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Zukunftsmärkte > Erfahrungsbericht aus der Ukraine

„Immer positiv denken“

Unternehmer Sven Höppner über den Plan B für seine ukrainische Niederlassung, die Angst um seine Familie und warum deutsche Unternehmen vor Ort bleiben sollten.

Krieg in der Ukraine: Im Januar trafen russische Raketen einen Wohnblock in Dnipro. Quelle: Shutterstock


„Ich erwarte weitere Gewalttaten. Putin wird noch mehr Soldaten verheizen. Ist doch sinnvoll aus seiner Perspektive“, sagt Sven Höppner bitter. „Er rekrutiert sein Kanonenfutter unter anderem aus Knackis, die den Einsatz in der Ukraine vielleicht überleben und dann frei sind. Ukrainische Soldaten erzählen von Zombies, die ihnen da entgegenlaufen.“ Hier spricht kein Militäranalyst aus einem Thinktank mit Fußbodenheizung unterm Schreibtisch. Das sagt der geschäftsführende Gesellschafter der Werner-Wirth-Gruppe. Die Gruppe mit Zentrale in Hamburg fertigt mit 250 Mitarbeitern elektronische Verbindungstechnik und Komponentenschutz – auch und immer noch in der Ukraine, in Dnipro.

 

Höppner ist einer der wenigen deutschen Unternehmer, der sich zudem auch noch um seine Familienmitglieder in der Ostukraine sorgt. Der zugleich seine Firma in Hamburg am Laufen halten muss, denn „sonst können wir uns unseren Einsatz in der Ukraine gar nicht mehr leisten“. Und der sagt: „Die meisten Deutschen erkennen nicht, was dort los ist. Wir steuern in Europa auf eine Kriegswirtschaft zu. Sollte die Ukraine von Russland als Staat zerschlagen werden, ist als Nächstes entweder Moldawien oder das Baltikum dran. Wir sollten uns Gedanken machen, dass Europa, wie wir es kennen, auch in den Karpaten zu verteidigen ist!“

 

Was sagten so viele Polit-Experten vor einem Jahr, als Russland am 24. Februar die Ukraine überfiel? „Das wird sich bald entscheiden.“ Oder: „Die Ukraine kann der Übermacht technisch nicht standhalten.“ Oder: „Der Westen wird sich einschalten, und es wird eine Lösung auf Verhandlungsebene geben.“ Schnee und Experten von gestern. Die Ukrainer und Ukrainerinnen verteidigen ihr Land mit einer Kraft und Ausdauer, die ihnen kaum jemand zutraute. Seit dem Einmarsch der Russen berichtet der Unternehmer Sven Höppner in Markt und Mittelstand darüber, was dieser Krieg für seine Mitarbeiter, seine Firma, seine Familie und ihn selbst bedeutet. Er war schon vor einem Jahr ein Freund klarer Worte. Doch von Monat zu Monat wurden sie klarer und bitterer.

 

Ein Teil seiner Familie, wie seine Nichte, lebt in der Stadt Saporischschja im Süden der Ukraine. Wenige Kilometer entfernt stehen die russischen Soldaten. Den Job der Nichte gibt es längst nicht mehr. Jetzt arbeitet sie in der Betreuung von Inlandsflüchtlingen. Davor kann man tief den Hut ziehen. Trotz der ständigen Bedrohung durch die nahen Kriegshandlungen, will die Familie bleiben, solange es irgend geht. Ihr Hamburger Onkel hat darauf bei all seiner Tatkraft keinen Einfluss. „Ich verstehe, dass einige aus meiner Familie sagen: Ich bleibe, ich kämpfe um mein Land“, sagt er halb resigniert, halb bewundernd. „Ein anderer Teil meiner Familie im ostukra­inischen Kampfgebiet ist nach Polen geflüchtet, der letzte entfernte Verwandte ausgerechnet über Russland“, ergänzt er, halb erleichtert, halb kopfschüttelnd.

Nur eingeschränkt Strom

 

Längst ist auch Dnipro, Sitz der Werner-Wirth-Niederlassung, Ziel russischer Angriffe geworden. Erst im Januar 2023 verloren bei dem Angriff auf ein Wohnhaus mehr als 40 Männer, Frauen und Kinder ihr Leben. Dnipro ist ein wichtiges Industrie- und Finanzzentrum, einer der Hauptorte der ukrainischen Wirtschaft. Nach russischen Raketenangriffen sind U-Bahn und der elektrische Nahverkehr außer Betrieb. U-Bahn-Stationen sind jetzt Notunterkünfte.

 

„Unsere KollegInnen nehmen teilweise ihre Arbeit mit nach Hause“, berichtet Höppner. Was für ein bitteres Homeoffice. „In der Firma haben sie nach den Angriffen auf die Infrastruktur nur sehr eingeschränkt Strom und Heizung.“ Im Jahresmittel liegen die Temperaturen im Februar und März gerade mal bei sechs Grad plus bis zwei Grad minus. Dnipro liegt rund 1800 Kilometer südöstlich von Berlin.
„Die Produktion richtet sich aktuell flexibel danach, wo Energie und Heizung ist. Die Mitarbeiter kommen dann in die Firma, wenn Stromzuteilungen für das Gebiet geplant sind, teilweise auch am Wochenende“, sagt Höppner. Auch ein begehrtes Notstromaggregat haben seine Hamburger Mitarbeiter in den Weiten des Internets aufgetrieben, um am Standort wieder einen „Regelbetrieb“ einzurichten. „Das geht alles über Geld. Wer das Doppelte zahlen kann, wird beliefert“, sagt Höppner. So kommt jetzt der Strom-Retter in der Not aus Südkorea.

 

„Wir halten den Standort mit Materiallieferungen aus Deutschland aufrecht. Jeder Lohn ist enorm wichtig für die Menschen. Und was viele vergessen: Jede Steuereinnahme ist wichtig für einen Staat im Krieg“, sagt Höppner. „Wenn jetzt alle ausländischen Unternehmen ihre Geschäfte dort aus Risikoerwägungen einstellen: Wovon sollen die Menschen dann leben? Nur noch von internationalen Hilfslieferungen?“

 

Die ukrainische Regierung ihrerseits unterstützt die ausländischen Unternehmen zum Beispiel durch wegfallende Zölle und hat die Einfuhrumsatzsteuer unter bestimmten Bedingungen ausgesetzt. „Der ukrainische Gesetzgeber hilft uns, wo es nur geht“, lobt Pragmatiker Höppner. Solche Regelungen zielen auch auf die Zeit nach einem Kriegsende. Die Ukraine will es Unternehmern und Investoren dann so leicht wie möglich machen, das wird den Wiederaufbau unterstützen.

 

Wünscht sich Höppner mehr Hilfe vom deutschen Staat für Unternehmen, die in der Ukraine ausharren? „Falscher Ansatz: Ganz im Gegenteil!“ zürnt Höppner ob der Frage. „Warum soll der deutsche Staat meine Assets dort schützen, das ist doch mein eigenes unternehmerisches Risiko. Helfen würden der Ukraine mehr Waffen! Wir kleben an unseren Panzern aus Restbeständen, die dort an der Front seit einem halben Jahr fehlen.“ Er appelliert mit drei Ausrufezeichen.

 

Der 53-Jährige hat als Unternehmer schon viel erlebt. „Aber die Resilienz der Ukrainer und Ukrainerinnen ist mit nichts zu vergleichen.“ Dieses Mal klingt er beeindruckt und nachdenklich zugleich. „Ich weiß nicht, wie es in Deutschland wäre, wenn wir angegriffen und binnen Monaten unterjocht würden. In der Ukraine halten die Menschen aktuell wesentlich besser zusammen. Die Gesellschaft ist gegen den Aggressor verbunden.“
Ohne Pause steht Höppner seit einem Jahr unter Druck. Liest und sieht Nachrichten nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Ukrainisch und Russisch. Wie hält er den nicht enden wollenden Strom schlechter Nachrichten aus? Als Mensch, nicht als Macher. „Tja“, sagt er. Vor dieser Antwort schweigt er eine  Weile. „Ein Stück weit verdrängen, immer positiv denken. Aber ich habe auch Tage, an denen ich denke: Jetzt bricht alles zusammen. Dann mache ich einfach weiter. Soll Putin denn gewinnen?“
 

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