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Einkauf, Marketing und Marken > Plusfrésc

Gourmet to go

Ein kleines Familienunternehmen aus Katalonien bietet Supermarktkunden einen unbezahlbaren Service an – und floriert. Die Konkurrenz staunt.

Schinken satt: An einem ­Extratresen berät ein ­Plusfrésc-Mitarbeiter die Kunden – und schneidet frisch auf. © Sunka

Rafael Pujol war schon immer anders. Der Eigentümer der fast 100 Jahre alten Supermarktkette Plusfrésc lehnt Preiskriege und Übernahmeschlachten strikt ab. Wettbewerber interessieren ihn wenig. Sein Erfolg ist eng mit Lleida verbunden, womit das Unternehmen schon im Logo wirbt. Die katalanische, touristisch nicht sehr attraktive, mittelgroße Stadt liegt in der autonomen Region Katalonien, l60 Kilometer südlich der Pyrenäen am Fluss Segre. Hier gibt Plusfrésc mit fast 25 Prozent Marktanteil den Ton an. Selbst die erfolgreiche und wesentlich größere spanische Supermarktkette Mercadona, die sich einiges von den Katalanen und ihren als Labor dienenden Flagship Stores abgeschaut hat, kann in Lleida nicht mithalten bei Margen und Service.

 

Schon während der Franco-Diktatur, also vor einem halben Jahrhundert, setzte Pujol in seinen Supermärkten auf lokale Produkte, Nachhaltigkeit, Diversität, Vielfalt und Gleichberechtigung. „Der Angestellte sollte genauso zufrieden sein, in dem Supermarkt zu arbeiten, wie der Kunde, der dort einkaufen geht,“ sagt Handelsexperte Lluís Martinez-Ribes, der jahrzehntelang die rechte Hand von Pujol war.
„Er hat damals viel von den Deutschen gelernt“, sagt Martinez-Ribes, der inzwischen als Unternehmensberater arbeitet und an der renommierten Business-Schule Esade in Barcelona unterrichtet. Das Discountmodell von Aldi habe ihn fasziniert. „Aber in seiner harten Version war es in Spanien nicht umsetzbar, weil der Kunde mehr Wert auf Frische und auf lokale Lieferanten legt“, glaubt der Berater. Bei Frischartikeln lägen zudem die höheren Margen, die es Plusfrésc ermöglichten, langsam, aber stetig zu wachsen – „trotz Inflation und einer drohenden Rezession“.

 

Bei Preis, Service und Qualität kann Plusfrésc inzwischen niemand etwas vormachen, auch nicht das spanische Vorzeigekaufhaus El Corte Inglés, wo gleiche Gourmetprodukte wesentlich teurer sind und Luxustouristen schon vom Flughafen aus hingefahren werden. Plusfrésc ist hingegen ein normaler Mittelschichtssupermarkt, der nicht wegen einer risikoreichen Expansion mit Schulden kämpft wie die Eigentümer von El Corte Inglés.

Keine Investoren

Die Katalanen sind stolz auf ihre finanzielle Unabhängigkeit und ihren Ursprung: „Sie verzichten auf komplizierte Fremdfinanzierung und Investoren. Zwei Familien lenken Plusfrésc, und ihre Aufgaben sind klar geteilt. Sie verlieren keine Zeit mit Grabenkämpfen wie andere Unternehmen“, erzählt Martinez-Ribes, der immer noch mit den Eigentümern befreundet ist.

 

Der Eintritt in einen Plusfrésc erinnert an einen Wochenmarkt. In einem Standardsupermarkt gibt es rund 300 verschiedene Käsesorten und ein Biosortiment mit mehr als 400 Artikeln. Vegane Produkte sind kunstvoll neben Fleisch- und Fisch­theken aufgetürmt, Gourmetbedarf liegt neben Unverpacktem, frisches Obst und Gemüse ist attraktiv neben der Schinkenecke angerichtet, wo noch frisch von der Keule geschnitten wird. Und dann ist da die Vinothek, wo Technologie, aber auch ein Experte hilft, die gewünschte Flasche im Regal zu finden. Dafür wurde Plusfrésc in Spanien als Erlebnissupermarkt auch schon mehrfach ausgezeichnet.

 

Während größere Wettbewerber rund 4700 Artikel im Sortiment haben, sind es bei Plusfrésc 8500, die zudem auf viel Platz verteilt werden. Hier muss niemand drängeln. Die gesamte Verkaufsfläche beträgt rund 40.400 Quadratmeter, das Lager hat 16.500 Quadratmeter. Vor allem der ungenutzte Platz vor den Kassen fällt ins Auge.   Dank der schon vor 15 Jahren eingeführten Kundenkarte, mit der rund 90 Prozent der Einkäufe getätigt werden, weiß Plusfrésc sehr viel über das Kaufverhalten und kann neue Supermärkte entsprechend gestalten.


Rund 1400 Mitarbeiter stehen dem Kunden als Berater in den 82 Plusfrésc-Läden zur Seite, aber auch intelligente Waagen und überdimensionale Tablets ermöglichen die Recherche zu Produkten, Gesundheitstipps, Lieferanten und Marken direkt im Supermarkt. Wer in Barcelona in die Läden auf der Calle de Nicaragua oder in der Via Augusta geht, der merkt sofort, dass hier die Freundlichkeit der Mitarbeiter nicht aufgesetzt ist wie bei vielen anderen Geschäften. In Zeiten von Inflation und Knappheit entsteht der Eindruck, dass gerade am Kundenservice nicht gespart wird und es tatsächlich so etwas wie ein Team gibt.

 

„Plusfrésc war vor 40 Jahren der erste Supermarkt, der Farbige einstellte. Das gefiel nicht allen Kunden, aber es gehörte zur Unternehmensethik – und da machte Pujol keine Abstriche. Heute wissen das viele zu schätzen“, sagt Martinez-Ribes. Deswegen wird dem Kunden an der Kasse beim Einpacken der Ware auch immer noch geholfen, was vor allem ältere Menschen zu schätzen wissen. Natürlich können sie auch telefonisch bei Plusfrésc bestellen und die Lieferung bequem zu Hause empfangen.

Pandemie? Welche Pandemie?

Eine App gibt es schon seit 20 Jahren. Mit der können Kunden im Supermarkt gekaufte Produkte einscannen und müssen sie dann an der Kasse nicht mehr aus dem Korb holen. Zudem kann der Käufer entscheiden, ob der Einkauf per Lieferservice nach Hause gebracht werden soll. Die Dienstleister und Zulieferer sind Unternehmen aus der Region, mit denen das Unternehmen seit Jahrzehnten zusammenarbeitet. Man kennt sich und kann deswegen auch gute Preise aushandeln.

 

Für die Pujols und die andere Eigentümerfamilie Oncins liegt hier das Erfolgsrezept, warum die Margen trotz der in Spanien hohen Inflation von zehn Prozent weitgehend gehalten werden konnten. „Plusfrésc konnte so im Pandemiejahr 2020 mit netto 195 Millionen Euro Umsatz einen Rekord erzielen“, erklärt Martinez-Ribes. Während viele andere Unternehmen in der Pandemie bankrottgingen, legten die Katalanen erst so richtig los. Rund 200 Online-Einkäufe am Tag können die Katalanen inzwischen bewältigen, was auch der Investition in die Angestellten und ihre Ausbildung zu verdanken ist.

 

Kein Mitarbeiter ging 2020 in Kurzarbeit, niemand wurde entlassen. Und die Ladenkette wirbt damit, dass dank der Investition von zwei Millionen Euro in Schutzmaßnahmen sich niemand im Supermarkt mit Covid-19 angesteckt habe. Nachhaltigkeit sei keine Pose, sondern eine lang gereifte Überzeugung, erklärt Martinez-Ribes.

 

Weil Plusfrésc seit Jahrzehnten bei Mitarbeitern, regionalen Partnern und Digitalisierung das macht, was heute wegen Klimawandel und Inflation überall gefragt ist, wollen viele Konkurrenten die Kette übernehmen. Das stehe nicht auf der Agenda, bekräftigt der seit 2013 eingesetzte Geschäftsführer Francisco González. 2021 sank der Nettoumsatz zwar im Vergleich zum Rekordjahr 2020 auf 184 Millionen Euro, lag aber deutlich höher als 2019. Im Jahr 2014, als Plusfrésc eine Service-Revolution mit frisch zubereitetem Fisch begann, setzte die Kette nur 124 Millionen Euro um.

 

Barcelona, Via Augusta 188: Hier arbeiten 38 Menschen auf rund 1300 Quadratmetern. Eine Fachfrau gart den auf Eis gelegten frischen Fisch in 15 Minuten. Er kann in der Mittagspause direkt zum Arbeitsplatz mitgenommen werden. Aus dem neben der Fischtheke stehenden Aquarium kann der Meeresfrüchte-Fan sein „Opfer“ auswählen. Dieses „Gourmet to go“-Konzept kurbelte den Umsatz um bis zu 30 Prozent an.
Der Erfolg von Plusfrésc-Gründer Rafael Pujol erinnert an Amancio Ortega, den Gründer der Kleiderkette Zara. Auch Ortega hat sich von unten hochgearbeitet, ihm war der Bezug zu seiner Heimat Galizien wichtig. Der Unterschied: Ortega ist heute der reichste Mann Spaniens, weil Nachhaltigkeit nie wichtig für ihn war, sondern Masse. Während der Zara-Mutterkonzern Inditex heute ein Imperium der Fast Fashion und des Überflusses ist, praktiziert Plusfrésc schon seit jeher Kreislaufwirtschaft. Pujol weiß wahrscheinlich, was ihm ein gutes Gewissen wert ist. <<

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