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French Connection: Frankreich und Russland wollen Urananlage in Deutschland ausbauen

Ukrainekonflikt hin, Atomausstieg her: Ausgerechnet in der beschaulichen deutschen Kleinstadt Lingen wollen Frankreich und Russland eine Uranaufbereitungsanlage betreiben, die beide Länder mit Brennstäben versorgt. Grünen-Politiker fordern ein Verbot, das grün geführte Wirtschaftsministerium aber zögert. Dort weiß man: Frankreich ist für die Energieversorgung in Deutschland unverzichtbar.

Atomkraftwerk
Eines der letzten verbliebenen Atomkraftwerke Deutschlands läuft noch im Emsland.

Das Emsland ist so etwas wie das Texas von Deutschland. Jedenfalls wenn es nach den Rohstoffvorkommen geht. Nirgendwo anders wird hierzulande mehr Öl aus der Erde geholt und mehr Gas gespeichert als in dem küstennahen Landstrich im Norden. Sozusagen die Hauptstadt dieser Rohstoff-Industrie – das ist das 55 000 Einwohner große Örtchen Lingen. Öl, Gas und Atom: Das alles hat hier Tradition. Eines der letzte verbliebenen Atomkraftwerke Deutschlands läuft hier noch. Und: Das Werk Lingen der Advanced Nuclear Fuels GmbH (ANF), einer Tochter des staatlichen französischen Atomstromproduzenten Framatome, fertigt hier seit mehr als 40 Jahren Brennelemente für Druckwasser- und Siedewasserreaktoren an. Beliefert werden Schweizer Reaktoren ebenso wie britische, französische und belgische. Auch das russische Unternehmen Tenex, das mit Uranbrennstoff handelt, erhält Rohstoffe aus dem Emsland. Neben Erlangen ist Lingen der zweite wichtige Produktionsstandort von Framatome in Deutschland. „Die enge Zusammenarbeit zwischen Design und Auslegung in Erlangen und der Fertigung in Lingen gewährleistet eine hohe Produktqualität“, schwärmen die Franzosen mit Blick auf ihre Aktivitäten hierzulande.

Doch damit hat es nicht sein Bewenden. Als wäre mitten im Atomaussteiger-Land Deutschland nicht schon eine Brennelemente-Fabrik genug für politisch angespannte Gemüter, will in Lingen auch noch ein russischer Konzern im größeren Stil einsteigen: TVEL ist nach eigenen Angaben der Monopollieferant von Kernbrennstroffen für die russischen Atomkraftwerke und immer auf der Suche nach Nachschub. TVEL untersteht letztlich der staatlichen russischen Atomagentur Rosatom. Frankreichs ANF und Russlands TVEL möchten künftig in Lingen bei der Brennelementeproduktion gemeinsame Sache machen. Das Bundeskartellamt sieht darin kein Problem und genehmigte das Gemeinschaftsunternehmen im vergangenen Jahr. An den Start gehen dürfen die beiden aber erst, wenn auch das Wirtschaftsministerium sein „Okay“ gibt. Dort prüft man, bestätigt eine Sprecherin. Lange kann es nicht mehr dauern, bis ein Ergebnis dieser Prüfung vorliegt, denn das Ministerium hat dafür nur zehn Monate Zeit, neun sind bereits um.

Nur erweist sich die Prüfung für das Haus von Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) als ausgesprochen kompliziert. Denn sie fällt in eine weltpolitisch heikle Lage. Da ist Nord Stream II, die Gaspipeline, die fertig gebaut und von russischer Seite bereits mit Gas befüllt ist, aber bei der von deutscher Seite das Ventil nicht geöffnet wird, weil formal die Betriebsgenehmigung aussteht. Tatsächlich sind die politischen Bedenken gewachsen, ein Regime, wie das von Wladimir Putin durch Gaskäufe zu stabilisieren, während an der ukrainischen Grenze offenbar gerade russische Soldaten aufmarschieren. Nord Stream II zu verzögern, aber Lingen zu genehmigen, wäre das Gegenteil von einer schlüssigen Politik.
Auf der anderen Seite aber wissen auch die Beamten im Hause Habeck, dass Deutschland wegen der Energiewende auf absehbare Zeit auf französischen Atomstrom angewiesen ist. Da ist es nicht angezeigt, den französischen Lieferanten, eben Framatome, einen Strich durch die Rechnung zu machen und dem Konzern die Zusammenarbeit mit den Russen in Deutschland zu verbieten. Zumal die Geschichte von Framatome eng mit der deutschen Energiewirtschaft verknüpft ist: Ursprünglich war Framatome ein Unternehmen, das zu immerhin 34 Prozent in der Hand von Siemens gelegen hatte. Nach dem Reaktorunfall von Fukushima und dem deutschen Atomausstiegsbeschluss verkaufte Siemens seinen Anteil, und Framatome sah sich nach neuen Partnern um: Man orientierte sich Richtung Osteuropa. Mittlerweile bahnt sich eine immer engere Kooperation zwischen Frankreich und den osteuropäischen Staaten an - eine Art Ost-West-Atomkraft-Achse. Bereits im März vergangenen Jahres haben sich Frankreich und sechs osteuropäische Länder - die so genannten Visgerad-Staaten Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn sowie Slowenien und Rumänien - in einem Brief an die EU-Kommission gewandt und von ihr eine bessere Förderung der Atomenergie verlangt.


Eines der Länder, die dabei in besonderem Maße auf eine Kooperation mit Frankreich setzen, ist die Tschechische Republik. Das Land besitzt zwei Atomkraftwerke und erzeugt ein Drittel seines Stroms durch Kernenergie. Seit längerem gibt es Pläne, die beiden Kernkraftwerke Dukovany und Temelin um neue Blöcke zu erweitern. Mit dem Bau der ersten Anlagen soll spätestens in sieben Jahren begonnen werden. Tschechien sieht Frankreich bei diesem Vorhaben als seinen wichtigsten Partner an.
Aber auch die französisch-russische atomare Zusammenarbeit soll gedeihen. Der Generaldirektor von Rosatom, Alexey Likhachev, und Bernard Fontana, CEO von Framatome, haben im vergangenen Jahr Verträge über eine weitreichende Zusammenarbeit unterzeichnet. Die Anlage im Emsland ist nur ein Teil davon. „Durch die enge Zusammenarbeit mit unserem Industriepartner Rosatom stärken wir unseren Beitrag zur sicheren und zuverlässigen Erzeugung sauberer Energie, die von den Kernkraftwerken unserer Kunden erzeugt wird“, sagte Bernard Fontana bei der Unterzeichnung und kündigte sogar Rüstungskooperationen an: „Gemeinsam bauen wir auf unsere Expertise für die Aufrechterhaltung des Betriebs der bestehenden Nuklearflotte und die Vorbereitung auf die nächste Generation der Kernenergie.“ Sein Kollege von Rosatom lobt die Zusammenarbeit vor dem Hintergrund der Klimadebatte: „Heute hat die Welt endlich erkannt, dass es unmöglich ist, CO2-Neutralität ohne Kernenergie zu erreichen. Daher müssen wir unsere gemeinsamen Anstrengungen beschleunigen, um die globalen Dekarbonisierungsziele zu erreichen“, sagt Likhachev.

Kommt der Deal in Lingen, wird Russland seinen Einfluss auf die Versorgung mit Atomstrom in Europa vergrößern. Davon ist Wladimir Sliwjak überzeugt, er ist Atomexperte bei der russischen NGO Ecodefense, einer der führenden Umweltorganisationen Russlands und Partner der von den Grünen geförderten Heinrich-Böll-Stiftung. „Russland will mit diesem Einstieg in die Energiemärkte seinen Einfluss im Westen vergrößern“, sagte Sliwjak gegenüber der „Zeit“ Genauso wie der russische Präsident Wladimir Putin über die Gaslieferungen an Deutschland politische Sanktionen gegen ihn hemmen könne, funktioniere das auch bei der Kooperation mit der französischen Atomwirtschaft.
Nicht nur Stiftung und NGO sehen den Vorgang in Lingen kritisch, auch einzelne Grüne haben sich bereits öffentlich gegen das Vorhaben positioniert. Die Partnerschaft könne „eine Maßnahme zur Erleichterung von Exporten von Brennelementen oder auch der erste Schritt in Richtung einer vollständigen Übernahme“ der Brennelementefertigung in Lingen sein, warnte die damalige Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Umwelt und nukleare Sicherheit Sylvia Kotting-Uhl (Grüne) im vergangenen Jahr in einem Brief an Habecks Vorgänger, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU).
Habeck hat also jetzt die Wahl zwischen Pest und Cholera: Genehmigt sein Ministerium die Zusammenarbeit, bringt er seine eigene Partei gegen sich auf und liefert das Bild einer inkonsistenten Außenpolitik. Verweigert sein Haus etwa mit dem Hinweis auf „nationale Sicherheitsinteressen“ die Erlaubnis, brüskiert er Frankreich als Deutschlands wichtigsten Partner in der Energieversorgung.

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