Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Zukunftsmärkte > Gastbeitrag

Europa stärken: Warum die deutsche Wirtschaft auf einen offenen Binnenmarkt angewiesen ist

Cathrina Claas-Mühlhäuser über Bürokratie, Handelskonflikte & China-Druck: Deutschlands Antwort muss ein stärker integrierter europäischer Binnenmarkt sein.

(Foto: shutterstock)

von Cathrina Claas-Mühlhäuser

Die deutsche und die europäische Wirtschaft insgesamt stehen derzeit womöglich vor den größten Herausforderungen seit Jahrzehnten. Im Inneren belasten die vielfach benannten Pro­bleme wie Bürokratie, Investitions- und Innovationsstau, hohe Energiepreise und Abgabenlast die Tätigkeit der Unternehmen. Von außen werden diese gleichzeitig vom drohenden Zollkrieg mit unserem größten Handelspartner USA und dem rasant zunehmenden internationalen Wettbewerb besonders mit China massiv herausgefordert. Noch suchen Berlin und Brüssel nach den richtigen Antworten darauf. 

Ein Ansatz kann und muss die Vertiefung und der Ausbau des europäischen Binnenmarkts sein. Die EU mit ihren 450 Millionen Einwohnern und einem Bruttoinlandsprodukt von fast 19 Billionen Dollar ist nach wie vor der zweitstärkste Wirtschaftsraum weltweit nach den USA. Europa muss sich nicht unnötig klein machen.

Im gemeinsamen europäischen Haus gibt es aber immer noch zu viele verschlossene Türen zwischen den einzelnen Zimmern und zu den Nachbarhäusern. Europaweit unterschiedliche Normen, Standards und Vorschriften wirken wie Binnenzölle. Nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds (IMF) verursachen solche Schranken innerhalb der EU im Durchschnitt bis zu 44 Prozent der Handelskosten für Industriegüter, wie die Unternehmensberatung Deloitte in einer aktuellen Studie schreibt. Der deutsche Export von Industriegütern nach Polen könnte bei Abbau dieser Hindernisse bis 2035 um jährlich 3,8 statt nur um 2,2 Prozent wachsen. 

Und für die deutsche Wirtschaft – das wird beim Blick auf die Schwergewichte USA und China oft vergessen – ist Europa nach wie vor der mit Abstand wichtigste Absatzmarkt. Deutlich über die Hälfte der deutschen Exporte gehen in die EU-Mitgliedsländer. Dabei kommt den elf EU-Ländern Mittel- und Südosteuropas wiederum eine wichtige Rolle zu. Auf sie allein entfielen im vergangenen Jahr fast 17 Prozent des gesamten deutschen Warenhandels, das waren fast ebenso viel wie mit China und den USA zusammen. Seit 1991 haben deutsche Unternehmen zudem über 128 Milliarden Euro in den EU-Staaten Mittel- und Südosteuropas investiert. Diese enge Verflechtung hat maßgeblich zu wachsendem Absatz und zur Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie beigetragen.

Einerseits mehr Europa wagen, andererseits Europa von bürokratischen Fesseln lösen – das muss die Losung der Stunde sein. 

Vor diesem Hintergrund ist es ermutigend, dass einige langjährige Forderungen des Ost-Ausschusses Eingang in die laufenden Koalitionsverhandlungen gefunden haben. Dazu gehört ein klares Bekenntnis zum Ausbau und der Erweiterung des Binnenmarkts Richtung Osten: Unseren Beziehungen zu Polen, vor China inzwischen unser viertwichtigster Absatzmarkt weltweit, wird in den Papieren der Koalitionäre zu Recht eine stärkere Aufmerksamkeit gewidmet. Die künftige Koalition strebt zudem in der EU-Erweiterungspolitik einen „schrittweisen Integrationsansatz“ an, der einer vollständigen Mitgliedschaft vorgeschaltet werden soll. Der EU-Beitritt der sechs Länder des Westlichen Balkans, der Ukraine und der Republik Moldau wird ausdrücklich unterstützt. 

Was wir als Ost-Ausschuss noch vermissen, ist ein Blick über die künftige Ostgrenze der EU hinaus. Es fehlen etwa Aussagen zum Ausbau des Mittleren Korridors und zur engeren Zusammenarbeit mit den fünf Ländern Zentralasiens, die sich als Rohstoff- und Energiepartner ausdrücklich anbieten. Doch der Koalitionsvertrag ist ja nicht das Ende einer Entwicklung, sondern erst ihr Anfang. Wir sollten die Türen der EU nach Osten weiter öffnen. 

Die Autorin

Cathrina Claas-Mühlhäuser ist Vorsitzende des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft.

Ähnliche Artikel