
Seit einem Jahr ist Emmanuel Macron im Amt. Etliche Wirtschaftsreformen hat er in dieser Zeit bereits angestoßen. Wie bewerten Ihre mittelständischen Mandanten aus Deutschland die Reformen?
Durchweg positiv. Sie hoffen, dass der Arbeitsmarkt endlich flexibler wird, die unternehmerischen Gestaltungsmöglichkeiten zunehmen und Unsicherheiten für Arbeitgeber verschwinden. Der Optimismus ist sogar schon messbar: Denn laut französischem Arbeitsamt wollen französische Unternehmer 2018 in Frankreich fast ein Fünftel mehr Mitarbeiter einstellen als im Vorjahr.
Unter anderem will Macron den Arbeitsmarkt liberalisieren – es soll für Unternehmen einfacher werden, Leute einzustellen und wieder loszuwerden. Ist das gut oder schlecht?
Grundsätzlich ist eine höhere Fluktuation am Arbeitsmarkt meines Erachtens gut, sowohl für die Gesellschaft als auch für einzelne Unternehmen. Bislang zögerten die Unternehmen einzustellen, da die finanziellen Folgen einer Entlassung für Unternehmer nicht gut vorhersehbar waren. Dies führte dazu, dass in Frankreich jeder Mitarbeiter stark an seinem Job festhielt, aus Angst, keine neue Beschäftigung zu finden. Wenn er entlassen wurde, empfand er das als persönliches Drama und zog meist vor Gericht. Ein flexiblerer Arbeitsmarkt erlaubt nicht nur Unternehmen, schneller auf konjunkturelle Entwicklungen zu reagieren. Sondern er ermöglicht es auch den Arbeitnehmern, schneller eine neue Anstellung zu finden, wenn ihnen gekündigt wurde. Wenn durch die Reformen erreicht wird, dass die Mitarbeiter von sich aus häufiger zu Jobwechseln bereit sind, ist das auch aus Sicht der Unternehmen gut. Denn dadurch steigt die Zahl potentieller neuer Bewerber.

Was ist beim Arbeitsrecht konkret geplant?
Es gibt eine Vielzahl von Änderungen, die das tägliche Leben im Unternehmen vereinfachen sollen. So werden beispielsweise die Organe der Belegschaftsvertretung von bisher drei verschiedenen Organen auf einen Betriebsrat reduziert. Zudem hat sich das Entlassungsrecht geändert. Anders als in Deutschland müssen Unternehmen in Frankreich neben der Kündigungsfrist bei Entlassungen tarifvertragliche beziehungsweise gesetzliche Abfindungen zahlen – auch wenn der Entlassungsgrund wirksam ist. Wenn der Mitarbeiter vor Gericht zog, drohten zudem Schadensersatzzahlungen. Deren Höhe lag im freien Ermessen der Richter. Nun gibt es dafür eine Tabelle, in der die Höhe des Schadensersatzes je nach Betriebszugehörigkeit klar gedeckelt ist. Das macht eine Kündigung für den Arbeitgeber berechenbarer – auch wenn sie ein Kostenfaktor bleibt. Außerdem ist die Personalplanung für die Frankreich-Niederlassung eines deutschen Unternehmens einfacher geworden. Es kann nun die Mitarbeiter der französischen Tochter betriebsbedingt entlassen, wenn die Geschäfte in Frankreich nicht gut laufen – unabhängig davon, wie es der deutschen Mutter oder anderen Auslandsgesellschaften der Unternehmensgruppe geht. Bislang wurde für die Begründung einer betriebsbedingten Kündigung immer der Zustand der gesamten Gruppe bewertet.
Ab wann werden die Änderungen greifen?
Die Änderungen im Kündigungsrecht und auch die Schadensersatz-Tabelle sind bereits seit Januar in Kraft. Macron hat sich früh in seiner Präsidentschaft vom Parlament eine Ermächtigung für seine Regierung besorgt, um in Abstimmung mit den Gewerkschaften Verordnungen zur Änderung des Arbeitsrechts zu erlassen. Das hat den Gesetzgebungsprozess erheblich beschleunigt: Die Verordnungen wurden in der Zwischenzeit ratifiziert und haben Gesetzeskraft erlangt. Die Reform der beruflichen Ausbildung und der Arbeitslosenversicherung will Macron ähnlich schnell umsetzen.
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Gelten die neuen Regelungen für französische und ausländische in Frankreich ansässige Unternehmen gleichermaßen?
Ja, der Sitz der Muttergesellschaft ist für die Frage der Geltung nicht relevant.
Macron will auch die Körperschaftssteuern senken, unter anderem damit internationale Konzerne Frankreich als Standort wählen. Macht das den Standort auch für deutsche Mittelständler interessanter?
Auf jeden Fall. Derzeit liegt der Körperschaftssteuersatz bei 33,33 Prozent, bis 2022 soll er schrittweise auf 25 Prozent sinken. Das bedeutet direkte Einsparungen auch für deutsche Firmen, die in Frankreich steuerpflichtig sind. Unterm Strich halte ich aber die Reformen am Arbeitsmarkt für bedeutender und investitionsfördernder für deutsche Mittelständler.
Um den Staatsapparat zu verschlanken, will Macron 120.000 Jobs im öffentlichen Dienst streichen. Haben es deutsche Mittelständler also künftig leichter, an Mitarbeiter in Frankreich zu kommen?
Das ist schwierig zu sagen. Bislang hat Macron eine Reduzierung durch freiwilliges Ausscheiden angekündigt; es ist also nicht so, dass Beamte nun massenweise entlassen werden. Zudem ist nicht sicher, dass ehemalige Staatsbedienstete ohne weiteres in ein Industrieunternehmen integriert werden können. Deutsche Mittelständler in Frankreich suchen nach meiner Erfahrung vor allem Vertriebler, Techniker und Produktionsmitarbeiter. Da dürften die möglicherweise freigesetzten Beamten ohnehin nicht passen.
Wie steht es mit dem Abbau der Bürokratie in Frankreich?
Die administrativen Prozesse im Staatsapparat schlanker und effizienter zu machen ist das erklärte Ziel von Macron. Er will so viel wie möglich digitalisieren, so dass Unternehmen mehr selbst und online abwickeln können. Ob das aber gelingt, ist noch unsicher. Einige Interessengruppen – beispielsweise Anwälte – kommentieren es eher kritisch.
Welche Reformen plant Macron noch?
Macron will auch das Ausbildungssystem reformieren. Frankreichs Bildungssystem ist unter anderem durch die Elite-Universitäten geprägt – einen Lehrberuf zu ergreifen ist nicht sehr üblich und hat auch nicht dieselbe Akzeptanz in der Gesellschaft wie in Deutschland. Deswegen haben etliche Firmen – französische wie ausländische – durchaus Probleme, qualifizierte Facharbeiter zu finden. Macron will das Image der Handwerksberufe pushen und dafür sorgen, dass mehr junge Leute eine Lehre machen. Mittelfristig stehen noch die Reformen der Arbeitslosenversicherung und des Rentensystems auf seiner To-do-Liste.
Auf welche Regelungen sollten deutsche Mittelständler, die mit Frankreich Geschäfte machen, besonders achten?
Ganz unabhängig von den Reformen hat sich in jüngster Zeit der Trend fortgesetzt, in Handelsbeziehungen die Position der schwächeren Partei zu stärken. Ein Beispiel: Wenn ein deutscher Mittelständler mit einem französischen Kunden einen Rahmenvertrag geschlossen hat, bekommt er möglicherweise Probleme, unter Bezug auf die vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist aus diesem Vertrag auszusteigen. Denn der französische Partner kann gegen eine „brutale Kündigung langfristiger Handelsbeziehungen“ klagen und monieren, dass etwa eine halbjährige Vertragskündigungsfrist nach 20-jähriger Zusammenarbeit zu abrupt sei. Dann kann ein Gericht die vertragliche Kündigungsfrist auf eine angemessene Dauer ändern. Diese typische französische Regelung gab es auch schon vor Macron. Sie wurde allerdings von der Rechtsprechung nochmals verschärft.
Kann sich ein deutsches Unternehmen irgendwie dagegen absichern?
Leider nein. Daher sollte man sich als deutscher Investor im Vorfeld zu diesen Fragen schlau machen, um eventuelle Konsequenzen bei einem Frankreich-Projekt einzuplanen.

Dieser Text gehört zu einem Thema aus der Markt-und-Mittelstand-Ausgabe 05/2018. Hier können Sie das Heft bestellen und „Markt und Mittelstand“ abonnieren.