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Zukunftsmärkte > Gleichberechtigung im Alltag

Die starken Frauen von Günzburg

Weibliche Kraft bringt die Stadt voran. Aber die Toppositionen der Politik besetzen dann doch wieder Männer. Über Chancen und Widerstände in der Provinz.

Manuela Stone leitet Günzburgs Topattraktion – das Legoland.
Richtig klotzen: Manuela Stone leitet ­Günzburgs Topattraktion – das Legoland. Ein Job, der ihr sichtlich Spaß macht. Bildquelle: Legoland

Heile bayerisch-schwäbische Männerwelt: In Günzburg scheint diesbezüglich noch alles so, wie es schon immer war. Ob Oberbürgermeister, Landrat, die Vorstände von Lions Club wie Rotariern und natürlich der Kreishandwerkerchef. Die Herren teilen Amt und Würden weitgehend unter sich auf. Die Vorstände von Sparkasse und Volksbank? Fest in Männerhand. Ebenso das Management der meisten Betriebe, die Wohlstand in der Region schaffen. Dazu gehören neben dem Einkaufswagenbauer Wanzl, dem Fahrzeugspezialisten Al-Ko und dem Anhängerbauer Kögel zahlreiche andere Mittelständler. Zudem ist die aufstrebende Wirtschaftsregion Ulm in direkter Nachbarschaft und die Großstädte Augsburg und München für Pendler in erträglicher Nähe. Da fahren viele Männer hin, während die Frauen den Tag zwischen Kinder, Küche und Kirche aufteilen. Oder trügt das Männeridyll?

Zunächst einmal: Ohne eine Frau wäre Günzburg nicht zu dem wohlhabenden Städtchen von heute aufgestiegen. Die österreichische Kaiserin Maria Theresia ließ im 18. Jahrhundert eine Münzprägestätte einrichten, aus der dann die am meisten verbreitete Silbermünze der Welt stammte: der Maria-Theresia-Taler. Das hatte nachhaltige wirtschaftliche und politische Folgen für die Stadt an der Donau. 1803 wurde Günzburg sogar Hauptstadt von Vorderösterreich.
Heute müssen die 22.000 Einwohner zwischen Frühjahr und Herbst die schmucke Altstadt mit Tausenden Touristen teilen. Die Besucher aus aller Welt zieht es vor allem in das seit 2002 bestehende Legoland, etwas südlich des Zen­trums direkt an der Autobahn 8 gelegen. Der Freizeitpark rund um die dänischen Bauklötzchen gehört zu den wichtigsten wirtschaftlichen Treibern für Stadt und Region. Und auch hier profitiert Günzburg von einer Frau.

Kein Männeridyll

Seit 2019 ist Manuela Stone Chefin im Legoland, lenkt knapp 2100 Mitarbeiter aus 50 Nationen – davon die Hälfte Frauen. Zwei Millionen Besucher jährlich bedeuten nach Europa-Park und Phantasialand Platz drei der erfolgreichsten deutschen Freizeitparks. Für die neue Saison hat die britische Merlin Entertainments Group, die Legoland betreibt, 15,5 Millionen Euro investiert. In den kommenden zwei Jahren werden auch die Hotelkapazitäten ausgebaut. Die Lokalpresse beziffert die Investition mit zehn Millionen Euro, was der Freizeitpark nicht dementiert.
Von Männeridyll kann hier keine Rede sein: „Die Förderung von Frauen im Beruf ist mir eine große Herzensangelegenheit. Und ich schaue, dass ich dies, wo immer möglich, umsetze. Intern konnte ich bereits eine Mentee in unserer gut vernetzten Muttergesellschaft Merlin Entertainments auf ihrem beruflichen Weg unterstützen“, sagt Legoland-Chefin Stone. „Auch bei uns sind inzwischen mehr Frauen in leitenden Positionen als früher“, sagt die 51-Jährige. Die Hälfte der Führungskräfte sei mittlerweile weiblich. Beim Frauennetzwerk Foodservice habe sie zwei Nachwuchskräfte als Mentorin begleitet und dies jetzt auch beim Verband deutscher Freizeitunternehmen initiiert.

Goldene Nase

Auch politisch haben Frauen aus Günzburg einiges bewegt: Petra Kelly gründete die Grünen mit und gehörte in den Anfangsjahren der Partei zu den prominentesten Gesichtern. Bei der jüngsten Bundestagswahl schickten übrigens zwölf Prozent der Günzburger die Grüne Ekin Deligöz nach Berlin. Die Neu-Ulmerin arbeitet jetzt als parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfamilienministerium. Mit etwas mehr als sieben Prozent hat mit Anke Hillmann-Richter (FDP) die nächste Frau auch ein respektables Ergebnis erreicht.

Bundesweit in die Schlagzeilen schafften es zuletzt allerdings einige Günzburger Männer. Der CSU-Landtagsabgeordnete Alfred Sauter etwa. Er hatte sich wie auch Parteifreund und Bundestagsabgeordneter Georg Nüßlein – ebenfalls Kreis Günzburg – rund um den Handel mit Corona-Schutzmasken eine goldene Nase verdient. Sauter war unter CSU-Ministerpräsident Edmund Stoiber in München sogar Justizminister – bis er 1999 über eine Affäre stolperte. Der heute 73-Jährige hatte zeitweise 69 Mandate angehäuft. Wer in Günzburg, Schwaben und darüber hinaus was werden wollte, ist bis zum Maskenskandal kaum an Sauter vorbeigekommen – egal ob Frau oder Mann. Seine Parteiämter ist der umtriebige Anwalt inzwischen los, doch im Landtag und im Kreisrat mischt er fraktionslos weiter mit. Nüßlein, wenn auch vom Vorwurf der Bestechlichkeit freigesprochen, zog sich von allen Ämtern und aus der CSU zurück.

Die Partei gewann trotz der Maskenaffäre bei der letzten Bundestagswahl mehr als ein Drittel der Stimmen in Günzburg. Das Direktmandat von Nüßlein sicherte sich CSU-Politiker Alexander Engelhard, der sich zuvor innerparteilich gegen Julia Dümmler durchgesetzt hatte.
Schaut man auf lokaler Ebene genauer hin, zeigt Günzburg einige politische Besonderheiten. Frauen stellen die Hälfte des Stadtrats. „Das spiegelt die Gesellschaft unserer Stadt wider“, erklärt Gerhard Jauernig (SPD). Der 51-Jährige wurde vor 30 Jahren als jüngster Stadtrat Bayerns gewählt. „Damals waren nur zwei Frauen vertreten“, sagt er. Frauenpower hat sich im politischen Günzburg durchgesetzt. Nur für den Oberbürgermeisterposten hat es noch nicht gereicht. Den hat seit mehr als 20 Jahren Jauernig inne. Bei seiner Wiederwahl (94 Prozent) trug ihn sogar die CSU mit.

Im Alltag würden selbst traditionell eher konservative Institutionen wie die Günzburger Kreishandwerkerschaft ohne Frauen längst nicht mehr funktionieren. Zwar steht ein männlicher Vorsitzender an der Spitze, doch die Organisation ist fest in den Händen von Geschäftsführerin Ulrike Ufken. Ihre drei Kolleginnen kümmern sich um Buchhaltung und Personal, Verwaltung und Ausbildungswesen, Prüfungen und Veranstaltungen. Beim katholischen Pfarramt führen Frauen die operativen Geschäfte. Gleiches gilt für die kleinere evangelische Konkurrenz.

Oberbürgermeister Jauernig findet, dass Frauen in seiner Stadt ohnehin besonders gute Möglichkeiten für einen Arbeitsplatz vorfinden. Begünstigt habe die Entwicklung die zunehmende Bedeutung des Dienstleistungssektors. Jauernig verweist darauf, dass in seiner Stadt das Bezirkskrankenhaus mit der angeschlossenen psychiatrischen Klinik zu den größten Arbeitgebern gehört. Viele Frauen seien auch in den Stadt- und Kreisverwaltungen, beim Arbeitsamt, Amtsgericht oder Finanzamt beschäftigt. Hier könnten junge Mütter einfacher in den Beruf zurückzukehren. „Die Frauen spüren in den Unternehmen hingegen den Druck, schnell wieder einzusteigen, weil sie sonst ihre Position verlieren“, berichtet Jauernig von Gesprächen mit Betroffenen.

Lieber Frauen über 45

Eva Heißwolf, seit 2017 Vorsitzende der Wirtschaftsvereinigung Günzburg, sieht die Lage sogar noch kritischer. Die Mittvierzigerin führt den Sicherheits- und Reinigungsdienstleister Kalka mit 380 Beschäftigten. Mit Blick auf den eigenen Betrieb kann sie bestätigen, dass sich einiges im Sinne der Frauen geändert hat. „Bei meinem Vater hätte es nicht so viele Teilzeitjobs gegeben. Der hat dann lieber Frauen über 45 eingestellt“, gesteht sie lachend. Doch dann wird sie ernst: „Das Bild in den Köpfen muss sich ändern. Von vielen Frauen wird immer noch erwartet, dass sie sich um die Kinder kümmern, statt arbeiten zu gehen.“ So hat die Unternehmerin große Mühe, 30 offene Stellen zu besetzen.
Ein Thema, das das Legoland in noch viel größerem Maße betrifft. Gut 250 Saisonstellen muss Chefin Manuela Stone in der Hochsaison besetzen. Fündig werde man unter anderem auf Jobmessen in Osteuropa. Aber auch viele Schüler und Studenten aus der Region arbeiten im Sommer hier. Daraus rekrutiert Stone dann auch Nachwuchskräfte. Zudem umwirbt der Freizeitpark die jungen Leute auf Bildungsmessen und in Günzburger Schulen.

Die Besteuerung hält aus Sicht von Heißwolf viele davon ab, mehr zu arbeiten. Wer mehr als einen 520-Euro-Job übernehmen will, muss in der Regel Steuern zahlen. „Das lohnt sich dann für die Frauen unter dem Strich nicht“, sagt sie. Auch die Arbeit im Homeoffice sei zu bürokratisch angelegt. „Dabei wäre das ideal“, sagt Heißwolf. „Vormittags während der Schule arbeiten und dann wieder, wenn die Hausaufgaben erledigt sind oder am Abend. Doch das geben unsere Arbeitszeitgesetze derzeit nicht her.“ Wie in vielen anderen Teilen Deutschlands ist die Betreuung der Kinder auch in Günzburg nur auf dem Papier gesichert. „Ich kenne einige junge Unternehmerinnen, die nur arbeiten können, weil sie die Rückendeckung durch Oma und Opa haben“, betont Heißwolf.

Um Familie und Beruf besser verbinden zu können, tragen zehn Unternehmen im Kreis Günzburg über einen Verein eine Tagesstätte, die flexiblere Betreuungszeiten für 80 Kinder anbietet. Kids & Company ist allerdings in den vergangenen Jahren immer wieder in den Schlagzeilen gewesen, weil die Vereinsvorsitzende Stephanie Denzler (CSU) Fördergeld in Höhe von 387.000 Euro offenbar zu Unrecht beschafft hat. Im vergangenen Jahr gab es sogar eine spektakuläre Razzia der Polizei im Hort und in Denzlers Wohnung. Die Staatsanwaltschaft Memmingen ermittelt. In der Kita sei „mindestens grob fahrlässig“ gehandelt worden. Denzler ist eine Gefolgsfrau Sauters und inzwischen nicht mehr Vorsitzende des Vereins.
„Zehn Denzler entsprechen einem Nüßlein. Und 100 Nüßlein sind ein Sauter“, lästern die Günzburger ob der intransparenten Geschäfte ihrer CSU-Amtsträger. Der Satz unterstreicht, dass Geschlecht wenig darüber aussagt, ob gemauschelt wird oder nicht. Und einen Frauenbonus gibt es schon gar nicht, wenn es um Macht und Einfluss geht. Da hat der lokale CSU-Chef und Landrat Hans Reichhart keine Beißhemmung. Der ehemalige bayerische Verkehrsminister will derzeit seine lokale Machtstellung mit einer Kandidatur für den Bezirksrat Schwaben ausbauen. Das geht auf Kosten von Parteikollegin Denzler, die in dem Gremium seit knapp einer Dekade sitzt. Die reagierte entsprechend pressewirksam verschnupft – ausgebootet wird sie dennoch. Pikantes Detail am Rande: Reichharts Landratsamt leitet auch die Untersuchung um die Vorgänge bei Kids & Company.

Und während sich die CSU-Granden in der Provinz wegen merkwürdiger Praktiken beim Kitaverein beharken, hat Günzburg an einer anderen Stelle nach 249 Jahren mit Traditionen gebrochen: Im staatlich anerkannten katholischen Maria-Ward-Gymnasium, in dem die höheren Töchter der Stadt von den Buben getrennt aufs Leben vorbereitet wurden, wird seit 2017 gemeinsam unterrichtet.

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