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Zukunftsmärkte > Gescheiterte Energiewende

Wo der Umbau nicht gelingt

Bürokratie, Ideologie und handwerkliche Mängel: Die Klimarettung stockt in Deutschland, die Betriebe stöhnen. Ein Drama in sechs Beispielen.

Trübe Aussichten: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) treibt die Energiewende voran. Doch es hakt überall.
Trübe Aussichten: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) treibt die Energiewende voran. Doch es hakt überall. Bildquelle: © picture alliance/dpa | Britta Pedersen

Es ist das Projekt Weltenrettung, dem die Bundesregierung alles unterordnet. Mit Macht will sie Deutschland umbauen – weg von fossilen, hin zu regenerativen Energiequellen. Doch nach bald anderthalb Jahren, die die Ampel daran werkelt, wird klar: Der Plan geht nicht auf. Aus dem Versprechen, einen neuen mittelständischen Indus­triezweig zu schaffen, ist die Zerschlagung ganzer Branchen geworden. Aus der Not heraus geborene Gesetze, die gut gemeint sind, bewirken das Gegenteil. Und manches ist schlicht absurd. Deutschland ist bei der Energiewende aus der Kurve geflogen. Das belegen sechs Beispiele.

1. Wachstum – in China

Es sollte der Aufbau eines neuen Geschäftszweiges werden: Mehr als zwei Milliarden Euro hat Bosch vor 15 Jahren in das eigene Photovoltaikgeschäft investiert. Im thüringischen Arnstadt wurde eine Fabrik mit 1800 Arbeitsplätzen hochgezogen. Knapp 200 Millionen Euro flossen in den Ausbau der Windkraftsparte. In Nürnberg entstand ein neues Werk für Großgetriebe ergänzend zu einer Fertigung in Witten. Der damalige Bosch-Chef Franz Fehrenbach wurde als „grüner Franz“ gefeiert.

Die Euphorie währte kurz. Von Bosch kommen schon seit 2014 keine Solarzellen mehr. Die Stuttgarter liefern auch keine Großgetriebe für die Windkraft. Arnstadt fertigte bis Ende 2022 noch Teile für die Autosparte. Jetzt ist das Werk zu. Grund für den Fehlschlag: Die Stuttgarter konnten mit den subventionierten Solarmodulen aus China nicht mithalten. Über Jahre haben Brüssel und Berlin zugesehen, wie die eigene Photovoltaikindustrie verglühte. Jetzt ist sie verschwunden.

Das gleiche Spiel zeichnet sich bei der Windkraft ab. Täglich müssten fünf neue Windkraftanlagen entstehen, um Deutschland mit grünem Strom versorgen zu können. Der Bedarf ist riesig. Das freut deutsche Anlagenbauer wie Siemens Energy, Nordex und Enercon sowie die dänischen Hersteller Vestas und Orsted. In Ihrem Windschatten sind Zulieferer wie Bosch Rexroth, Renk, ZF, Schunk oder Bachmann aktiv. Doch auf dem Weltmarkt sind die Deutschen keine Macht mehr. Drei Viertel dieser Branche besetzen Unternehmen aus China. Der Preisdruck, den sie entfalten, reicht bis Deutschland. Nordex schloss 2022 sein letztes Werk für Rotorblätter in Deutschland – zu teuer im Vergleich zur asiatischen Konkurrenz. 

Und was passiert auf dem Markt für Wärmepumpen? Die Nachfrage ist seit dem russischen Angriff auf die Ukraine hochgeschnellt, denn es mangelt jetzt an Gas. Und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) treibt den Umbau mit Regeln und Verordnungen voran. Bis 2030 sollen allein in Deutschland sechs Millionen Anlagen installiert werden. Deutsche Hersteller wie Vaillant, Bosch, Viessmann oder Stiebel Eltron kommen mit der Produktion kaum hinterher. Dem Bundesverband Wärmepumpe zufolge wurden im vergangenen Jahr 154.000 Geräte abgesetzt. Der Markt wird überwiegend von europäischen Herstellern geprägt. In China werden sieben Milliarden Wärmepumpen gebraucht. Die Firmen dort schauen bereits nach Deutschland. 

2. Boom – in den USA 

Wer Autos künftig vergleicht, muss umdenken: Niemand interessiert sich mehr für den Motor, aber jeder für die Batterie. Nach längerem Staunen erkannten das auch die großen Hersteller und stiegen selbst in die Produktion von Speichern für ihre E-Fahrzeuge ein. Der Sinneswandel kam so spät, dass asiatische Hersteller wie CATL, BYD (beide China) und LG Energy (Südkorea) den Ton angeben. Sie kontrollieren den Beratern von Adamas Intelligence zufolge zwei Drittel des Marktes. Deutschland spielt als Fertigungsstandort – gemessen an der Autoindustrie – eine sehr kleine Rolle. Die Branche steht am Anfang. VW, Mercedes, BMW haben Miniwerke in Betrieb genommen. Die große Offensive ist erst als Plan zu erkennen. Sie könnte auch ganz ausfallen.

Denn die USA versuchen, mit hohen Subventionen im Rahmen ihres Inflation Reduction Acts (IRA) die Batteriehersteller zu locken. Tesla ist dem schon erlegen. Der US-Hersteller will die Zellfertigung in den USA vorantreiben. Ob dann in Grünheide bei Berlin immer noch die größte Batteriefertigung der Welt entsteht? Offen. Brandenburgs Ministerpräsident (SPD) sicherte schon mal Unterstützung der Landesregierung beim Ausbau des Standorts zu. Im Saarland wollte der chinesische Batteriehersteller SVolt mit der Produktion beginnen. Der Starttermin ist geplatzt. Aus dem Umfeld der dortigen Regierung heißt es, demnächst kämen „die billigsten Batterien der Welt“ aus den USA. Deutschland habe das Nachsehen.

Auch bei VW ist das US-Subventionsprogramm angekommen. Kürzlich wurde der Bau einer Zellfabrik in St. Thomas im kanadischen Bundesstaat Ontario verkündet. Dank Zollabkommen profitiert man auch dort vom US-Förderprogramm. „Der IRA drückt die Kosten von Batteriezellen nach unten“, bestätigt VW-Technikvorstand Thomas Schmall. Neben der Fertigung in Salzgitter, die 2025 den Betrieb aufnehmen soll, waren für Europa fünf weitere Zellfabriken geplant. Davon ist derzeit keine Rede mehr.

3. Falsche Anreize

Aus der Abteilung „Gut gemeint“ kommt das, was die Bundesregierung als Energiepreisbremse umgesetzt hat: Für 80 Prozent des Verbrauchs des Vorjahres garantiert der Staat einen Preis von 40 Cent je Kilowattstunde Strom und zwölf Cent je Kilowattstunde Gas. Alles, was darüberliegt, bezahlt er. Insgesamt wird diese Beihilfe den Bundeshaushalt mit bis zu 200 Milliarden Euro belasten, das ist das Doppelte der zusätzlichen Ausgaben für die Bundeswehr. Der Gesetzgeber hat damit auf die steigenden Energiekosten reagiert.

Der erste Versuch in diese Richtung war die sogenannte Gasumlage, mit der alle Energiekunden einen Obolus auf die verbrauchte Menge entrichten sollten. Dadurch sollten die Verbraucher zum Verzicht gezwungen werden. Kurz vor dem Start wurde die Maßnahme einkassiert. Der Grund: Die Gasumlage wäre ein verfassungswidriger Eingriff in bestehende privatwirtschaftliche Verträge gewesen. 

Diese Erfahrung hat die Politik nicht davon abgehalten, mit der Energiepreisbremse erneut in den Markt einzugreifen. Faktisch ist der Preis für Strom und Gas bis April 2024 durch den Staat festgelegt. Der Druck, die Preise zu senken, fällt weg, weil der Staat ja zahlt. Einige Versorger haben das erkannt und schnell noch die Tarife erhöht. Sie begründeten das mit höheren Kosten, denn die Großhandelspreise hätten sich 2022 kräftig verteuert.

Was zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung absehbar war: Seit Oktober sinken die Bezugspreise für Strom und Gas. Dank des staatlichen Sponsorings ist die Neigung der Versorger, die Ersparnis an den Kunden weiterzugeben, gering. Bei der Konstruktion der Energiepreisbremse haben die Macher in den Ministerien schlicht ausgeblendet, dass die Versorger den Staat an der Einsparung beteiligen müssten, wenn Energie deutlich günstiger zu bekommen ist. So aber sind die meisten Verbraucher in überteuerten Tarifen gefangen, und der Staat garantiert einen Preis, der inzwischen deutlich über dem Markt liegt.

4. Die Bremse greift nicht

Auch der Mittelstand klagt über die Gaspreisbremse. Er hält sie wegen der Auflagen für zu bürokratisch. „Wir würden die Hilfe gern in Anspruch nehmen, doch so, wie die Preisbremse ausgestaltet ist, halten wir das für unmöglich“, berichtet Rolf Cramer, Geschäftsführer von Druckguss Westfalen. Er hat eine Aluminiumgießerei und versucht, die Energiekosten im Griff zu behalten. „Die Ausgestaltung der Preisbremse ist eine Katastrophe.“ 

Das Problem: Die Hilfe ist abhängig von der wirtschaftlichen Situation eines Unternehmens im Gesamtjahr 2023. Das heißt: In einer Zeit, in der Bankenkrise, Krieg und Inflation jede Berechnung erschweren, soll eine belastbare Prognose her. Weil die Mittelständler aber ihren Gewinn schlecht abschätzen können, müssen sie mit einer bösen Überraschung rechnen: Läuft ihr Geschäft besser als gedacht, müssen sie hohe Summen zurückzahlen. Und dafür müssten sie in den schwierigen Monaten, die noch vor ihnen liegen, Rückstellungen bilden. Die Hilfe minimiert das Risiko also nicht, sondern maximiert die Planungsunsicherheit. Oder, wie es Oliver Falck, Leiter des Ifo-Zentrums für Industrieökonomik, im „Handelsblatt“ ausdrückte: „Wenn man ein solches Instrument umsetzt, dann sollte es möglichst einfach für die Anspruchsberechtigten gestaltet sein.“

5. Dicke Luft

Der Bundestag änderte am 11. November 2022 das Atomgesetz so, dass die drei noch laufenden deutschen Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland statt bis Ende 2022 bis zum 15. April 2023 am Netz bleiben dürfen. Dann ist Schluss, weil vor allem die Grünen das so wollen. Die Voraussetzung fürs Abschalten und dafür, dass auch Gaskraftwerke nicht mehr in vollem Maß genutzt werden müssen, war eine Entscheidung der Bundesregierung vom Oktober 2022. Sie entschloss sich, insgesamt zwölf Kohlekraftwerke aus der eisernen Reserve zusätzlich ans deutsche Stromnetz gehen zu lassen – befristet bis maximal Ende März 2024, Braunkohle bis zum 30. Juni 2023. Kohle war bereits 2022 der wichtigste Energieträger für die Stromproduktion in Deutschland. 33,3 Prozent des Stroms stammte aus Kohlekraftwerken, wie das Statistische Bundesamt berichtet, ein Plus von 8,4 Prozent im Vergleich zu 2021. In diesem Jahr dürfte die Produktion wegen des Wegfalls von Atomstrom weiter steigen. 

Kohlekraftwerke sind die größten Verursacher von Umweltschäden in Deutschland. Wenn wie derzeit ein Drittel des deutschen Stroms aus Kohle kommt, werden dabei Kohlendioxidemissionen von rund 270 Millionen Tonnen freigesetzt. Das entspricht rund 30 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen. Mirko Schlossarczyk von der Unternehmensberatung Enervis Energy Advisors in Berlin rechnet 2023 mit 30 bis 40 Millionen Tonnen mehr CO2. Auch der Thinktank Agora Energiewende stellt fest, dass Deutschland seine Ziele zur CO2-Senkung 2022 trotz eines geringeren Energieverbrauchs verfehlt hat. Einer der Hauptgründe: Kohlekraftwerke. Umweltaktivisten lehnen die wohl dreckigste Form der Energieversorgung ab. Die heftigen Auseinandersetzungen im Braunkohletagebau im nordrhein-westfälischen Lützerath zeigten es: Umweltaktivisten ketteten sich an Bäume, um gegen die Räumung für den Braunkohletagebau zu demonstrieren. Teilweise wollen die gleichen Aktivisten das Ende der Atommeiler auf keinen Fall infrage stellen.

6. Geisterstrom

Aus der Abstellkammer für Absurditäten im Bundeswirtschaftsministerium kommt eine Regelung, die unter dem Namen „Geisterstrom“ den Sinn der Energiewende infrage stellt. Die Betreiber der Stromnetze sprechen von „Einspeisemanagement“ und meinen damit, zwangsweise keinen Strom aus erneuerbaren Energien einzuspeisen. Dazu kommt es, wenn einzelne Abschnitte eines Übertragungsnetzes überlastet sind und keinen Strom mehr transportieren können. Windkraftanlagen werden aus dem Wind gedreht, Wechselrichter bei Solaranlagen ausgeschaltet. Die dann nicht produzierte Energie heißt in der Fachsprache „Ausfallarbeit“. Und völlig klar: Arbeit muss bezahlt werden. Für „Ausfallarbeit“, also die zwangsweise nicht produzierte Energie, erhalten die Anlagenbetreiber Geld – so viel, wie bezahlt worden wäre, wäre Strom geliefert worden. 

Es fließt also Geld, obwohl kein Strom fließt, „Geisterstrom“ halt. In den vergangenen Jahren ist dessen Menge kontinuierlich gestiegen. Besonders in Gebieten, in denen der Ausbau der erneuerbaren Energien rasch fortgeschritten ist, etwa in Küstennähe, sind die Kapazitäten zum Abtransport oder zum Speichern des produzierten Stroms zu gering. Allein 2022 sind gut drei Milliarden Kilowattstunden Windkraft, die an Land hätten produziert werden können, abgeregelt worden, wie der Bundesverband der Deutschen Energie- und Wasserwirtschaft schätzt. Das produziert nicht nur Kosten, die nach Angaben der Bundesnetzagentur schon 2021 bei mehr als 800 Millionen Euro gelegen haben, sondern mit dem Strom hätte sich auch viel bewegen lassen können: Rund sechs Millionen E-Autos könnten damit ein Vierteljahr lang fahren. In etwa so viele Pkw sind derzeit in Schleswig-Holstein und Niedersachsen zusammen gemeldet. Genauso könnte man aus dem abgeregelten Strom auch grünen Wasserstoff herstellen, um etwa 100.000 Haushalte ein Jahr lang zu beheizen. 

Klar wird: Die Energiewende ist notwendig, darin sind sich alle einig. Habeck, als Wirtschafts- und Klimaminister Hauptansprechpartner für das Mammutprojekt, fordert bei jeder Gelegenheit „mehr Entschlossenheit und Tempo“. Nur ist das wichtigste Projekt der Bundesregierung eben derzeit so gemanagt, dass sein Gelingen alles andere als sicher ist. 
 

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