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Einkauf, Marketing und Marken > Grenzboom

Grenzregion Bad Säckingen: Schweizer Einkaufsmagnet, Fachkräftemangel und teure Wohnungen

Wie an anderen Grenzregionen profitieren auch Bad Säckingen und Waldshut-Tiengen von Schweizer Einkäufern – doch der Fachkräftemangel und steigende Immobilienpreise fordern die Region heraus.

Auf Holz gebaut: Die überdachte Brücke verbindet Bad Säckingen in Deutschland und Stein in der Schweiz. Beide Seiten sind voneinander abhängig. (Foto: shutterstock)

Das deutsche Bad Säckingen und die Region am Hochrhein entwickeln sich dank der kaufkräftigen Nachbarn prächtig. Doch Fachkräfte sind kaum zu finden.

Seit mehr als 400 Jahren verbindet die längste Holzbrücke Europas das badische Bad Säckingen mit der Schweizer Gemeinde Stein auf der anderen Rheinseite. Wurden Teile zerstört, waren beide Seiten schnell bemüht, den Schaden zu reparieren. Denn die 200 Meter lange Brücke verkörpert seit Jahrhunderten die enge Verbindung zwischen den Badenern und dem Kanton Aargau. Die Heimat des „Trompeters von Säckingen“ liegt genau in der Mitte der „Wirtschaftsregion Südwest“ mit den Landkreisen Lörrach und Waldshut-Tiengen.

Hier leben gut 400.000 Menschen. Etwa jeder Zehnte pendelt täglich in die Schweiz, um dort zu arbeiten. Sie bringen in die beiden Landkreise jedes Jahr Einkünfte von 2,6 Milliarden Euro.

Aber auch die Schweizer kommen in Scharen über den Rhein. Vor allem, um günstig in Deutschland einzukaufen oder in Cafés und Restaurants zu gehen. In den Geschäften und Lokalen auf deutscher Seite am Hochrhein ist „Schwyzerdütsch“ eine wichtige Qualifikation. Und auf dem Rückweg fahren die Eidgenossen noch schnell in den Supermarkt, um sich günstig einzudecken. Die Preisunterschiede sind eklatant. Waschmittel, Gewürzgurken, Tiefgefrierpizza – sie sind in Deutschland 65 Prozent und mehr günstiger. Auch Fleisch und Wurstwaren kosten drastisch weniger.

Durch den Einkaufstourismus entgehen so dem Schweizer Einzelhandel mehr als acht Milliarden Franken (8,4 Milliarden Euro). Liegt die Summe auf dem Kassenzettel über 50 Euro, können sich die Eidgenossen auch noch die Mehrwertsteuer erstatten lassen. Das macht tatsächlich auch jeder Zweite. Auf der Schweizer Seite bleiben die Waren bis zu einer Summe von 300 Franken steuerfrei. Somit freuen sich zwar die deutschen Händler, aber der Fiskus auf beiden Rheinseiten geht leer aus. Drum ist inzwischen im Berner Parlament ein Gesetzesvorhaben angelaufen, das die Freigrenze auf 150 Franken senken soll. Allerdings liegt die Schweizer Mehrwertsteuer deutlich unter der deutschen: 8,1 statt 19 Prozent, reduziert 2,6 statt sieben Prozent.

Eine Krankenschwester verdient mit 7300 Franken (7700 Euro) das Doppelte wie in Deutschland

Für die Unternehmen in der Region ist die Nähe zum wirtschaftsstarken Nachbarn Fluch und Segen zugleich. Während sich Handel über finanzstarke Kunden und viele Handwerker und Dienstleister über solvente Auftraggeber freuen, haben Mittelstand und öffentliche Verwaltung ihre liebe Not, genügend Fachkräfte zu finden. So musste Anfang des Jahres in Waldshut ein Altenpflegeheim wegen Personalmangels schließen. Die Gehälter in der Schweiz sind wesentlich attraktiver. Eine Krankenschwester verdient mit 7300 Franken (7700 Euro) das Doppelte wie in Deutschland. Die Berater von Kienbaum nennen beispielsweise für einen erfahrenen Manager Gehälter bis knapp an die 180.000 Franken im Jahr. Angestellte erreichen 130.000 Franken und selbst Nachwuchskräfte kommen auf 100.000 Franken. Die hohen Gehälter sind an die hohen Lebenshaltungskosten in der Schweiz angepasst. Gut, wer da im günstigen Deutschland lebt und in der Schweiz arbeiten kann.

Auf Höhe des Landkreises Waldshut befindet sich auf der anderen Rheinseite mit dem Fricktal eine der stärksten Wirtschaftsregionen der Schweiz überhaupt. Zwischen Rheinfelden, Stein und Lauffenburg erwirtschaften dort fast 40.000 Beschäftigte eine Wertschöpfung von mehr als neun Milliarden Franken oder 280.000 Franken pro Vollzeitbeschäftigtem. Ausschlaggebend ist in der Region die Life-Science-Branche – Pharma, Chemie –, die hier verschiedene Standorte betreibt. Konzerne wie Novartis oder Roche haben zudem rheinabwärts in Basel ihren Sitz und ziehen dort weitere Spezialisten an.

Fachkräftemangel am Hochrhein: Wirtschaftsstarker Nachbar Schweiz stellt Region vor Herausforderungen

Die Wirtschaftsregion Südwest versucht mit verschiedenen Initiativen doch noch Beschäftigte in die heimischen Betriebe zu locken. So ist die lokale Wirtschaft auch bereits an den Schulen aktiv, veranstaltet Ausbildungsmessen sowie Info-Veranstaltungen und wirbt mit Praktika und Lehrstellen. Vor allem das Handwerk leidet unter dem Fachkräftemangel. Die Betriebe können mit den Gehältern auf der anderen Rheinseite nicht mithalten. Sie locken mit flexiblen Arbeitszeitmodellen, einfacher Vereinbarkeit von Beruf und Familie und attraktiven Tätigkeiten.

In der Region am Hochrhein hat bereits der nächste wirtschaftliche Schub begonnen. Auf dem „Sissler Feld“ genau gegenüber von Bad Säckingen in der Schweiz entsteht auf 200 Hektar ein neues Industriegebiet, auf dem sich vor allem die Pharmakonzerne und ihr Umfeld niederlassen wollen. Der Kanton Aargau schätzt, dass dort umgerechnet mehr als elf Milliarden Euro investiert werden und 10.000 neue Arbeitsplätze entstehen. Da werden in den lokalen Medien schon erste Zweifel laut, wo denn all die Fachkräfte herkommen sollen.

Saftige Immobilienpreise

Mit den Schweizer Gehältern können sich die Neuankömmlinge jedenfalls die saftigen Immobilienpreise in der 25.000 Einwohner zählenden deutschen Kreisstadt Waldshut-Tiengen leisten. Dort werden nach Berechnungen des Onlineportals Immobilienscout24 für Häuser im Schnitt 3360 Euro je Quadratmeter aufgerufen. Bessere Objekte sind nicht unter 5000 Euro je Quadratmeter zu bekommen. Seit 2020 sind die Preise um 17,1 Prozent gestiegen. Auf dem Markt mischen auch Schweizer Anleger mit. Vor allem finanzstarke Investoren finanzieren ihre Objekte zu 100 Prozent über Bankkredite, um nicht den Schweizer Fiskus durch Offenlegung von Eigenkapital auf sich aufmerksam zu machen. Für die Kreditinstitute beiderseits des Rheins eine äußerst attraktive Kundschaft.

Die Pandemie hat den Bewohnern am Hochrhein über Nacht allerdings in Erinnerung gerufen, dass sie an einer EU-Außengrenze wohnen. Seinerzeit hatten die Schweizer ihre Einreisebestimmungen drastisch verschärft. Viele Betriebe, die Unternehmen im Nachbarland belieferten oder von Schweizer Besuchern lebten, litten unter den gesperrten Grenzen. Die Einnahmen seien „fallbeilartig und bis zu 100 Prozent“ weggebrochen, erinnert sich Claudius Marx, Hauptgeschäftsführer der IHK Bodensee-Hochrhein. Da wurde auch die Struktur der Wirtschaft am Hochrhein deutlich. „87 Prozent aller Firmen in den Landkreisen Waldshut und Lörrach haben weniger als zehn Mitarbeiter“, weiß Alexander Maas, Geschäftsführer der Wirtschaftsregion Südwest. Grenzgänger konnten nicht mehr zur Arbeit in die Schweiz oder auf die Unis in Basel oder Zürich.

Corona hat deutlich gemacht, dass die vielen grenzüberschreitenden Gremien und die Initiativen auf lokaler Ebene, die nationalen Schranken nicht immer überwinden können. In erster Linie sei es dringend notwendig, ein ordentliches Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU zustande zu bringen, meint Florian Schmid, ­Präsident der Gesellschaft zur Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Er erinnert daran, dass das Abkommen schon 2019 fertig ausgehandelt war. Allerdings hat der Schweizer Bundesrat die Gespräche 2021 einseitig abgebrochen, nachdem sich innenpolitisch immer mehr Widerstand aufgebaut hatte.

„Das war ein schwerer Fehler“, bedauert der seit langem in Deutschland lebende Schweizer. Das Thema soll im Oktober 2025 zur Abstimmung kommen, vorausgesetzt es wird die nötige Menge an Unterstützern gefunden, die dafür ihre Unterschrift abgeben. Ob es dazu kommt, ist ungewiss, wie auch Schmid zugibt, der die Initiative vorantreibt. „Leider sind sich immer noch viele in der Schweiz nicht bewusst, dass sie auf eine starke EU angewiesen sind und durch die Ablehnung von vielen Errungenschaften und Entwicklungen ausgeschlossen bleiben.“ So werden die Heiligen Nepomuk und Franz Xaver von ihren Kapellen auf der Holzbrücke zwischen Stein und Bad Säckingen noch länger mitleidig auf die Menschen herabsehen, die weiter ihrer Lust an Grenzen ­frönen, obwohl sie doch so viel verbindet.

BAD SÄCKINGEN

  • Stadtentstehung: 11./12. Jahrhundert
  • Einwohner: 18.228 
  • Fläche: 25,34 Quadratkilometer
  • Gewerbesteuerhebesatz: 390 Prozent
  • Arbeitslosenquote im Juli: 4,3 Prozent (Landkreis Waldshut-Tiengen)
  • Bundesland: Baden-Württemberg

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