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Einkauf, Marketing und Marken > Gastro-Krise: Branche kämpft ums Überleben

Gastro-Kollaps: Tausende Betriebe vor dem Aus – Rettet die Steuer-Senkung die Branche?

Die deutsche Gastronomie steht vor enormen Belastungen. Steigende Kosten und sinkende Umsätze zwingen viele Betriebe in die Knie.

Die deutsche Gastronomie steht vor schwierigen Zeiten. (Foto: Shutterstuck)

Die deutsche Gastronomie befindet sich in einem Überlebenskampf. Während Restaurantbesucher die Auswirkungen bereits durch kürzere Öffnungszeiten und reduzierte Speisekarten spüren, zeichnet sich hinter den Kulissen ein dramatisches Bild ab. Tausende Betriebe stehen vor dem Aus, und die Branche kämpft verzweifelt um ihre Zukunft.

Laut Creditreform ist die Zahl der Insolvenzen in der Gastronomie im vergangenen Jahr um 27 Prozent gestiegen - deutlich stärker als in der Gesamtwirtschaft. Besonders hart trifft es Caterer und Verpflegungsdienstleister mit einem Anstieg von 67 Prozent. Diese Entwicklung ist Teil eines größeren Trends, der die gesamte Branche erfasst hat.

Seit Januar 2024  gelten wieder die üblichen Mehrwertsteuersätze von 19% auf Speisen und Getränke. DEHOGA-Umfragen zeigen, dass 66,1% der speisengeprägten Betriebe Ertragsrückgänge verzeichnen, 63,3% weniger Gäste zählen und 62,4% sinkende Umsätze beklagen. "Nach vier Verlustjahren ließen die massiv gestiegenen Kosten den Betrieben keine andere Wahl, als die Preise anzupassen", erklärt DEHOGA-Präsident Guido Zöllick gegenüber gegenüber dem Gastronomie Report.

Hintergründe für das Gastronomiesterben

  • 1. Mehrwertsteuererhöhung: Die Anhebung des Mehrwertsteuersatzes von 7% auf 19% für Speisen in der Gastronomie zum 1.1.2024 hat die Situation drastisch verschärft. 87% der Betriebe sahen sich gezwungen, ihre Preise zu erhöhen, wie eine DEHOGA-Umfrage zeigt.
  • 2. Steigende Personalkosten: Der Mangel an Arbeitskräften und die Erhöhung des Mindestlohns treiben die Personalkosten in die Höhe. Acht von zehn Unternehmen im Gastgewerbe sehen hierin ein erhebliches Geschäftsrisiko.
  • 3. Energiekosten: Trotz einer gewissen Entspannung bei den Energiepreisen betrachten mehr als drei Viertel der Unternehmen die Energiekosten weiterhin als Risikofaktor.
  • 4. Zurückhaltende Konsumenten: Die schwache Konjunktur und die wirtschaftliche Unsicherheit führen zu einer spürbaren Zurückhaltung bei den Gästen. Viele bestellen günstiger oder verzichten auf Extras wie Vorspeisen oder Desserts.
  • 5. Lebensmittelpreise: Die gestiegenen Kosten für Lebensmittel belasten die Ertragslage zusätzlich und lassen sich nicht vollständig an die Kunden weitergeben. Zuletzt die Kaffeepreise (mehr...)

Anpassungsstrategien und Zukunftsaussichten

Um zu überleben, greifen Gastronomen zu verschiedenen Maßnahmen. Neben 

  • Preiserhöhungen
  • geplante Investitionen reduzieren (77,8%)
  • Anpassung des Angebots (62,0%)
  • Öffnungszeiten reduzieren (40,5%)

Fritz Engelhardt, DEHOGA-Landeschef in Baden-Württemberg, berichtet: "Die Speisekarten werden durchforstet - und nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten optimiert." Dies führt dazu, dass teure Gerichte wie Rumpsteak oder Rinderfilet von vielen Karten verschwinden.

Doch die Krise trifft nicht alle Regionen und Segmente gleich stark. Während die Nachfrage in manchen Gebieten noch relativ stabil ist, leiden besonders Betriebe im ländlichen Raum. Seit 2019 haben im Südwesten fast 4.000 Gastronomie-Betriebe aufgegeben. Besonders betroffen sind Kleinstunternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitern, die 88% aller Insolvenzen ausmachen.

Die Zukunftsaussichten sind düster. Der Erwartungsindikator für die kommenden 12 Monate ist deutlich gesunken. Fast die Hälfte der Unternehmen erwartet schlechtere Geschäfte, nur jedes zehnte hofft auf Besserung. Creditreform prognostiziert einen weiteren Anstieg der Insolvenzfälle.

Die Politik verspricht: Umsatzsteuersenkung & dauerhafte Entlastung für Gastronomen und Verbraucher

Union und SPD haben sich in ihren Sondierungsgesprächen auf eine dauerhafte Senkung der Umsatzsteuer für Speisen in der Gastronomie auf sieben Prozent geeinigt. Diese Entscheidung, die ursprünglich als temporäre Maßnahme während der Corona-Pandemie eingeführt wurde, soll nun langfristig die wirtschaftliche Lage der Gastronomiebetriebe verbessern und den Konsum ankurbeln.

CSU-Chef Markus Söder und die SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken haben die geplante Senkung bestätigt, die Teil eines kürzlich erstellten Sondierungspapiers ist. Der DEHOGA Bundesverband begrüßte die Entscheidung enthusiastisch. In einem Social-Media-Post bezeichnete der Verband die Nachricht als "großartige Neuigkeiten für Gastronomie, Hotellerie und dem gesamten Gastgewerbe".

Blick über die Landesgrenzen

Ein Blick über die Landesgrenzen hinaus zeigt, dass ähnliche Maßnahmen in anderen europäischen Ländern bereits positive Effekte erzielt haben. In Frankreich und Italien wurden vergleichbare Steuererleichterungen eingeführt, die zu einer Belebung der Gastronomie führten. Auch andere europäische Länder wie Spanien, Griechenland und Luxemburg haben reduzierte Mehrwertsteuersätze für die Gastronomie eingeführt, um die Branche zu unterstützen. In Kanada gelten in den meisten Provinzen ermäßigte Steuersätze auf Restaurantdienstleistungen, um die Gastronomiebranche zu fördern. In Japan wurde die Mehrwertsteuer auf bestimmte Lebensmittel und Getränke gesenkt, um den Konsum in diesem Sektor anzukurbeln. Diese internationalen Beispiele bieten der deutschen Politik nicht nur eine wertvolle Orientierung, sondern verdeutlichen auch, wie gezielte steuerliche Anreize die wirtschaftliche Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Gastronomie nachhaltig stärken können.

Kritische Stimmen

Trotz weitgehend positiver Resonanz stößt die dauerhafte Senkung der Umsatzsteuer in der Gastronomie auch auf kritische Stimmen. Wirtschaftsexperten monieren, dass die Maßnahme primär wohlhabendere Bevölkerungsgruppen entlaste, während strukturelle Herausforderungen der Branche unangetastet blieben. Zudem werfe sie Fragen der fiskalischen Nachhaltigkeit auf und berge das Risiko einer Ungleichbehandlung anderer Wirtschaftssektoren. Entscheidend wird sein, ob die Steuererleichterung über eine kurzfristige Entlastung hinaus als Katalysator für eine nachhaltige Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und eine zukunftsorientierte Transformation gastronomischer Geschäftsmodelle genutzt werden kann.

Chancen und Risiken für Gastronomen

Chancen:

  • Finanzielle Entlastung: Die Senkung der Umsatzsteuer von 19% auf 7% bedeutet eine erhebliche Kostenreduktion für Gastronomiebetriebe. Dies ermöglicht es Unternehmern, ihre Gewinnmargen zu verbessern oder die Einsparungen an die Kunden weiterzugeben. Die zusätzlichen finanziellen Mittel können für dringend benötigte Investitionen in Ausstattung, Personal oder Digitalisierung genutzt werden.
  • Preisgestaltungsspielraum: Gastronomen können entweder die Preise senken, um mehr Kunden anzuziehen, oder die Preise stabil halten und die zusätzlichen Einnahmen für Qualitätsverbesserungen oder Personalaufstockung nutzen. Diese Flexibilität ermöglicht es, individuell auf die spezifischen Marktbedingungen und Kundenbedürfnisse zu reagieren.
  • Wettbewerbsfähigkeit: Die Steuersenkung gleicht die Wettbewerbsbedingungen im europäischen Kontext an. Deutsche Gastronomen können nun auf Augenhöhe mit Kollegen in Ländern wie Frankreich oder Italien agieren, wo ähnliche Steuererleichterungen bereits positive Effekte gezeigt haben. Dies ist besonders für Betriebe in Grenzregionen von Bedeutung und könnte auch die Attraktivität für internationale Touristen steigern.
  • Langfristige Planungssicherheit: Die Dauerhaftigkeit der Maßnahme gibt Unternehmern die Möglichkeit, langfristige Investitionen und strategische Entscheidungen mit größerer Sicherheit zu treffen. Dies kann zu einer nachhaltigen Stärkung und Modernisierung der Branche führen.

Risiken:

  • Abhängigkeit von staatlichen Maßnahmen: Die Steuersenkung könnte bei einigen Betrieben zu einer übermäßigen Abhängigkeit von staatlichen Unterstützungsmaßnahmen führen. Es besteht die Gefahr, dass notwendige Anpassungen und Innovationen vernachlässigt werden, wenn sich Unternehmer zu sehr auf die steuerliche Entlastung verlassen.
  • Preisdruck: Wenn viele Gastronomen die Steuersenkung nutzen, um ihre Preise zu senken, könnte dies zu einem verstärkten Preisdruck in der Branche führen. Dies könnte langfristig die Margen belasten und kleinere Betriebe unter Druck setzen.
  • Ungleiche Wettbewerbsbedingungen: Die Fokussierung auf die Gastronomie könnte zu Ungleichheiten gegenüber anderen Branchen führen, die ebenfalls unter wirtschaftlichen Herausforderungen leiden. Dies könnte zu Forderungen nach ähnlichen Maßnahmen in anderen Sektoren führen und die politische Debatte über Steuererleichterungen neu entfachen.
  • Anpassungsschwierigkeiten: Einige Betriebe könnten Schwierigkeiten haben, ihre Preisstrukturen und Geschäftsmodelle an die neue Steuersituation anzupassen. Dies könnte zu Verwirrung bei den Kunden und zu Problemen bei der Umsetzung führen.

Historischer Blick auf die Krise der deutschen Gastronomie

 

Die aktuelle Krise der deutschen Gastronomie reiht sich in eine lange Geschichte wirtschaftlicher Herausforderungen der Branche ein. Ähnliche Phasen wirtschaftlicher Not gab es in der Vergangenheit immer wieder, oft bedingt durch strukturelle, politische oder gesellschaftliche Veränderungen.

1. Rückblick: Die Gastronomie in wirtschaftlichen Krisen

Die Gastronomie war stets ein Seismograph wirtschaftlicher Entwicklungen. Besonders in wirtschaftlich unsicheren Zeiten wurde sie stark getroffen:

  • 1920er Jahre (Inflation & Weltwirtschaftskrise): Nach dem Ersten Weltkrieg und der Hyperinflation 1923 litt die Gastronomie unter stark schwankenden Preisen und einer Verarmung der Bevölkerung. Die Weltwirtschaftskrise 1929 führte zu einem massiven Rückgang des Konsums, viele Wirtshäuser mussten schließen.
  • Nachkriegszeit (1945–1950er Jahre): Die Gastronomie erlebte eine Phase des Mangels, da Nahrungsmittel rationiert waren. Erst mit dem Wirtschaftswunder der 1950er Jahre stabilisierte sich die Branche, und der Konsum stieg.
  • Ölkrisen & Inflation der 1970er Jahre: Die steigenden Energiepreise und eine wirtschaftliche Stagnation führten zu einer sinkenden Kaufkraft. Restaurants und Gaststätten mussten sich neu ausrichten.
  • 2008/09 Finanzkrise: Viele Restaurants spürten den Konsumrückgang, was zu einer steigenden Insolvenzrate führte. Die Gastronomie passte sich an, indem sie auf günstige Menüs und Angebotsaktionen setzte.

2. Die Corona-Krise als jüngste Zäsur

Die wohl einschneidendste Krise der jüngeren Vergangenheit war die COVID-19-Pandemie. Die Gastronomie war mit Lockdowns, Kapazitätsbeschränkungen und einer grundlegenden Veränderung des Konsumverhaltens konfrontiert. Die Mehrwertsteuersenkung auf 7% war eine der Maßnahmen, die eine Erholung ermöglichen sollte.

3. Die aktuelle Krise im historischen Kontext

Die derzeitige Krise unterscheidet sich von den vorherigen Phasen insofern, als dass sie aus einer Kombination mehrerer Faktoren besteht:

  • Steigende Betriebskosten (Löhne, Energie, Lebensmittel)
  • Mehrwertsteuererhöhung von 7% auf 19% (im Jahr 2024)
  • Verändertes Konsumverhalten durch wirtschaftliche Unsicherheit und Inflation

Die Mehrwertsteuerpolitik spielte in der Vergangenheit eine wichtige Rolle bei der Beeinflussung der Gastronomie. Eine niedrige Mehrwertsteuer für die Branche wurde in verschiedenen Ländern Europas als wirtschaftliches Instrument genutzt.

4. Fazit: Wiederkehrende Muster und Zukunftsaussichten

Die heutige Situation erinnert an vergangene Krisen, in denen Gastronomiebetriebe unter wirtschaftlichem Druck standen. Jedes Mal war die Branche gezwungen, sich anzupassen. Während staatliche Steuererleichterungen ein Instrument zur kurzfristigen Unterstützung waren, hing der langfristige Erfolg von der Fähigkeit ab, sich den neuen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen anzupassen.

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