Ehemaliges Alno-Management steht wegen Insolvenzverschleppung und Betrug vor Gericht - Milliardenforderungen im Raum.
von Andreas Kempf
Der ehemalige Alno-Vorstandschef Max Müller hat vor der Großen Wirtschaftskammer am Landgericht Stuttgart jedwede Schuld an der Pleite des untergegangenen Küchenmöbelriesen von sich gewiesen. Dabei sind die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft massiv. Die Ankläger unterstellen dem ehemaligen Top-Manager, dass er das Unternehmen über Jahre fortgeführt habe, obwohl es bereits 2013 zahlungsunfähig gewesen sein. Im September 2017 musste der Konzern tatsächlich Konkurs anmelden. Der Aufsichtsrat hatte Müller schon im Mai als Vorstandschef abberufen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm in der 57 Punke umfassenden Anklageschrift neben Konkursverschleppung auch noch Untreue und mehreren Fällen und Kreditbetrug vor.
In seiner dreistündigen Rede beschreibt der in Schaffhausen geborene Müller, wie er sich aus einfachen Verhältnissen hochgearbeitet hat. „Mein Vater war Hilfsarbeiter bei GF Fischer.“ Die Mutter sei Putz- und Hausfrau gewesen. Schon als Elfjähriger habe er an einer Tankstelle gejobbt. Mit 16 sei er nach Basel gezogen und seit dem auf eignen Füßen gestanden. Sehr emotional beschreibt Müller die persönlichen Folgen der Alno-Pleite, bei der er selbst bis zu zwölf Millionen Euro verloren hat. Durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart sei sein Netzwerk aus Banker und Investoren zusammengebrochen. „Sie können nicht ermessen welchen Schaden Ermittlungen und die Blockade von Konten verursachen“, so Müller sichtlich den Tränen nahe. Er deutet an, dass seine Gesundheit angeschlagen ist. Im Alter von 78 Jahren müsse er arbeiten, um die Behandlungen bezahlen zu können.
Müller schreibt es seinem „Fleiß und Ehrgeiz“ zu, dass er in verschiedenen Unternehmen Karriere gemacht hat. So hat er für die ASKO Deutsche Kaufhaus AG Kompensationsgeschäfte mit Osteuropa abgewickelt. Dabei seien langjährige Kontakte in China, Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion entstanden. Ein Netzwerk, das ihm offenbar später in seiner Rolle als Financier geholfen hat. Im Jahr 1985 wurde er Chef der ASKO-Finanztochter Comco – ein Unternehmen mit Sitz in Nidau, (Kanton Bern), das später auch bei Alno eine wichtige Rolle gespielt hat.
Müller hat die Comco-Starlet-Gruppe, die inzwischen wie er Schwende (Appenzell) residiert, zu einem Finanzdienstleister entwickelt, der Beteiligungen verwaltet und vermittelt und auch Investoren für große Darlehen beschafft. So beispielsweise für den Schweizer Batteriehersteller Leclanche (Yverdon), dessen Hauptaktionär German Capital auch an Alno beteiligt war. So sei der Kontakt zu dem Unternehmen in Pfullendorf entstanden, für das Comco nun ebenfalls Geld besorgt und auch eine Kapitalerhöhung 2011 ermöglicht hat.
Im gleichen Jahr löst Müller den Vorstandschef Jörg Deisel ab, der mit dem aufsichtsrau über Kreuz liegt. „Mangels Alternativen“, wie er betont. Die Rolle habe er nie gewollt. „Ich war es meinen Investoren und meinem Netzwerk schuldig, um sicherzustellen, dass Alno nicht in Schwierigkeiten kommt.“ Dabei hängt zu diesem Zeitpunkt die Zukunft des führenden Küchenmöbelbauer wohl schon am seidenen Faden. Laut Müller ist das Verhältnis zu den Banken „katastrophal“. Die Geldhäuser beharren auf ihren Sicherheiten und verweigern neue Kredite.
Nach Darstellung von Müller hat seine Comco mehrere Kredite vermittelt. Er sei der einzige Vorstandsvorsitzende, der eigenes Geld in Alno investiert habe. Insgesamt soll Comco 83 millionen Euro an Krediten und Schuldverschreibungen beschafft oder eingefädelt haben. Er sei ihm daher nicht nachvollziehbar, wie die Staatsanwaltschaft behaupten könne, sein Finanzdienstleister sein gar nicht in der Lage gewesen, die versprochenen Gelder wirklich zu beschaffen. Ankläger Thomas Böttcher glaubt hingegen, dass sich Müller mehrmals „Risikoprämien“ über 440.000 Euro an Comco hat überweisen lassen. Ohne dass tatsächlich ein Kredit gewährt wurde.
Der ehemalige Chef beschreibt hingegen, wie Alno mit seiner Hilfe immer wieder Geldgeber gefunden hat, um die angespannte Finanzlage zu stabilisieren. Zudem seien verschiedene Sanierungsmaßnahmen erfolgt. Müller beschreibt es als „branchenüblich“, dass Alno über das Jahr hinweg immer wieder mit erheblichen Umsatzschwankungen konfrontiert ist. Diese „Liquiditätslücken“ habe man immer wieder schließen können. Von Insolvenzverschleppung könne also keine Rede sein. Allerdings entsteht bei der Beschreibung des früheren Vorstandschefs durchaus der Eindruck, dass das Management von Alno über Jahre hinweg alle Mühe hatte, das Unternehmen einigermaßen über Wasser zu halten. Mit saisonalen Schwankungen, wie es Müller beschreibt, kommen viele Unternehmen jedenfalls stabiler klar, als dies in Pfullendorf offenbar der Fall war.
Sehr eigenartig ist auch der Einstig der bosnischen Prevent-Gruppe bei Alno, die 2016 über deren Finanzgesellschaft Tahoe erfolgt. Im gleichen Jahr wird das Konglomerat des Investors Nijaz Hastor durch den heftigen Streit mit VW bekannt. Prevent löst dabei sogar einen Produktionstopp beim Wolfsburger Autokonzern aus. Laut Staatsanwaltschaft hat sich Müller bei den Bosniern mit falschen Angaben einen Kredit über 30 Millionen Euro erschlichen. Statt eines Gewinns habe seinerzeit Alno rote Zahlen geschrieben. Der 78-jährige beharrt darauf, dass Tahoe über eine Kapitalerhöhung einsteigen wollte. „Wir wollten nie einen Kredit.“ Das gewährte Darlehen sei ein Zwischenschritt gewesen. Müller betont, dass den Bosniern auch immer aktuelle Zahlen vorgelegt wurden. „Die haben sich dafür aber nie interessiert und auch nie Fragen gestellt.“ Das sei ihm noch nie passiert, wundert sich Müller.
Der Einstieg von Tahoe leitet das Ende seiner Alno-Karriere ein. Ende Mai 2017 muss Müller gehen. Seine Finanzchefin Ipek Demirtas, die mit ihm auf der Anklagebank sitzt, muss schon im Dezember 2016 ihren Schreibtisch räumen. Der Ex-Vorstandschef will nach eigener Beschreibung über viele Monate nicht mehr über viele operative Ereignisse informiert gewesen sein. Das wirft zumindest ein bezeichnendes Licht auf die Zustände in der Pfullendorfer Führungsetage kurz vor der Pleite. Weiters Licht in die Vorgänge erhofft sich das Gericht von der aussage der ehemaligen Finanzchefin. Sie will in zwei Wochen ihre Sicht der dinge darlegen. Das könne ebenfalls einen halben Prozesstag in Anspruch nehmen, deutet ihre Anwältin an.
Andreas Kempf