Abheben mit Wasserstoff
Seit 2009 arbeitet Josef Kallo an emissionsfreien Antrieben für Flugzeuge. Lange wurde er belächelt. Jetzt befeuert er eine Revolution in der Luftfahrt.
Der Flieger sieht auf den ersten Blick schon ungewöhnlich aus: Da wo sonst in der Mitte die Pilotenkanzel und der Passagierraum sind, beansprucht ein Propellermotor und der passende Antrieb einen Platz. Die Piloten sitzen in einer Kanzel auf dem Flügel. Auf der anderen Seite ein tankförmiges Gebilde. Der Flieger kommt auffallend leise am slowenischen Sommerhimmel herangeschwebt. Das lässt erahnen, dass die Form nicht das einzig Ungewöhnliche an diesem Gerät ist. „Es zeigt nicht nur, dass es möglich ist, mit Wasserstoff zu fliegen“, sagt Josef Kallo. Es zeige auch das möglich sei, lange Strecken zu fliegen.
Der Ulmer Professor für Wasserstofftechnik forscht und tüftelt seit Jahrzehnten an emissionsfreien Antrieben für Flugzeuge. Bereits 2009 hat er den ersten Wasserstoffflieger in die Luft gebracht. Seit 2015 führt er das Start-up H2Fly, das auf dem Stuttgarter Flughafen demnächst auch das erste Wasserstoff-Luftfahrtzentrum errichten und betreiben will. Der Sitz des Unternehmens liegt unten am Neckar im Stadtteil Untertürkheim – einen Steinwurf von der Mercedes-Zentrale entfernt. Der 50-Jährige sieht darin eine Parallele. So, wie sich die Autoindustrie gerade wandelt, will er die Luftfahrt revolutionieren.
In dem H2Fly-Flieger füttert flüssiger Wasserstoff aus dem Tank im Flügel eine Brennstoffzelle im mittleren Teil. Die erzeugt unter Zugabe von Sauerstoff Strom für den Elektropropellermotor. „Die hohe Dichte des flüssigen Wasserstoffs ermöglicht es uns, nicht nur emissionsfrei zu fliegen, sondern auch eine große Reichweite zu erzielen“, sagt Kallo. „Das ist die Weltneuheit und der letzte technologische Durchbruch, den wir brauchen, um zu zeigen, dass die Luftfahrt mit Wasserstoff machbar ist.“
Tatsächlich kann die Maschine von H2Fly bereits mehr als 1500 Kilometer zurücklegen – das wäre die Strecke von Paris nach Lissabon. Kallo hält auch 2000 Kilometer bereits für machbar. In zwei Jahren soll aus der Maschine, die noch sehr an einen Segelflieger erinnert, ein veritabler 80-Sitzer werden. Unter dem Projektnamen H175 soll eine Turboprop von Dornier umgebaut werden.
So spannt sich ein historischer Bogen von den Anfängen der Luftfahrt und dem Traditionshaus Dornier hin zu einer völlig neuen Technologie. H175 soll dann in Flughöhen von bis zu 27.000 Fuß (8230 Meter) reisen können. Das ist wichtig für einen künftigen Einsatz der Technik in Verkehrsflugzeugen. Bisher werden wasserstoffelektrische Antriebe an Experimentalflugzeugen in niedrigeren Höhen getestet. Das hat technische Gründe: Die Kompressoren arbeiten unter den eisigen Temperaturen in großer Höhe noch nicht störungsfrei. Da wartet also noch etwas Entwicklungsarbeit auf Kallo und seine 70 Mitarbeiter.
Kallo ist im rumänischen Temeschwar in der Nähe eines Fliegerhorsts aufgewachsen. Das hat ihn geprägt. Seit dem Alter von 15 Jahren sitzt er selbst immer wieder im Cockpit. Über ein Jahrzehnt hat er als Ingenieur für alternative Antriebe bei General Motors am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt gearbeitet. Das brachte ihm die Professur in Ulm ein, wo er Leiter des Instituts für Energieumwandlung wurde. Inzwischen hat er seine Stelle gekündigt, die Dozententätigkeit ruht ebenfalls. All seine Kraft ist H2Fly gewidmet, das inzwischen vom kalifornischen Jungunternehmen Joby Aviation übernommen wurde. Hinter dem Spezialisten für Flugtaxis stecken namhafte Investoren wie Autobauer Toyota, der Chiphersteller Intel und der Fahrdienstvermittler Uber. Firmengründer Kallo hält nun Anteile an Joby – Einzelheiten nennt er nicht.
Für den Wasserstoffpionier ist es schon lange keine Frage mehr, ob die Menschen eines Tages mit wasserstoffbetriebenen Maschinen um die Welt fliegen. „Es ist nur eine Frage der Zeit.“ Sein Unternehmen wolle in Stuttgart die passenden Antriebe dazu bauen. Dieser Wille zum Umbruch erinnert ein wenig an Elon Musk und den E-Autobauer Tesla in den USA. Dort sieht Kallo auch den Markt für seine Antriebe und vorerst nicht in Europa. Das habe topografische Gründe, doziert der Experte.
Von Nord nach Süd verlaufe entlang der Ostküste eine Luftströmung ideal für Windenergie, sagt Kallo. Und von Ost nach West biete der „Sun-Belt“ optimale Voraussetzungen für Solaranlagen. „So kann in den USA mit günstigem Strom auch Wasserstoff erzeugt werden.“ Langfristig wird man Kallos Ansicht nach aber auch in Deutschland nur mit Wasserstoff klimaneutral fliegen können. Die Produktion von synthetischen Kraftstoffen sei nämlich doppelt so teuer.
Brennstoffzelle für die Küche
Belächelt wird der Ulmer Professor schon lange nicht mehr. Inzwischen hat sogar Airbus angekündigt, bis 2035 eine Maschine mit Wasserstoffantrieb auf den Markt bringen zu wollen. In Teilbereichen experimentiert der Luftfahrtriese schon jetzt mit kleinen Brennstoffzellen. Sie sollen beispielsweise die Bordküchen elektrifizieren. Die gelten als einer der größten Energiefresser in den Maschinen. Koppelt man sie ab, senkt das automatisch den Kerosinverbrauch.
Kallo sieht die aufziehende Konkurrenz gelassen, weil er sich als Experte für Energieumwandlung im Vorteil sieht. Diese Expertise haben Airbus & Co nicht. Gleichzeitig arbeitet H2Fly mit anderen Unternehmen – beispielsweise Daimler Truck. Der Nutzfahrzeughersteller hat seinen Sitz nur eine Autobahnausfahrt vom Stuttgarter Flughafen entfernt. Und der Konzern will mit Brennstoffzellen und E-Antrieben ebenfalls ein Transportsegment revolutionieren.
Wasserstoffpionier Kallo und seine kleine Mannschaft stehen nun vor der Aufgabe, das Wissen aus der Fahrzeugindustrie so anzupassen, dass Luftfahrt-Zulassungsbehörden auch die technische Lösung abnehmen. Bis 2030 will H2Fly Antriebe in Serie anbieten, sodass die ersten Linienflüge emissionsfrei abheben können.