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Management > Was hat Milliardär Kühne vor?

Das Geheimnis des Klaus-Michael K.

Er macht nichts nach Lehrbuch und ist trotzdem der Beste. Was sich von dem Ausnahmeunternehmer Kühne lernen lässt.

Hat Multi-Milliardär Klaus-Michael Kühne ein Erfolgsgeheimnis?

Der Wisent hat bis heute überlebt. Irgendwie. Er kann nicht besonders gut gucken, hat dafür eine hervorragende Nase. Die alten Bullen sind Einzelgänger, und überhaupt halten die Tiere Distanz zueinander. Der Lebensraum des Wisents begann bereits während des Neolithikums vor etwa 6000 Jahren zu schrumpfen. Dennoch vertritt er die erfolgreichste Rinderart der Welt, allein weil es ihn noch gibt.

 

Es gibt solche Widersprüche. Es gibt sie nicht nur in der Evolution und in der Tierwelt, sondern auch in der Wirtschaft und um uns herum. Der erfolgreichste Unternehmer Deutschlands ist kein smarter Mittvierziger, der mit hoher Empathie ein divers ausbalanciertes, digital nach vorn strebendes, transparentes Unternehmen coacht, sondern er ist das, was hierzulande in einer Mischung aus Furcht und Verehrung Patriarch genannt wird. Er ist 85 Jahre alt, lenkt seine Unternehmungen aus einer abgeschiedenen Zentrale in den Alpen, er hat keine Nachfolger. Und auf die Frage, was er von Führungstrends wie Agilität, Diversität und New Work hält, antwortet er: „Von Trends, die einer Mode oder dem Zeitgeist geschuldet sind, lasse ich mich nicht unbedingt leiten.“

 

Kühne, Hanseat im Schweizer Exil, Milliardär, der sein Vermögen in den vergangenen zwei nicht ganz stressfreien Jahren mehr als verdoppeln konnte, Mäzen und Sphinx in einem – dieser Mann ist das lebende Beispiel, dass Tausende Coaches irren, dass Managementliteratur im Regal verstauben darf und dass Berater ihre Präsentationen stecken lassen können.

 

Klaus-Michael Kühne ist ein Überlebender einer anderen Epoche. Und genau das macht ihn stärker als diejenigen, die mit der Zeit gehen. Der schwere Mann mit dem eisgrauen, linealgescheitelten Haar, der Geschäftstermine stets mit Krawatte absolviert und dessen Mitarbeiter gut daran tun, ihm rasiert unter die Augen zu treten – dieser Mann ist ein Ausnahmeunternehmer. Die Spedition, die er 1966 vom Vater übernahm, hat er in einen Logistikkonzern mit 78.000 Mitarbeitern in 106 Ländern verwandelt: Kühne + Nagel steht gut da, hat den Umsatz in den vergangenen zehn Jahren auf umgerechnet rund 33 Milliarden Euro verdoppelt. Der Laden ist das Vorzeigekind der Branche. Ehrenpräsident ist Kühne noch immer, und es dürfte nicht wenige Mitarbeiter geben, die immer noch die Ehre haben, von ihm persönlich zu hören. Wer unter Diversitätsgesichtspunkten die Gremien durchforstet, wird enttäuscht. Im neunköpfigen Verwaltungsrat sitzt nur eine Frau, im ebenfalls neunköpfigen Vorstand des Unternehmens gar keine. Der Ausspruch von den „Trends“ und der „Mode“ fällt einem ein.

Kühne gehören 30 Prozent der Hamburger Reederei Hapag-Lloyd, womit dort ohne ihn nichts läuft. So wie es aussieht, hat Hapag-Lloyd 2022 rund 18 Milliarden Euro verdient und Firmen wie VW damit als gewinnträchtigsten Konzern abgelöst – mit etwa einem Zehntel der Mitarbeiter. Das liegt daran, dass überall Teile fehlten. Diejenigen, die den kümmerlichen Rest transportierten, konnten daran hervorragend verdienen. Kühne ist einer von ihnen.

 

Was er hier verdient, investiert er an anderer Stelle: 15 Prozent hält er an der Lufthansa. Logistik und Transport sind auch dort das Kerngeschäft. Will er Synergien heben? Darum gehe es nicht, sagt er. „Uns ist es wichtig, dass sich die Unternehmen positiv weiterentwickeln, sich auf ihre eigenen Stärken fokussieren und im Markt erfolgreich sind.“ Er stehe als Dialogpartner zur Verfügung. Wahrscheinlich gilt auch bei der Lufthansa, was galt, als er vor mehr als einem Jahrzehnt bei Hapag-Lloyd einstieg: Der Logistiker in ihm möchte möglichst viele Transporteure erhalten wissen, weil durch Konkurrenz die Preise unten bleiben. Nur so kann er weiterhin günstig Schiffe und Flugzeuge mieten. Und: „Ich halte es für wünschenswert, wenn eine führende Wirtschaftsnation wie Deutschland mit Schiffen unter eigener Flagge auf den Weltmeeren fährt“, sagte er einmal. Und sinngemäß lässt sich das auf Flugzeuge und Himmelreiche übertragen.

 

Haifischlächeln und Schweigen

 

Wirklich in die Karten gucken lässt sich Kühne nicht. Jeder Coach würde an dieser Stelle den Kopf schütteln. Vertrauen zum Vorgesetzten entstehe nicht dadurch, dass er oder sie jedes Detail hinausposaune, sagt die reine Managementlehre. Weniger ist mehr. Aber das, was ankommen soll, muss in größter Klarheit angesprochen werden. Kühne dagegen setzt sein Haifischlächeln auf – und schweigt.

 

Sein Ruf als Steuerflüchtling beschäftigt ihn schon mehr. Als Gutbetuchter kann er im Kanton Schwyz seinen Steuersatz aushandeln, was das Leben ein bisschen günstiger macht als zum Beispiel in Hamburg. 1975 verlegte er seinen Wohnsitz in die Schweizer Alpen, nicht zuletzt „weil der Fiskus in Deutschland immer eingrätschte“, wie er der „Neuen Zürcher Zeitung“ verriet. „Natürlich wird uns in Deutschland ab und zu Steuerflucht vorgeworfen. Aber es ist mit ein Teil unseres Erfolges, dass wir eine so gute Basis bekommen haben. In Deutschland sind die Steuern und die Sozialabgaben viel höher als in der Schweiz, auch der Sozialneid ist sehr groß. Das gesamte Wirtschaftsklima ist nicht so liberal und angenehm wie in der Schweiz.“
Wie so viele Superreiche will Kühne selbst entscheiden, wem er einen Teil seines Vermögens überlässt und was damit passiert. So schenkte er der sündhaft teuren Elbphilharmonie seiner Heimatstadt ein paar Millionen Euro zum Start, der Fußballklub HSV wäre ohne ihn wahrscheinlich nicht einmal mehr in der Zweiten Liga, und inzwischen will er der Stadt sogar ein neues Opernhaus spendieren. Das Luxushotel The Fontenay unweit der Außenalster gehört ihm. Angesprochen auf seine Engagements in Hamburg, gesteht Kühne: „Wenn Sie es so wollen, könnte man es auch als eine gewisse Kompensation sehen.“ Dass die Millionen Euro, die der Mäzen in Hamburg lässt, vermutlich ein Möwenklecks gegen jene wären, die er als Steuerzahler dort lassen müsste, wenn er dort wohnte – geschenkt.

 

Auch seine eigene Nachfolge regelt der Milliardär anders, als es jedes Lehrbuch für Familienunternehmer empfiehlt. Eigene Nachkommen hat er nicht. Seine Frau Christine lernte er kennen, da waren beide über 50, es war ein bisschen spät für eine Familie. Davor habe er sich „zu sehr auf das Geschäft konzentriert“. Fremden traut er nicht. Also hat er für die Nachfolge eine gemeinnützige Stiftung vorgesehen. Und er hat eine persönliche Holding gegründet, die die Mehrheit an Kühne + Nagel hält. Die Holding schüttet Dividenden an die Stiftung aus und alimentiert sie damit. „Und wenn ich mal wegfalle, gehen die Anteile der Holding an die Stiftung. Dann wird die Kühne-Stiftung langfristig das Firmenvermögen kontrollieren“, erklärt er.
Auch die Stiftung macht jetzt schon Gutes, fördert Nachwuchs, Kultur und Medizin. Im Schweizer Bergort Davos hat sie die Hochgebirgsklinik erworben, in der auch Herzkrankheiten erforscht werden. Kühne selbst hat bereits eine Herz-OP hinter sich. Den Traum vom ewigen Leben, gefördert durch eiserne Fitness und Hochleistungsmedizin – auch Kühne träumt ihn und weiß doch, dass die Wirklichkeit anders aussieht. Auf dem Olsdorfer Friedhof im Hamburg, wo Altkanzler Helmut Schmidt, Komiker Heinz Erhardt und auch Kühnes Vater Alfred liegen, hat er einen Platz reserviert.

 

Legendär sind jene beiden iPads, die Kühne stets griffbereit hat. Das eine ersetzt das andere, wenn der erste Akku schlappmacht. Früher, als er sich auch noch ins Tagesgeschäft einmischte, war niemand in seinem Reich vor Arbeitsaufträgen sicher, die ihn oder sie von diesen Geräten aus erreichten. „Egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit“, berichtet ein Vorstandskollege. Coaches würden von „hohem Aktivierungsniveau“ sprechen. Kühne selbst zählt seine Führungsgrundsätze auf, als seien sie eine Excel-Tabelle: „Fördern und Fordern“ gehören dazu, „Streben nach Verbesserung“, „heilsame Unruhe“ erklärt er mit „Stillstand bedeutet Rückschritt“. Und er will Vorbild sein. Tatsächlich verlange der Chef nichts, was er nicht auch von sich selbst erwarte, bescheinigen ihm enge Mitarbeiter.

 

Dynamik und Weitsicht

 

Gefragt nach den Werten, die er abseits von den Moden als unverzichtbar für die Führung von Unternehmen ansieht, sagt Kühne: „Dynamik, Qualitätsbewusstsein, Flexibilität und Weitsicht sind nicht nur von mir geschätzte Mitarbeitereigenschaften, sondern auch gleichzeitig Programm. Ein Unternehmen, das sich nicht dynamisch entwickelt und neue Herausforderungen sucht, wird irgendwann erstarren. Ohne ausgeprägtes Qualitätsbewusstsein wird man Kunden verlieren und im Wettbewerb zurückfallen. Und ohne Flexibilität und Weitsicht wird man gar nicht oder zu spät auf neue Herausforderungen reagieren und in Schwierigkeiten geraten können.“

 

Dass zu große Dynamik auch mittlere Katas­trophen auslösen kann, hat Kühne selbst erfahren. Schon zwei Mal hat er seine Firma in Teilen veräußern müssen und dann zurückgekauft: einmal 1981, nachdem er sich als Reeder übernommen hatte. Die Banken verlangten ihr Geld zurück, Kühne hatte es nicht – und musste die Hälfte seiner Anteile an eine britische Beteiligungsfirma losschlagen. Er war nicht mehr Herr im eigenen Haus, bis er mehr als ein Jahrzehnt danach die Anteile zurückerwarb. Ähnliches passierte ihm mit dem Mischkonzern Viag, dem er den Einstieg bei Kühne + Nagel gewährt hatte, bis Viag im Energieriesen Eon aufging, und keinen Platz mehr für einen Logistiker hatte. Wieder kaufte er zurück, was er erst veräußert hatte. Sich durchzukämpfen, stähle einen, sagt Kühne. Die harte Tour.

 

Den weichen Kern kennt sowieso nur seine Frau Christine. Seine Jacht „Chrimi III“ im Mittelmeer trägt zur Hälfte ihren und zur Hälfte seinen Namen. Christine halte, so schrieb es der „Spiegel“ einmal, „ihren Mann fit und bei Laune und sagt auch mal, dass er seinen Bauch einziehen soll, wenn er fotografiert wird“. „Sie unterstützt mich in vielerlei Hinsicht und gibt mir den notwendigen Halt und die Zuversicht, meine geschäftlichen Interessen tatkräftig und konzentriert wahrnehmen zu können“, sagt Kühne.
So einer ist er also, Deutschlands einflussreichster Unternehmer. Und sein Geheimnis?

 

Martin Puppatz, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule für Ökonomie und Management in Hamburg, hat 5000 Führungskräfte in Deutschland analysiert. Knapp ein Drittel landet in der Kategorie „sehr hohe Gewissenhaftigkeit“. In der Gesamtbevölkerung trifft das nur auf zehn Prozent zu. Gewissenhafte Menschen lieben detaillierte Planung, Disziplin, Struktur, haben ein hohes Kontrollbedürfnis und neigen zum Perfektionismus. Und deutsche Manager lieben etablierte Prozesse, statt offen für Neues zu sein. Auch Verträglichkeit ist keine Domäne der deutschen Führungskräfte. Manche pflegen eher einen hierarchischen, statusorientierten Habitus und fahren gern die Ellbogen aus. Kühne ist in allem also keine Ausnahme.
Unklar ist, ob diese Eigenschaften heutzutage wirklich die sind, die Unternehmen entscheidend nach vorne bringen. Nur bedingt, sagt Wirtschaftspsychologe Puppatz. Eine seiner Kernthesen lautet: „Person schlägt Prozess.“ Es könnte sein, dass er damit Kühnes Geheimnis entschlüsselt hat.
 

 

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