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Zukunftsmärkte > Geopolitische Schlüsselpartnerschaft

Freihandel mit Indonesien: EU darf den Anschluss nicht verpassen

| Oliver Rolofs

Indonesien wird zum geopolitischen Schlüsselpartner im Indo-Pazifik. Der geplante Freihandel mit der EU stockt, Brüssels Bürokratie könnte die Chance verspielen.

Zwei Container mit EU- und Indonesien-Flaggen hängen an Kränen vor blauem Himmel
Zwei Container mit den Flaggen der EU und Indonesiens symbolisieren das geplante Freihandelsabkommen – geopolitisch ein entscheidender Schritt im Indo-Pazifik. (Foto: shutterstock)

Von Oliver Rolofs

Indonesien drängt auf Freihandel – EU blockiert mit Auflagen

Die geopolitische Großwetterlage hat sich dramatisch verschärft: Der Systemkonflikt zwischen China und den USA wird offener, Russland führt Krieg in Europa, und selbst auf transatlantischer Ebene bröckelt die Verlässlichkeit – zuletzt mit der Ankündigung Donald Trumps, EU-Importe mit neuen Zöllen zu belegen. Inmitten dieser tektonischen Verschiebungen steht Europas Handelspolitik an einem Scheideweg. Es reicht nicht mehr, auf alte Partnerschaften zu vertrauen oder bloß Lieferketten zu diversifizieren. Europa muss strategischer denken – und neue Allianzen eingehen.

Eine Nation rückt dabei zunehmend ins Blickfeld, die bislang kaum im geopolitischen Koordinatensystem der EU verankert war: Indonesien. Der weltgrößte Inselstaat, viertgrößte Staat nach Bevölkerung und wirtschaftlicher Motor Südostasiens, ist weit mehr als ein Rohstofflieferant. Er ist ein aufstrebender geoökonomischer Akteur, der bereit ist, Verantwortung zu übernehmen – und den Europa endlich ernst nehmen sollte.

Vor diesem Hintergrund meldete EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen jüngst einen diplomatischen Durchbruch: eine politische Einigung mit dem indonesischen Präsidenten Prabowo Subianto über den Abschluss eines Freihandelsabkommens (Comprehensive Economic Partnership Agreement IEU-CEPA). Von der Leyen sprach von einem „wichtigen Schritt in dieser Partnerschaft“ – und setzte damit ein deutliches Signal für den gestiegenen strategischen Stellenwert Indonesiens in einer Zeit wachsender globaler Unsicherheiten. Doch es geht um mehr als Handel: Für Europa ist dies die Chance, ideologische Vorbehalte und regulatorische Bedenken hintanzustellen – und in einer sich neu ordnenden Welt wirtschaftspolitisch endlich souveräner zu agieren.

Europa braucht neue Handelspartner – Indonesien ist strategisch bereit

Indonesien ist auf dem Weg zur geoökonomischen Schwergewichtsklasse: stabile Institutionen, eine junge, wachsende Bevölkerung mit rund 270 Millionen Einwohnern und eine Mittelschicht mit steigender Kaufkraft. Bereits heute ist es die größte Volkswirtschaft Südostasiens (und die größte muslimische Volkswirtschaft) und könnte laut Weltbank bis 2050 unter die Top vier der Welt aufsteigen. Mit einem Handelsvolumen von über 30 Milliarden Euro ist die EU längst präsent – doch das Potenzial reicht weit darüber hinaus.

Ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indonesien wäre für europäische Firmen äußerst attraktiv, die zuletzt mit wachsender Bürokratie, steigenden Energiekosten und regulatorischer Überlastung konfrontiert waren. Es würde ihnen ermöglichen, ihre Lieferketten zu diversifizieren, die Abhängigkeit von China zu verringern und Zugang zu dynamisch wachsenden Schwellenmärkten zu erhalten.

Indonesien bietet sich nicht nur als eine Alternative innerhalb der ASEAN-Region an, sondern kann darüber hinaus zu einem prioritären Partner für die strategische Neuausrichtung der EU im indo-pazifischen Raum erwachsen.

IEU-CEPA politisch beschlossen – doch das Freihandelsabkommen ist immer noch gefährdet

Nach über einem Jahrzehnt der Verhandlungen soll das umfassende Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen Indonesien und der Europäischen Union (IEU-CEPA) bis September 2025 von Handelskommissar Maroš Šefčovič und dem indonesischen Wirtschaftsminister Airlangga Hartarto endgültig abgeschlossen werden.

Dennoch ist der Abschluss weiterhin durch nichttarifäre Handelshemmnisse (NTMs) gefährdet, insbesondere durch EU-Umweltvorgaben wie die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED) und die Verordnung über entwaldungsfreie Produkte (EUDR). Obwohl sich beide Seiten im finalen Prozess befinden, stellen diese Regelungen – allen voran EUDR und RED – weiterhin ein ernstzunehmendes Risiko für einen erfolgreichen Abschluss des Abkommens dar.

Diese Verordnungen hätten erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaftsstruktur Indonesiens, insbesondere auf den Palmölsektor. Über 40 Prozent des indonesischen Palmöls werden von 2,7 Millionen Kleinbauern produziert und buchstäblich Millionen von Familien sind für ihren Lebensunterhalt auf diese Produktion angewiesen. Die Bedeutung dieses Sektors als Hauptpfeiler der indonesischen Strategie zur wirtschaftlichen Entwicklung des ländlichen Raums und zur Armutsbekämpfung wird in Brüssel jedoch nicht allgemein anerkannt. Indonesien hat zudem erhebliche Fortschritte bei der Verringerung der Entwaldung im Zusammenhang mit dem Palmölanbau erzielt, unter anderem durch die Einführung verbesserter Überwachungs- und Rückverfolgungssysteme.

Strategische Flexibilität statt grüner Dogmatik

Was in Brüssel als moralische Maßnahme gegen Entwaldung verkauft wird, wirkt in Jakarta hingegen wie ein protektionistisches Instrument, das die nationalen Entwicklungsziele untergräbt. Dabei verkennt man die Realität vor Ort: Seit 2015 hat Indonesien die Entwaldungsrate deutlich gesenkt und neue Nachhaltigkeitsstandards eingeführt. Laut der norwegischen Entwicklungsagentur NORAD ist die Entwaldung um bis zu 90 Prozent zurückgegangen. Viele Kleinbauern wurden über nationale Programme wie das „Indonesian Sustainable Palm Oil“-Zertifikat (ISPO) zertifiziert – doch die Rückverfolgbarkeitsanforderungen der EUDR könnten sie dennoch aus europäischen Lieferketten ausschließen, selbst bei Produkten wie Kaffee, Kakao oder Kautschuk. Einseitige Vorgaben der EU ohne Kontextualisierung riskieren nicht nur, ein Abkommen zu torpedieren, sondern auch das Vertrauen in Europa als fairer Partner, der Armutsbekämpfung und wirtschaftliche Integration Priorität einräumt, zu untergraben. 

Gerade jetzt, da die EU selbst Teile des Green Deals zurücknimmt, wäre ein flexibleres und partnerschaftliches Vorgehen angebracht. Wenn Europa seine strategischen Interessen ernst nimmt, muss es zwischen realistischen Umweltzielen und geopolitischer Verantwortung abwägen. Der Umgang mit Indonesien wird dabei zum Prüfstein.

Indonesien hat klare Forderungen: die internationale Anerkennung nationaler Nachhaltigkeitszertifikate, die faire Berücksichtigung von Armutsbekämpfung und wirtschaftlicher Teilhabe im Kleinbauerntum sowie gleichberechtigte Handelsbedingungen. Wer wirtschaftliche Entwicklung, soziale Stabilität und Umweltschutz ernst nimmt, muss indonesische Fortschritte in diesen Bereichen anerkennen, anstatt von außen Vorschriften zu diktieren.

Der Wettbewerb schläft nicht: China baut Einfluss in Indonesien aus

Brüssel darf jetzt nicht zögern, Peking handelt bereits. Die Modernisierung des ASEAN-China-Freihandelsabkommens ist abgeschlossen. Indonesien verhandelt zudem mit der von Russland geführten Eurasischen Wirtschaftsunion und hat bereits umfassende Partnerschaften mit Australien und Südkorea geschlossen. Indonesien baut seine wirtschaftlichen Allianzen in rasantem Tempo aus – auch mit westlichen Unternehmen: Tesla plant eine Gigafactory in Indonesien, angezogen von den weltweit größten Nickelreserven.

Indonesien ist nicht nur ein wirtschaftliches Schwergewicht, sondern auch ein geopolitischer Akteur mit wachsender Bedeutung. Seine Außenpolitik basiert auf strategischer Unabhängigkeit und einem Balanceakt zwischen den Großmächten – fest verwurzelt in der Tradition der blockfreien Bewegung. Das südostasiatische Land verfolgt konsequent das Ziel, seine außenpolitische Autonomie zu bewahren und multipolare Strukturen zu fördern. Dabei pflegt es eine pragmatische Balance zwischen den USA und China und bewahrt sich so zugleich Glaubwürdigkeit als Partner Europas, gerade weil es sich keiner Blocklogik unterwirft.

Angesichts zunehmender geopolitischer Spannungen – von Taiwan bis zum Südchinesischen Meer – spielt Indonesien eine stabilisierende Rolle im Indo-Pazifik. Mit seinen politischen Netzwerken innerhalb der ASEAN und darüber hinaus sowie seiner diplomatischen Reichweite ist es ein unverzichtbarer Partner für multilaterale Lösungsansätze.

Die Zeit drängt. Wenn die EU ihre Indo-Pazifik-Strategie ernst nimmt, muss sie nicht nur abstrakte „Lighthouse Projects“ auf dem Papier skizzieren, sondern konkret liefern. Das IEU-CEPA ist dabei der Lackmustest:

Der Schulterschluss mit Jakarta ist kein „Nice-to-have“, sondern ein strategisches Muss. In einer Welt, in der Märkte, Macht und Moral neu vermessen werden, darf Europa nicht länger zögern. Wer Werte exportieren will, muss erst einmal Präsenz zeigen. Das IEU-CEPA-Abkommen ist der Prüfstein: Entweder die EU handelt und bringt Umwelt- und Sozialstandards mit wirtschaftlicher Realität in Einklang – oder sie wird zum Zuschauer der nächsten geoökonomischen Runde. Gelingt es, ein faires, strategisches und nachhaltiges Abkommen mit dem bevölkerungsreichsten Staat der Region zu schließen, wäre das ein Meilenstein für Europa – sowohl ökonomisch als auch geopolitisch.

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