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Einkauf, Marketing und Marken > Alno-Prozess

Ex-Alno-Finanzchefin weist Vorwürfe vehement zurück

Ehemaliges Alno-Management steht vor Gericht: Milliardenpleite eines deutschen Traditionsunternehmens unter der Lupe.

(Foto: shutterstock)

Im Stuttgarter Landgericht beginnt ein Prozess, der die deutsche Wirtschaftswelt in Atem hält: Der ehemalige Vorstandsvorsitzende Max Müller und die frühere Finanzchefin Ipek Demirtas des insolventen Küchenherstellers Alno müssen sich schweren Vorwürfen stellen. Was als Erfolgsgeschichte begann, endete in einer der spektakulärsten Pleiten der jüngeren deutschen Wirtschaftsgeschichte. Der Fall Alno wirft ein Schlaglicht auf die Verantwortung von Topmanagern in Krisenzeiten und die Folgen fragwürdiger Finanzpraktiken.

Der Niedergang eines Traditionsunternehmens

von Andreas Kempf

„Ich weise die Vorwürfe entschieden zurück.“ Mit einer Teils sehr emotionalen Rede wehrt sich Ipek Demirtas - die frühere Finanzchefin des untergegangenen Küchenhersteller Alno - gegen die Anschuldigungen der Staatanwaltschaft. Konkursverschleppung, Kreditbetrug und Untreue sind die wichtigsten Säulen auf die sich die 57 Punkte umfassende Anklageschrift aufbaut. Die Vorwürfe richten sich gegen die 57-jährige wie auch gegen den 78-Jährigen Max Müller, dem ehemaligen Vorstandschef des einst größten Küchenherstellers Europas, der 2017 Insolvenz anmelden musste und 2021 endgültig geschlossen wurde.

Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft war Alno bereits 2013 zahlungsunfähig. Davon geht auch Insolvenzverwalter Martin Hörmann aus, der ein entsprechendes Gutachten erstellen ließ. Das weist Demirtas mit erregter Stimme vor der Großen Wirtschaftskammer in Stuttgart vehement von sich. Die Anschuldigungen seien unfair vorbereitet und verursachten für sie einen großen Schaden. Viele Kontakte in ihrem Netzwerk seien durch die Ermittlungen zerstört worden.  „Ich habe immer für dieses Unternehmen gekämpft“, beteuert Demirtas. So habe sie kaum Urlaub genommen und an vielen Wochenenden durchgearbeitet. Insgesamt seien zwischen 2011 und 2016 gut 700 Tage ohne Entlohnung zusammengekommen, was einem Gegenwert von 1,2 Millionen Euro entspreche.

Alno sei nie in Gefahr während ihrer Zeit als Finanzvorständin nie in Gefahr gewesen, zahlungsunfähig zu sein, beteuert Demirtas. Die Staatsanwaltschaft habe sich nie die Mühe gemacht ein Gutachten zu studieren, das dies bestätige. Die Vorwürfe seien „völlig unbegründet“, denn das Zahlenwerk wurde von Wirtschaftsprüfern in vollem Umfang testiert. Wie schon Müller zuvor betont auch Demirtas, dass die Beiden 2011 ein marodes Unternehmen vorgefunden haben, dem keine Bank trotz bereits hoher Sicherheiten mehr Geld geben wollte. „Alno gehörte kein Stuhl mehr“, so Demirtas. Über Müllers Finanzgesellschaft Comco und den Küchengerätehersteller Bauknecht sei es gelungen das Unternehmen zu stabilisieren und sogar die Bankkredite zurückzuzahlen. So habe der Konzern auch die Sicherheiten wie die Firmenzentrale in Pfullendorf, mehrere weitere Immobilien wie auch die Markenrechte auslösen können. Das habe die Anklage mit keinem Wort gewürdigt.

Den schwäbische Küchenhersteller plagten aber auch in den Jahren immer wieder Geldsorgen. Demirtas spricht von saisonbedingter „Zahlungsstockung“. Umsatzschwankungen seien im Küchengeschäft üblich, relativiert die ehemalige Finanzchefin die Tatsache, dass sich der Konzern immer wieder mit Zahlungen im Verzug war und sie von den Lieferanten stunden ließ. Nie seien gesetzliche Fristen missachtet worden, wonach man eine Insolvenz hätte anmelden müssen. Die Lieferanten hatten auch großes Vertrauen in das Pfullendorfer Unternehmen bewiesen und nie den Warenstrom an den Küchenbauer gestoppt, so Demirtas. Nur so sei es möglich gewesen, dass Alno Jahr für Jahr 250.000 Küchen ausgeliefert habe. An dieser Stelle zeichnet sich bereits ab, dass das Gericht in den folgenden Monaten untersuchen muss, ob Müller und Demirtas immer rechtzeitig gelungen ist, alle Finanzlöcher so zu stopfen, wie es das Insolvenzrecht vorschreibt. Zu klären ist dann auch, ob zwischen 2013 und 2017 jemand Schaden genommen hat.

Demirtas berichtet dem Gericht wie sie in einem entlegenen Bergdorf in Anatolien aufgewachsen ist. Mit sechs Jahren holen sie die Eltern nach Deutschland, wo sie allerdings auch unter ärmlichen Verhältnissen aufwächst. Sie muss die Eltern bald zu Besorgungen, Ärzten und Behörden begleiten, wie diese Analphabeten sind und nicht deutsch sprechen. Die Kindheit habe sie sehr geprägt. Daraus habe sie besonderen Fleiß, Disziplin sowie Demut und Dankbarkeit entwickelt. Seit sie 17 Jahre alt ist, steht Demirtas, die seit 1994 die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, auf eigenen Füßen. Karriere hat sie erst als IT-Spezialistin und später als Finanzprüferin in verschiedenen Unternehmen gemacht.

Der Vorwurf des Kreditbetrugs basiert auf einer Klage der Investmentgesellschaft Tahoe, die zur Prevent-Gruppe der bosnischen Familie Hastor gehört. Demnach hätten sich Müller und Demirtas mit geschönten Zahlen ein Darlehen erschlichen. Die ehemalige Finanzchefin weist das entschieden zurück. Die Bosnier wollten unbedingt bei Alno einsteigen und den Konzern übernehmen. Für nähere Finanzangaben hätten sie sich nicht interessiert, was bei einer Übernahme ausgesprochen ungewöhnlich ist. Die erfahrenen Bosnier hätten genau gewusst worauf sie sich einlassen. „Das war ein hochriskantes Investment in ein Unternehmen in Schwierigkeiten“, betont Demirtas.

 „Prevent verfolgt immer das gleiche Muster“, erklärt die 57-Jährige. Schrittweise werde die Kontrolle über ein angeschlagenes Unternehmen übernommen. Dann verlagerten die Investoren die Fertigung ins Ausland, und sicherten sich die Vermögenswerte. Danach gehe Prevent brachial auf Kunden und Lieferanten zu, vor allem wenn sie von übernommenen Unternehmen abhängig sind. So ist der Streit zwischen Prevent und Volkswagen derart eskaliert, dass der Autoriese für mehrere Wochen die Produktion anhalten musste. Diese zerstörerische Strategie habe bei Alno dazu geführt, dass das Unternehmen unter der neuen Führung erst die Lieferanten verprellt und später die Insolvenz des Konzerns 2017 anmelden musste. Auch andere zugekaufte Unternehmen seien inzwischen pleite.

Der Vorsitzende Richter Alexander Stuckert hat bereits Klärungsbedarf rund um die Rolle der Castor Holding angemeldet, um die sich der Vorwurf der Untreue dreht. Die Gesellschaft war zwischen den mächtigen einkaufsverbänden und Alno zwischengeschaltet. Müller und Demirtas betonen, dass man so den Umsatz des Konzerns habe erheblich steigern können. „Aber was genau haben Sie getan?“, will Stuckert vom Mitangeklagten Horst Overbeck wissen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 82-Jährigen vor, dass er geholfen habe, zu Unrecht Provisionen bei Alno abgezwackt zu haben. Laut Overbeck habe der „Einmannbetrieb“ vor allem komplexe kontakte zu den Finanzbehörden und Banken gepflegt.

In den kommenden Wochen werden Ermittler des Bundeskriminalamtes, des Aufsichtsrates sowie Geschäftspartner als Zeugen vernommen. Die drei Richter und zwei Schöffen erwartet mühsame Kleinarbeit in ein Dickicht von Zahlungen und Kreditvergaben, die teilweise über Gesellschaften erfolgt sind, die wiederum zu Müller selbst gehörten. Der ehemalige Vorstandschef verweist darauf, dass er durch Alno mehr zwölf Millionen Euro verloren und folglich nicht bereichert hat. Stuckert, der schon die Pleite des Windpark-entwicklers „Windreich“ strafrechtlich aufgearbeitet hat, geht die Aufgabe betont gelassen an. „Wir liegen bequem im Zeitplan“. Schon jetzt sind Verhandlungen bis Mitte September angesetzt.

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