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Energiewende paradox: Deutsche Windkraftfirmen stecken in der Flaute

Nordex schließt in Rostock das letzte Werk für Rotorenblätter. Dabei soll doch die Energiewende beschleunigt werden und jedes Windrad ist heiß begehrt. Die Politik geht auf die Barrikaden, doch das Unternehmen winkt ab. Was läuft hier schief?

Windräder im Meer

Verwirrender kann der Widerspruch nicht sein: Da setzt Deutschland seit Jahren auf die Energiewende. Da verspricht die Politik landauf, landab, dass die Wende dazu führen werde, dass das eigene Land zum führenden Technologiestandort für erneuerbare Energien wird – und dann passiert genau das Gegenteil: Erst verglüht die Solarbranche in Deutschland, und jetzt braust ein Sturm über die Hersteller von Windmühlen, der alles umreißt, was nicht niet- und nagelfest ist. Jüngstes Opfer: Nordex. Der Hersteller von Windkraftanlagen schließt das letzte deutsche Werk in Rostock, in dem noch Rotorblätter gelegt, gebacken und geschliffen werden. Es ist eine Entscheidung, die angesichts der Bemühungen sich von Russland als Hauptenergielieferanten zu lösen, umso paradoxer wirkt. Wie konnte das passieren?


Stefan Schad, langer Bart, runde Brille, will es nicht glauben. Der Geschäftsführer der IG Metall Rostock-Schwerin spricht von einer energiepolitischen „Katastrophe“: Da werden unhandliche Rotorblätter mit Längen von 50 und mehr Metern künftig um die halbe Welt transportiert, „damit hierzulande die Energiewende eine Chance hat.“ Schad kämpft nun um Transfergesellschaften und knapp 600 Arbeitsplätze. Er würde lieber fürs Weitermachen kämpfen. Aber dazu müsste sich ein Investor finden, der an die Zukunft der Fertigung in Deutschland glaubt. Und der ist bislang nicht in Sicht.


Lässt er weiter auf sich warten, ist am 30. Juni Schluss in Rostock. „Die Windindustrie bewegt sich in einem wettbewerbsintensiven, globalen Markt, der vor allem kostengetrieben ist. Vor diesem Hintergrund müssen wir unsere globalen Produktions- und Beschaffungsprozesse optimieren, um profitabel zu produzieren und die Wettbewerbsfähigkeit der Nordex-Gruppe zu sichern“, sagt Nordex-Chef José Luis Blanco in schönstem managerdeutsch. Er sehe keine Alternative zu diesem „schmerzhaften“ Schritt. Nur die zweite Fertigung zur Produktion von Gondeln für Windkraftanlagen, ebenfalls am Standort Rostock, bleibt bis auf weiteres erhalten.


Tatsache ist: Trotz Energiewende, steigender Nachfrage und anspruchsvollen Klimazielen bauen Windkonzerne hierzulande Arbeitsplätze ab und verlagern ihre Produktion ins Ausland. In den vergangenen zehn Jahren gingen nach Schätzungen der Verbände insgesamt 60.000 Stellen in der Windindustrie verloren. Vor Nodex haben bereits zwei große Windturbinenhersteller, die dänische Vestas und die deutsche Siemens Gamesa rund 1000 Mitarbeiter entlassen. Die Aktienkurse der Unternehmen dümpeln seit Monaten in Tiefen, die Anleger enttäuscht das Weite suchen lässt. Die meisten Hersteller stecken wie Nordex in den roten Zahlen.


Also flüchten sie dahin, wo Arbeitskräfte billiger sind. Die Verlagerung zusammen mit Innovationen und immer größer werdenden Anlagen hat aber auch einen durchschlagenden Erfolg gebracht: Die Stromentstehungskosten der Windkraft haben sich in den vergangen fünf Jahren glatt halbiert. Es ist ein Dilemma: Will die Branche wettbewerbsfähig werden, ist Deutschland als Fertigungsort auf Dauer keine Option.


Dazu kommt: In Deutschland ist der Bau neuer Windkraftanlagen ins Stocken geraten, weil die Genehmigungsverfahren sich wegen erheblicher Widerstände der Menschen vor Ort hinziehen. Fünf Jahre dauert es durchschnittlich von der Idee bis zur Fertigstellung.  Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will das zwar beschleunigen und hat es auch im so genannten „Osterpaket“ so festgeschrieben, bisher aber ohne sichtbaren Erfolg. Die EU hatte mit der Erneuerbaren-Richtlinie RED II (Renewable Energy Directive) eigentlich 2018 bereits vorgeschrieben, dass Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energie-Anlagen maximal innerhalb von zwei Jahren vorliegen müssen. Doch Papier ist geduldig, börsennotierte Firmen sind es nicht.


Zwar ist Deutschland auch heute noch eines der Länder mit den meisten Windrädern, aber was neue Anlagen betrifft, stehen China, die USA und Brasilien an der Spitze. Die Auftragsbücher der weltweit tätigen Unternehmen sind gefüllt, aber die Aufträge kommen eben seltener aus Deutschland. So passiert es, dass es sich für Unternehmen wie Nordex lohnt, am Standort in Indien oder in Brasilien Rotorblätter zu fertigen, die dort derzeit stärker nachgefragt werden als im Erfinderland der Energiewende.


Der Fall Nordex hat es wegen seiner offensichtlichen Absurdität inzwischen bis in die Bundespolitik gebracht. Habeck persönlich soll beim Vorstand in Hamburg nachgefragt haben. Schließlich strebt er eine Verdoppelung der installierten Windkraftleistung bis zum Jahr 2030 an. Und die SPD-Abgeordneten Nina Scheer und Bengt Bergt sind auf hundertachtzig. Scheer ist klimaschutz- und energiepolitische Sprecherin, Bergt war selbst einmal Vize-Konzernbetriebsrat bei Nordex und weiß, dass das Unternehmen nicht zum ersten Mal unpopuläre Maßnahmen unternimmt, um zu überleben: Die Entscheidung, das Nordex-Werk in Rostock zu schließen, sei ein „katastrophaler Schritt“, sagt auch Scheer. „Er läuft dem Interesse von Energiesicherheit und Importunabhängigkeit zuwider und muss rückgängig gemacht werden. Das Nordex-Werk schließen heißt die Energiewende blockieren.“ Und Bergt fügt hinzu: „Gerade jetzt, wo wir den Ausbau der Erneuerbaren Energien in ungekanntem Ausmaß vorantreiben werden, ist dies ein Signal in die falsche Richtung und nicht hinzunehmen.“


Das Ganze erinnert fatal an das Schicksal der Solarbranchein Deutschland. Es waren deutsche Unternehmen wie Q-Cells oder Centrotherm, die der Sonnenenergie zum globalen Erfolg verhalfen. Noch in den 2000er Jahren lief es für die deutsche Solarindustrie hervorragend. Die rot-grüne Koalition hatte mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, kurz EEG, die Vergütung von Solarstrom kräftig angehoben. Photovoltaik war plötzlich ein lukratives und vor allem planbares Geschäft. Die Branche begann rasant zu wachsen. So rasant, dass ausländische Mitbewerber einstiegen – vor allem aus China. Dank niedrigerer Arbeitslöhne und billigerer Energie produzierten sie günstiger als die deutschen Konkurrenten. Deutschland hatte mit seiner Förderung dafür gesorgt, dass die Solarwirtschaft global wettbewerbsfähig wurde, doch die heimische Wirtschaft hatte das Nachsehen.

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