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Zukunftsmärkte > Galeria Karstadt Kaufhof

Dieser Millionenkredit landet bei einem Dinosaurier

Während der Mittelstand um Mittel kämpft, erhält der Kaufhof-Karstadt Konzern einen Kredit von einer knappen halben Milliarde. Damit investiert die Bundesregierung in ein schwer angeschlagenes Geschäftsmodell.

Er ist der letzte deutschen Warenhauskonzern und ein wahrer Dinosaurier: die Galeria Karstadt Kaufhof. 140 Jahre alt, mit den Narben versehen, die eine wechselvolle Geschichte hinterlassen hat, inzwischen gebeugt von den Gebrechen des Alters. Und in seinen Augen flackert die Unsicherheit, ob er nicht womöglich doch am Ende seiner Lebensspanne angekommen ist.

460 Millionen Euro Kredit erhält dieser Konzern. Der Ausschuss des staatlichen Wirtschaftsstabilisierungsfonds hat diese Summe jetzt freigegen - als sogenanntes nachrangiges Darlehen. Das sagt schon eine Menge über den Zustand des Patienten aus: Ein nachrangiges Darlehen wird im Fall der Insolvenz, erst nach den Forderungen anderer Gläubiger bedient. Wer so ein Darlehen ausgibt, muss damit rechnen, im Krisenfall sein Geld abschreiben zu müssen. Auch wenn Galeria-Chef Miguel Müllenbach das Darlehen mit Zinsen zurückzahlen will und verspricht, der Steuerzahler habe "weder Risiko noch Nachteil" - so ist doch klar: Hier ist der Staat als Helfer in der Not eingesprungen.

Rettung einer angeschlagenen Ikone

Gerettet wurde damit eine schwer angeschlagene Ikone des Handels. Thomas Mann, Literaturnobelpreisträger und Dichter der Buddenbrooks, soll in seiner Heimatstadt Lübeck zu den Karstadt-Kunden gehört haben. Während das Legende ist, gehört zu den gesicherten Erkenntnissen, dass sich beide Konzerne, Karstadt und Kaufhof, in ihrer langen Geschichte verschiedene Marken einverleibt haben. Am 14. Mai 1881 gründete Rudolph Karstadt, Kaufmann aus Mecklenburg, sein erstes Geschäft in Wismar unter dem Namen "Tuch-, Manufactur- und Confectionsgeschäft Karstadt".

Das zweite Haus folgte drei Jahre später in Lübeck; bis zur Jahrhundertwende hatte Karstadt es auf zwei Dutzend weitere Häuser in Norddeutschland gebracht. Beim Wachstum geholfen hat das Unglück von Rudolphs Bruder Ernst. Er war der erste in der Familie Karstadt, der eine veritable Pleite hinlegte, so dass sein Bruder im Jahr 1900 dessen 13 Geschäfte übernehmen musste.

Zwei Jahre vor den Karstadts und gar nicht weit weg von Wismar, in Stralsund, hatte Leonhard Tietz 1879 einen Laden für Garne, Wollwaren und Stoffe eröffnet, der als Urahn in die Geschichte des Kaufhof-Konzerns eingehen sollte. Die zeitliche Parallele macht klar: Es war die Gründerepoche. Tietz und Karstadt lagen voll im Trend: Abraham und Ida Wertheim eröffneten ihr erstes Kaufhaus 1875 ebenfalls in Stralsund. Oscar Tietz, Bruder von Leonhard, gründete mit seinem Onkel Hermann zusammen eine Kaufhauskette, die Vornamen und Nachnamen der Familie verewigte: Hertie.

Einige Jahre später eröffnete Adolf Jandorf in Berlin das KaDeWe. Das Warenhaus mit seinem branchenübergreifenden Sortiment hatte sich etabliert. 1927 gab es eine Innovation: Zu dem, was heute stationäre Einzelhandel heißt, kam das, was heute Online laufen würde: der Versandhandel. Pionier auf diesem Gebiet war Gustav Schickedanz, der im fränkischen Fürth Quelle gründete.

Während Schickedanz und ein weitere früher Versandhauspionier, Josef Neckermann, bereits früh der NSDAP beitraten und von der Enteignung jüdischer Kaufleute profitierten, mussten umgekehrt eben diese Kaufleute erleben, wie ihnen von den Nazis Hab und Gut geraubt wurde und sie sich zur Emigration gezwungen sahen. Aus den Tietz-Häusern wurde Kaufhof, Wertheim wurde zur Allgemeinen Warenhausgesellschaft und startet erst zehn Jahre nach Kriegsende wieder neu unter dem alten Namen. Mit Horten entstand eine weitere Warenhauskette, die aus dem geraubten Besitz jüdischer Kaufleute zusammengesetzt wurde.

Boom bis in die achtziger Jahre

Nach dem Wiederaufbau vieler im Krieg zerstörter Warenhäuser expandierten die Ketten und erlebten den Boom der Wirtschaftswunderjahre, der bei ihnen erst in den achtziger Jahren deutlich abflachte. Es begann das große Kaufhaussterben. Horten wurde 1994 an Kaufhof und Hertie an Karstadt verkauft. Quelle fusionierte zunächst mit Neckermann und später mit Karstadt zu der Kunstmarke Arcandor, die wiederum in die Insolvenz schlitterte.

Seither wird Karstadt wie ein Wanderpokal umhergereicht und landete genauso wie Kaufhof zuletzt beim österreichischen Warenhaus-Betreiber und Immobilienhändler René Benko. Der wollte mit einer Mischung aus Kostenreduzierung und Investition in den verbleibenden Rest die Galeria Karstadt Kaufhof wieder zur Blüte bringen – bis ihn bereits der erste Lockdown in der Coronakrise dazu zwang, sich einem Schutzschirm-Insolvenzverfahren zu unterwerfen. Es sollte dem Konzern eigentlich durch die Schließung von mehr als 40 Filialen, den Abbau von rund 4000 Stellen und die Streichung von mehr zwei Milliarden Euro Schulden einen Neustart ermöglichen. Doch dann kam der zweite Lockdown.

Mitten im Weihnachtsgeschäft mussten die Warenhäuser schließen. Online lief bei ihnen nicht viel. Das Unternehmen verbrenne pro Monat rund 100 Millionen Euro, hieß es von Insidern. Deswegen soll jetzt schnell Geld aus dem zugesagten Kredit fließen: 250 Millionen Anfang Februar, der Rest kommt bis Ende März.

Als Sicherheit hinterlegte die zu Benko gehörende Signa Holding Immobilien, den Warenbestand des Unternehmens und die Markenrechte - was allerdings zweifelhafte Werte sein dürften: Ware, die keiner los wird, existiert derzeit vor allem im Textilhandel genug. Innenstadt-Immobilien sind längst keine Selbstläufer mehr. Die Marke schließlich ist die letzte, die für den allumfassenden Warenhauskonzern steht. Die Chance, dass das Konzept überlebt, sind möglicherweise nicht viel größer als es in der grauen Vorzeit, die der Dinosaurier gewesen ist.

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