impfstoff selbst anwenden und sich vor laufender Kamera spritzen lassen? "Gute Idee" antwortet die Pharmazeutin.

Menschen sollen dem Impfstoff vertrauen können

Cooke kennt sich aus im Spannungsfeld von Wissenschaft, Regierung und Pharmaindustrie. Sie spricht von einem "soliden Bewertungsverfahren" in der EU. Es stelle sicher, dass die 27 EU-Länder über eine ordnungsgemäße Lizenz verfügen würden. Es sei ein "sehr robuster Bewertungsprozess", an dem unabhängige Gutachter beteiligt seien, "um sicherzustellen, dass wir nichts verpasst haben." Am Ende stehe die Entscheidung, ob die Vorteile gegenüber den Risiken überwiegen. "Wir wissen mehr über das Produkt als jeder andere außer dem Unternehmen selbst. Und wenn Menschen es verwenden, möchten wir alles tun, um sicherzustellen, dass sie dem Impfstoff vertrauen können."

Cooke hat in Dublin studiert und war vor ihrem Einsatz an der Spitze der EMA für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf für die Leitung der weltweiten Regulierung von Gesundheitstechnologien verantwortlich. Sie hat diesen Bereich bereits in ihrem Heimatland und später auch für die Europäische Kommission betreut. Die Irin ist die erste Frau an der Spitze der EMA seit deren Gründung vor 25 Jahren. Ihr Vorgänger, der Italiener Guido Rasi, bescheinigte ihr bei der Amtsübergabe: "Ich kenne Emer als starke Führungspersönlichkeit, die fest entschlossen ist, die Agentur durch diese schwierige Periode zu bringen." Ellen 't Hoen, die als Direktorin für Arzneimittelrecht und -politik an der Universität Groningen die Arbeit von Cooke verfolgt, bescheinigt ihr ein "Herz für die Volksgesundheit". "Ihr liegt wirklich sehr viel daran, dass die Menschen Zugang zu wirksamen und sicheren Medikamenten und anderen Gesundheitsprodukten erhalten."

Cooke selbst versprüht Optimismus. Der Teufel stecke zwar im Detail, aber "wir sind immer überzeugter von den Testergebnissen, die uns vorliegen", sagte sie einem niederländischen TV-Sender. Unter Druck lasse sie sich dennoch nicht setzen. "Wir dienen", stellt sie fest, "der Öffentlichkeit und nicht den Medien."

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