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Zukunftsmärkte > Gummibärchen

Haribos Geheimrezept gelüftet

Sie ist so gut gehütet wie die Basis für Coca-Cola und die Zutaten des Zaubertranks bei Asterix: die Erfolgsformel für Goldbären. Versuch einer Entschlüsselung.

In Deutschland ist Haribo unangefochten Marktführer für allerlei Fruchtgummigetier. Der Markt stagniert, seit Jahren baut das Familienunternehmen deshalb das Geschäft im Ausland aus, vor allem in den USA. Dort hat der Goldbär, Haribos Hauptprodukt, es jetzt mit multinationalen Konzernen wie Mars zu tun. Wie behauptet sich ein Mittelständler in einem solch umkämpften Markt? Das Unternehmen gewährt erstmals einen kleinen Blick ins Rezeptbuch. Ringen ist ein sehr beschaulicher Ort in der Gemeinde Grafschaft, Rheinland-Pfalz, knapp hinter der Grenze zu Nordrhein-Westfalen. Hier residiert Haribo seit drei Jahren im Gewerbegebiet des Ortsteils Beller. Moderne Bürogebäude, moderne Fabrik, Logistikzentrum, Autobahnanschluss – Äcker und Wiesen drumherum. Und auch die Zentrale, Sitz der schlanken Holding, hat eine überschaubare Größe. Von hier aus steuert das Unternehmen die Expansion um den Globus.

Haribo ist schon seit Jahrzehnten international tätig, lieferte weltweit, aber erst seit knapp zehn Jahren startet es im Ausland richtig durch. Inzwischen erwirtschaftet das Unternehmen mehr als die Hälfte des Umsatzes außerhalb Deutschlands – Tendenz steigend. Auch 4000 der gut 7000 Mitarbeiter des Unternehmens sind im Ausland angestellt, vor allem in der Produktion. 16 Werke in zehn Ländern kochen Fruchtgummi und Lakritz vor allem in Europa, aber auch in der Türkei und in Brasilien. Haribo konzentriert sich auf Märkte mit her ausragendem Wachstum – ohne konkrete Zahlen zu nennen. Besonders stark sind offenbar die USA. Dort ist Haribo seit 1982 mit einer Vertriebsgesellschaft vertreten, so richtig gut läuft das Geschäft aber erst seit einigen Jahren.

Im Kampf um Regalflächen amerikanischer Supermärkte schlagen sich die Deutschen tapfer: Seit 2018 ist das Unternehmen US-Marktführer bei Fruchtgummi. Und der Hunger der Amerikaner ist nicht gestillt. Noch kommen die Waren, die in den Vereinigten Staaten verkauft werden, vor allem aus Europa, etwa aus Grafschaft, wo das Hauptprodukt, die Goldbären, vom Band laufen und eingetütet werden. Doch das soll sich ändern. Nächstes Jahr, spätestens 2023 will Haribo in Wisconsin, gut 90 Kilometer nördlich von Chicago, produzieren. Der Baubeginn hat sich verzögert, aber jetzt drehen sich die Kräne über dem einstigen Acker an 12488 Goldbear Drive. 248 Millionen Euro soll die Fabrik kosten, komplett selbst finanziert, gebaut wird sie nach dem Vorbild des Werks neben der Zentrale in Grafschaft – einem der modernsten der Süßwarenindustrie, wie ein Manager sagt. Haribo spart künftig vor allem Transportkosten.

Zudem wird das Nordamerika-Geschäft dadurch ein bisschen unabhängiger und damit vielleicht noch flexibler und kreativer, was mit der neuen Firmenstrategie zu tun hat. Welche Märkte sind derzeit noch sehr interessant? "Neben Nordamerika entwickeln wir uns auch im asiatischen Raum besonders gut, insbesondere in Südkorea und Japan", sagt Herwig Vennekens, Geschäftsführer für Marketing und Vertrieb international. Konkrete Wachstumszahlen für diese Regionen nennt Haribo nicht. Deutlich zweistellige Prozentzahlen dürften es wohl sein. Das Geheimnis des Erfolgs hat vor allem vier Zutaten.

Zutat 1: Verschwiegenheit

Haribo ist notorisch verschwiegen. Zahlen zu Umsatz oder gar Ertrag? Kein Kommentar. Zu sensibel, Konkurrenz, Zulieferer und vor allem der Handel könnten das nutzen, um teurer zu verkaufen oder billiger abzunehmen. Oder, wie Deutschland-Chef Andreas Patz kürzlich sagte: "Wir wollen nicht ausrechenbar sein." Das gilt im deutschen Markt für Fruchtgummi, Schaumgummi und Lakritz, wo der Anteil Haribos seit Jahren zwischen 55 und 60 Prozent liegt, den Rest teilen sich Konkurrenten wie Hitschler, Katjes, Storck und Trolli.

Und es gilt weltweit, wo Haribo mit Ferrero aus Italien oder eben dem Süßwaren- und Kaugummiriesen Mars aus den USA konkurriert. Experten schätzen den Umsatz des Haribo-Konzerns auf derzeit mehr als drei Milliarden Euro jährlich.

Zutat 2: Finanzstärke

Ein weiterer wesentlicher Faktor: Das Unternehmen ist finanziell unabhängig. Es verdient Geld und ist trotz großer Investitionen schuldenfrei, wie zu hören ist. Natürlich schweigt Haribo auch dazu.

Zutat 3: Freiheit

Dann sind da Familienkontinuität einerseits und radikaler Wandel der Firmenkultur andererseits. Hans Guido Riegel ist erst der vierte Firmenchef in 101 Jahren Firmengeschichte. Er übernahm von seinem Onkel Hans Riegel jun., einem genialischen Unternehmer, der Haribo gemeinsam mit seinem Bruder Paul groß gemacht hatte. Hans führte sehr autokratisch und mit einem sehr genauen Blick auf die Zahlen, bis er 2013 im Alter von 90 Jahren starb. Hans Guido Riegel baut Haribo seitdem so um, dass nicht mehr alles auf den Chef zugeschnitten ist. Er hat einen komplett neuen Stil eingeführt, was vor allem altgediente Mitarbeiter sehr fordert: mehr reden, mehr gemeinsam entwickeln, mehr Freiheiten für die Mitarbeiter, um kreativ sein zu können, und für die einzelnen Landesgesellschaften. Die Idee dahinter: Die Gesellschaft vor Ort weiß am besten, was die Menschen mögen, kennt die Konkurrenz und kann passgenauere Produkte entwickeln. Und über allem thront die schlanke Holding in Grafschaft.

Selbst in Europa gibt es schon nennenswerte Unterschiede. Während die Deutschen vor allem den Goldbären lieben, greifen die Franzosen meist zu den kleinen Erdbeeren, Gelee mit Zuckerperlen drumherum. In Asien sind dagegen dunkle Trauben beliebt, das Produkt Happy Grape gibt es in Deutschland allenfalls im Haribo-Werksverkauf. Einmal im Jahr treffen sich alle Marketing- und Vertriebsverantwortlichen in der Zentrale zum Austausch, an einem Tag gibt es die sogenannte Börse, bei der alle Landesgesellschaften vorstellen, was sie entwickelt haben – einschließlich Testessen. Und wenn das Produkt aus Südkorea den Vertretern aus Großbritannien gefällt, könnte es dort bald in den Regalen stehen. Auch beim Marketing setzt Haribo auf den dezentralen Ansatz.

Ein Beispiel ist die aktuelle Werbung im Fernsehen und im Netz. Das Basiskonzept, Erwachsene sprechen mit Kinderstimmen, stammt aus Großbritannien, die Spots werden für die jeweiligen Länder angepasst. Die Kampagne ist bereits mehrfach ausgezeichnet worden – und funktioniert offenbar weltweit. Bei aller Freiheit: Machen, was sie wollen, dürfen die Ländergesellschaften dann doch nicht – die Holding weiß dank zahlreicher Planungssitzungen schon, was wo passiert. Denn: "Dezentralisierung ist gut, aber Koordination ist besser", sagt ein Manager.

Zutat 4: Berühmtheit

Dann sind da noch Marke und Hauptprodukt – beides Klassiker: "Haribo" gibt es seit 1920, den Goldbären seit 1922. Firmengründer Hans Riegel sen. hat 1935 den Slogan "Haribo macht Kinder froh" geprägt. Die zweite Hälfte "und Erwachsene ebenso" stammt aus den 60ern. Die Marke funktioniert international, den Namen kann fast jeder aussprechen. Die Produkte sind bunt und so kalkuliert, dass sie sich fast jeder leisten kann – weltweit. Das Unternehmen ist in 100 Ländern vertreten, zu bekommen sind die Produkte aber in mehr Staaten – meist an internationalen Flughäfen, weil viele Geschäfte dort von internationalen Firmen betrieben werden. Und da gibt es meist eine Haribo-Ecke. Der Vertrieb der Grafschafter sorgt dafür, dass sich die Magie der Marke entfalten kann. Und so kommt es, dass ein Mitarbeiter im Urlaub auf den Seychellen, nicht unbedingt Kernverkaufsgebiet, von begeisterten Fans angesprochen wird, weil er ein T-Shirt mit Goldbärenaufdruck trägt.

Einmal haben sie bei Haribo versucht, etwas zu ändern – mit sehr ernüchterndem Ergebnis: 2018 brachte Haribo zuckerreduziertes Fruchtgummi auf den deutschen Markt, um den Gesundheitstrend mitzunehmen, und pumpte viel Geld ins Marketing, Geld, das etwa bei den klassischen Produkten mit der vollen Zuckermenge dann fehlte. Die Folge: Der Umsatz brach ein, weil die Kunden genau solch ein Produkt nicht haben wollten, jedenfalls nicht von Haribo. Die zuckerreduzierten Fruchtgummis sind noch im Programm, aber eher ein Nischenprodukt. Der Umsatzknick ist inzwischen wieder ausgebügelt. Wie stark die Macht der Marke ist, zeigt auch der harte Streit mit dem Handel in Deutschland. Haribo wollte nach sieben Jahren die Preise erhöhen, weil Rohstoffe und Personal teurer geworden waren. Solche Verhandlungen sind im deutschen Markt mit seinen engen Margen hart, das haben auch schon Konzerne wie Coca-Cola gespürt. Lidl verbannte Haribo-Produkte aus den Regalen, Rewe verringerte das Angebot, Edeka reagierte ähnlich. Hart für das Unternehmen, aber nicht mehr ganz so hart, seit das internationale Geschäft deutlich zulegt. Inzwischen haben sich Unternehmen und Händler geeinigt. Einzelheiten? Natürlich nicht. Hauptsache, die Produkte sind wieder zu kaufen. Haribo ist auf den Handel angewiesen, aber der Handel auch auf Haribo. "Es gibt nur ganz wenige Marken, die über hundert Jahre so stringent erzählt wurden, wie unsere", sagt Vennekens. "Das begründet unseren Erfolg."

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