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Einkauf, Marketing und Marken > Schultüten: Tradition trifft Geschäft

Ein Millionengeschäft aus Karton: Die Erfolgsgeschichte der Schultüte

Seit über 200 Jahren feiern Kinder den Schulbeginn mit Schultüten. Das Geschäft boomt: Über 2 Millionen Tüten jährlich verkauft allein die Nestler GmbH.

Erfolg in Tüten (Foto: Shutterstock)

Sie ist fast so groß wie das Kind, das sie umarmt: die spitz kegelförmig gerollte Schultüte, mancherorts Zuckertüte genannt. Mit farbigem Tüll oder Filz ist sie zugebunden und bunt bedruckt mit Prinzessinnen oder Dinos aus den gerade angesagten Disney- oder Pixar-Produktionen sowie Delphinen, Pferden, Meerjungfrauen, Flamingos mit Glitzer, Einhörnern, Rennautos oder auch etwa Fußbällen. Gefüllt sind die bunten Tüten randvoll mit Süßigkeiten, Spielzeug, Kuscheltieren, Glücksbringern und Schulsachen. Jahr für Jahr starten Kinder so in die erste Klasse – kürzlich nach Ferienende die letzten der in diesem Jahr mit 830.600 bundesweit besonders zahlreichen i-Dötzchen.

Zuckertütenzauber: Eine süße Tradition lebt

Seit mehr als 200 Jahren ist das hierzulande Brauch. Ein sächsisches Kinderbuch erzählt die Legende vom Zuckertütenbaum in Versform. Knecht Ruprecht soll ihn mit einer Wunderzwiebel gepflanzt haben und seither Jahr für Jahr die spitzen Tüten dran heranreifen, bis sie von den Kindern an ihrem großen Tag geerntet werden. In vielen Kindergärten insbesondere Ostdeutschlands gehört die Zuckerbaumernte noch heute zu jeder Abschiedsfeier.

 

Gersdorf: Wiege der Zuckertüte

Klar war, dass der Brauch aus dem Erzgebirge stammt. Doch ob nun Jena oder Dresden die „Geburtsstadt der Zuckertüte“ ist, war lange strittig. 1817 beschrieb ein Schulkantor aus Jena, wie die ABC-Schützen mit Konfekt in kleinen Tüten beschenkt wurden, um ihnen den Schritt ins Schülerleben zu versüßen. 2019 dann titelte die rund 4000 Einwohner zählende Gemeinde Gersdorf in ihrer 850-Jahr-Festschrift: „Unser Gersdorf, der Geburtsort der Zuckertüte“. Der ehemalige Hamburger Lehrer Hans-Günter Löwe hatte 2010 bei seinen Forschungen über den Schulanfang die Autobiographie von Karl Gottlieb Bretschneider entdeckt, eine Zeitung dem Schriftstück nachgespürt und der Gersdorfer Autor ein Exemplar aufgetrieben. Darin notierte der 1776 geborene Pfarrerssohn: „Ich erinnere mich noch, wie ich mit einem neuen A-B-C- Buch und einem neuen Katechismus nebst schönem Griffel in die Dorfschule zu Gersdorf eingeführt wurde und eine Zuckertüte von dem Schulmeister bekam und wie ich glaubte, daß ich alle Tage eine solche erhalten würde.“ Auch wie er „daher sehr befremdet war, an den folgenden Tagen nichts zu empfangen.“ Die Gersdorfer Festschrift rechnet vor: „Wenn wir davon ausgehen, dass der kleine Karl mit sechs Jahren eingeschult wurde, ist die Zuckertüte zur Einschulung in Gersdorf tatsächlich erstmals auf das Jahr 1782 datiert und erwähnt“. Sie hält fest: „Also liebe Dresdner und Jenaer, in Gersdorf wurde schon 35 Jahre vorher über eine Zuckertüte zur Schuleinführung berichtet und muss damit als Geburtsort dieser als wissenschaftlich belegt gelten.“

Nestler: Tradition trifft Innovation – 130 Jahre Schultüten und mehr

Immer schon unstrittig war dagegen, wo die Schultüte zuerst in Serie ging: im sächsischen Dorf Wiesa. Dort gründete Carl August Nestler 1894 die Nestler GmbH Feinkartonagen. 1910 ging die Schultüte in Serie. Seit 1918 fertigt Nestler die bunten Tüten industriell, seit Ende der 90er am heutigen Stammsitz in Ehrenfriedersdorf. In vierter Generation führt Ursula Nestler mit Tochter Bettina Nestler heute das Unternehmen. Nach der Wende kaufte sie den 1972 in der DDR zwangsverstaatlichten Betrieb zurück. Der Ostdeutsche Sparkassenverband (OSV) ernannte Nestler 2018 zum Unternehmen des Jahres in Sachsen. Ende Juli feierten die rund 50 Mitarbeiter mit über 2000 Gästen 130. Firmenjubiläum.

Über zwei Millionen Schultüten verkauft Nestler jährlich. Weit mehr, als es Erstklässler gibt, denn auch Minigeschenktüten etwa für kleinere Geschwister zählen mit. Auch Zubehör wie Schleifen und Rosetten sowie Weihnachtskugeln und Hausaufgabenhefte stellt Nestler her. Außerdem – ebenfalls seit Gründung und als weltweit einziges Unternehmen – Papp-Überraschungseier mit Nostalgiedruck. In bunt gehen diese meist nach Italien. Mit Hühnern und Küken drauf sind die Eier in Schweden beliebt und mit Häschenmotiv in den USA.

Seit den 50er Jahren gehört die Schultüte auch in Westdeutschland fest zum Schulbeginn. Erstklässler tragen dort meist 70 Zentimeter lange, runde Tüten. Da viele Eltern sie selbst basteln, fertigt Nestler auch Blankotüten. Die klassisch sächsische Zuckertüte ist sechseckig und 85 Zentimeter lang. Nestler stellt sie auch in ein Meter Länge mit 12 Ecken her. Mit Tüll oder Plüschtier obendrauf ist sie größer als mancher Erstklässler.

 

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