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Gazprom: Der Dämon aus dem Osten?

Der russische Energiegigant wird zum Feindbild schlechthin stilisiert. Dass ein deutscher Ex-Bundeskanzler dort in den Aufsichtsrat einzieht, ist ein Tabu. Aber was ist dran am schlechten Ruf des Unternehmens? Die Wirklichkeit sieht anders aus.

Der Rubel rollt. Nicht oft passt eine Redewendung so gut auf ein Geschäft, wie auf das vom mehrheitlich staatlichen Energiekonzern Gazprom. Alexej Miller, gebürtiger Russlanddeutscher und mit mehr als 20 Jahren einer von Europas dienstältesten CEO`s, ließ sich jedenfalls seine Zufriedenheit anmerken, als er Anfang Januar mit Blick auf die vergangenen zwölf Monate erklärte: 2021 sei ein Rekordjahr für den Konzern und damit auch für ihn gewesen. Niemals zuvor sei mehr Gas gefördert worden und niemals zuvor – den Energiepreisen sei Dank – habe der Gewinn so ordentlich zugelegt. Die Aktie machte darauf einen Hüpfer, in den vergangenen fünf Jahren hat sie um satte 67 Prozent zugelegt. Ein vergleichbarer Konzern wie Shell brachte es derweilen nur auf knapp zwölf Prozent Kurssteigerung. 100 Milliarden Dollar Marktkapitalisierung bringt Gazprom auf die Waage, knapp doppelt so viel wie der deutsche Chemieriese Bayer, einer der Titanen im Deutschen Aktienindex Dax.


Einen Hüpfer können nicht nur die Aktionäre, sondern kann auch Ex-Bundeskanzler Schröder machen, denn der soll ausgerechnet bei dieser Ertragsperle in den Aufsichtsrat einziehen, was das eigene Einkommen nicht unerheblich aufbessern dürfte. Der SPD-Politiker und langjährige Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin ist für das Kontrollgremium des Staatskonzerns Gazprom nominiert worden. Die Hauptversammlung des Energieriesen soll ihn am 30. Juni wählen. Schröder tritt dann an die Stelle von Timur Kulibajew, ein Schwiegersohn des im Zuge der Unruhen vom Januar entmachteten kasachischen Ex-Präsidenten Nursultan Nasarbajew.


Der Konzern ist wie in Deutschland etwa VW, die Telekom und die Post ein Unternehmen mit enger wirtschaftlicher Verflechtung zum Staat. Während in Deutschland der Bund allerdings außer bei der Bahn, der Förderbank KfW und der Bundesdruckerei keine Mehrheitsanteile mehr besitzt, hat sich die Putin-Administration im Kreml 50 Prozent plus eine Aktie an Gazprom gesichert. Auch die persönlichen Beziehungen sind eng: Millers Vorgänger war Erdöl-Minister unter Putin, der CEO selbst gilt als Freund des Staatschefs. Putin hat ihn mehrfach mit Verdienstorden des Vaterlandes bedacht und jüngst den Vertrag des Managers um fünf Jahre verlängert. Das US-Magazin Forbes hält ihn für einen der mächtigsten – und reichsten - Menschen der Welt. Wenn Putin der Gasprinz ist, ist Miller sein Generalfeldmarshall, der mit einem Röhrennetz von mehr als 200 000 Kilometern Länge, durch das er sein Gas in Russland verteilen und Richtung Westeuropa leiten kann, über warm oder kalt, über günstigen oder teuren Strom, über hell oder dunkel entscheiden kann. Derzeit sieht es so aus, als haben sich der Prinz und sein Marshall für kalt, teuer und dunkel entschieden. „Europa läuft vor Kälte blau an ohne russisches Gas“, titelte jüngst die Moskauer Tageszeitung „Nesawissimaja Gaseta".


Den Aufsichtsrat, in den Schröder jetzt einziehen soll, führte einst Dimitri Medwedew an, der sich auch schon mal mit Putin im obersten Staatsamt abgewechselt hat. Das Imperium des Konzerns umfasst an die 100 Tochterfirmen, Medien, Banken und Raumfahrt-Unternehmen eingeschlossen. Auch die Betreiberfirmen der Nord-Stream Pipeline gehören letztlich zu dem Konzern. In fast allen EU-Ländern ist Gazprom an lokalen und regionalen Energieversorgern beteiligt.
Der Konzern ist der größte Erdgas-Förderer der Welt, hat fast 500.000 Mitarbeiter und verfügt nach eigenen Angaben weltweit über die größten Gasvorkommen. Der Laden läuft auch deswegen rund, weil Gazprom ein Monopol auf das Leitungsnetz hat. Nur Gazprom darf laut russischer Gesetzgebung Pipelines für den Export betreiben. Dadurch ist die Firma seit Jahrzehnten der größte Lieferant in der EU. Dabei ist der Marktanteil von russischem Gas in den EU-Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich. Als Faustregel gilt: Je weiter östlich, desto abhängiger sind die Staaten. Deutschland, der größte Konsument in der EU, bezieht rund 55 Prozent seines Gases vom russischen Energieriesen, der hierzulande über seine Tochter Wingas auch den größten unterirdischen Energiespeicher in Rheden betreibt. Dort ist das Gas allerdings gerade weitgehend versiegt. Bestellungen sind jedenfalls aufgrund niedrigerer Kapazitäten derzeit nicht möglich.
„Gazprom nutzt die Marktmacht, indem es mit der Menge des Gases, die es an Europa liefert, die Preise beeinflusst“, sagt der Energiemarktexperte Georg Zachmann von der wirtschaftspolitischen Denkfabrik „Bruegel“ in Brüssel in einem Gespräch mit der Deutschen Welle. Gaszprom wiederum verweist darauf, dass es alle Lieferverträge einhält – was auch stimmt. Allerdings bemüht sich der Konzern auch nicht trotz rekordhoher Preise weitere Mengen über kurzfristigere Märkte zu verkaufen, was wiederum weniger nach einer marktwirtschaftlichen, als nach einer politischen Strategie aussieht. „Gazprom erfüllt seine Verträge, das ist richtig, aber immer nur am untersten Rand der Zusagen", lautet die Einschätzung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Andere Gasanbieter hätten angesichts der rasant anziehenden Nachfrage und Rekordpreise ihre Lieferungen deutlich erhöht. Der Konzern schüre so selbst Zweifel an seiner Zuverlässigkeit, sagte von der Leyen dem „Handelsblatt". Energiemarkt-Experte Zachmann glaubt nicht, dass solche Worte wirken. „Man kann mit demjenigen, der alle Hebel in der Hand hält, so viel verhandeln wie man möchte. Wenn der Gashahn von Moskau aus zugemacht werden kann, sind wir einfach in einer schlechteren Verhandlungsposition", sagt er der Deutschen Welle.


Das Geschäft mit Europa erklärt nur ein Teil des Erfolges von Gazprom. Das Unternehmen hat sich zum Ziel gesetzt, der führenden Energiekonzern der Welt zu werden und produziert nicht nur Gas, sondern auch Erdöl und am Ende Strom. Gerade hat Präsident Putin beim Auftakt der Olympischen Winterspiele in Peking ein Gasliefergeschäft mit der chinesischen Führung unterzeichnet. Auch die USA gehören zu den Kunden von Gazprom. Die Amerikaner bezogen 2020 immerhin acht Prozent ihrer Öl-Importe aus Russland.
Der Gigant, dem wegen seiner schieren Größe etwas Unheimliches umweht, war vor einigen Jahren Gegenstand eines Dokumentarfilms des preisgekrönten Filmemachers Hubert Seipel: „Gigant Gazprom - Die Deutschen und ihr Gas aus dem Osten" hieß die Produktion. Der Film zeigt einen Konzern, der alles andere als unheimlich ist, sondern schlichtweg kapitalistisch, aber nicht menschenfeindlich organisiert und auf seinen Ruf bedacht ist. Der Zuschauer wird mitgenommen an die riesige Schalttafel in der Konzernzentrale, zu den Mitarbeitern beim Essen in der angeblich überdurchschnittlich guten Kantine oder ins Förderwerk im sibirischen Novi Urengoi. Seipel zeichnet das Bild eines hochmodernen Energieunternehmens. Selbst Putin kommt in dem Film zu Wort: „Die Macht hat der“, sagt der Präsident, „der was im Kopf hat. Sie können alles Mögliche besitzen, sie brauchen aber die Fähigkeit, damit umzugehen.“ Es folgen: Alexander Medwedew, Vizechef des Unternehmens, Altkanzler Schröder, Matthias Warnig, Chef des deutsch-russischen Pipeline-Konsortiums Nordstream AG, Alexander Lebedew, der sich trotz eines Aktienpakets von 150 Millionen Dollar als Kleinaktionär bezeichnet, und ein Vertreter des deutschen Chemieriesen BASF, der zu Drehzeiten noch an Gazprom beteiligt war.


Sie alle erklären, warum die Kooperation zwischen Russland und Europa für beide Seiten wichtig, erfolgversprechend und gewinnbringend ist. Deutlich wird in dem Film: Putin und seinen Vertrauten geht es um die Stärkung Russlands - und dazu gehört eben auch, den größten Arbeitgeber des Landes erfolgreich zu führen. Aber Gazprom ist nicht der russische Dämon, zu dem es oft stilisiert wird, der mit seinen unerschöpflichen Gasvorräten der Welt und vor allem dem Westen den Weg diktiert. Weniger die Superwaffe Gas, sondern wirtschaftliche Interessen und die bei Putin tief verwurzelte Angst vor dem Chaos der neunziger Jahre treiben die Verantwortlichen an, glaubt der Filmemacher.


Ob er recht hat, ist unbewiesen. Die Tatsache, dass der Film entstehen konnte, zeigt aber, dass es auch bei Gazprom eine Zeit gab, in der man bemüht war, das schlechte Image im Westen loszuwerden. Aus dieser Zeit, 2007, stammt auch das Engagement Gazproms beim Fußballverein Schalke 04. Gazprom gehört mittlerweile fest zum europäischen Spitzenfußball. An die kurzen Werbespots vor jedem Champions-League-Spiel haben sich die Fans gewöhnt. Auf den ersten Blick betreibt das Unternehmen natürlich Werbung in eigener Sache, was in Zeiten kontroverser Debatten rund um Nord Stream 2, Gazproms Pipeline-Projekt in der Ostsee, nur allzu verständlich erscheint. Aber das Engagement bringt auch ein
Netzwerk an Kontakten. Es ist so etwas wie Diplomatie im Schnellverfahren. Denn wenn Gazprom mit dem britischen Energieminister sprechen möchte, dann müsste es normalerweise die diplomatischen Protokolle befolgen und Wochen, Monate oder sogar Jahre warten, bis es zum Gespräch käme. Aber wenn man die Champions League sponsert, schickt man ihm einfach ein paar Eintrittskarten für eine Partie und sagt: ‚Hey, komm doch zum Spiel.‘ Und natürlich wird er Ja sagen“, erklärt der Sportökonom Simon Chadwick, im Deutschlandfunk.


Trotz aller Kontakte und Bemühungen, nicht als Feind des Westens dazustehen: Wenn ein Ex-Kanzler wie Gerhard Schröder auch noch in den Aufsichtsrat dieses Unternehmens wechselt, lässt die Kritik nicht auf sich warten. Norbert Röttgen, Außenpolitik-Experte der CDU nutzte die Chance: „Es ist nur peinlich“, stellte er fest. Allerdings ist Schröder nicht allein. Der frühere französische Premierminister François Fillon sitzt inzwischen im Aufsichtsrat des russischen Ölförderers Zarubezhneft, wo das Sprichwort vom rollenden Rubel ebenfalls passt.

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