Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Zukunftsmärkte > Coronakrise

Impfen in den USA: Schneller ist nicht besser

Neidvoll schaut Deutschland und EU-Europa auf die USA, wo das Impfen zügig vorankommt. Doch eine interne US-Studie stellt nun fest: Geschwindigkeit ging vor Gründlichkeit. Dort, wo es besonders schnell gehen musste, herrschte Chaos.

Während in Deutschland die Corona-Impfungen nur schleppend in Gang kommen, sind andere Länder deutlich schneller: allen voran Israel, Großbritannien und als größtes Land unter den Schnellimpfern – die USA. Ausgerechnet eine US-Studie kommt jetzt jedoch zu dem Ergebnis, dass ein schneller Impffortschritt nicht unbedingt zu besseren Ergebnissen führt. Die überraschende Analyse, die den Zustand in den US-Bundesstaaten miteinander vergleicht, stellt fest, dass Staaten wie South Carolina und Florida, die schneller als andere den Impfstoff immer mehr Menschen angeboten haben, unterm Strich nur kleinere Teile ihrer Bevölkerung auch erreicht und geimpft haben.

Den Grund erklären die Studienautoren rund um den gemeinnützigen Gesundheitsdaten-Spezialisten Surgo Ventures so: Die rasche Ausweitung der Förderfähigkeit habe zu einem Anstieg der Nachfrage geführt, der für einige Staaten zu groß war, und ernsthafte Hindernisse bei der Verteilung hervorbrachte. Die Impfstoffversorgung erwies sich als unzureichend oder unvorhersehbar, Websites stürzten ab, Menschen, die telefonisch Rat suchten, landeten in endlosen Warteschleifen, was bei vielen Verwirrung, Frustration und Resignation verbreitete. "Die Infrastruktur war einfach nicht bereit. Es ist irgendwie nach hinten losgegangen", sagt Rebecca Wurtz, Ärztin für Infektionskrankheiten und Spezialistin für Gesundheitsdaten an der School of Public Health der Universität von Minnesota gegenüber dem Medienportal Forbes. Sie fügt hinzu: "In der Eile alle zufrieden zu stellen, haben die Gouverneure das Gegenteil erreicht und viele frustriert."

Die Ergebnisse könnten eine wichtige Lektion für die Gouverneure des Landes, aber auch für Beobachter aus dem Ausland sein. Viele Gouverneure hatten in den letzten Tagen eine massive Ausweitung ihrer Impfaktivitäten angekündigt. Sie folgen damit der Aufforderung von Präsident Joe Biden, der allen erwachsenen US-Amerikanern bis zum 1. Mai eine Impfung anbieten will. "Wenn Sie zielgerichteter impfen, können Sie einen besseren Job machen", sagt dagegen Sema Sgaier, Executive Director von Surgo Ventures und Mitautor der Studie. "Sie können erst loslegen, wenn Sie die Infrastruktur eingerichtet haben, um all diese Menschen schnell zu impfen."

Zahlreiche Faktoren beeinträchtigten die Impfleistung: Verschwörungstheorien über die Gefährlichkeit des Impfstoffs, schlechte Kommunikation über die Impfmöglichkeiten und unzuverlässige Lieferungen verlangsamten die Bemühungen, nachdem in den USA am 14. Dezember die ersten Fläschchen mit wertvollem Impfstoff von Biontech und Pfizer eingetroffen waren.

Wer als erstes geimpft wird, war in allen Bundesstaaten immer die Entscheidung der Behörden. Als die Impfaktion begann, entschieden die meisten Staaten, das Gesundheitspersonal und die Bewohner von Pflegeheimen als erstes zu immunisieren. Dabei hielten sich die Staaten noch an die nationalen Empfehlungen von US-Gesundheitsexperten, die ähnlich wie in Deutschland vorgeschlagen hatten, alles zu tun, um zunächst die besonders gefährdeten Menschen zu impfen. Doch angesichts des politischen Drucks und der öffentlichen Aufregung über vermeintlich langsame Impfprozesse stürmten einige Gouverneure voran. Sowohl die scheidende Trump-Administration als auch das ankommende Biden-Team drängten darauf, Impfungen für alle älteren Amerikaner zu öffnen. Bis Ende Januar hatten daraufhin mehr als die Hälfte der Staaten die Impfdosen auch für ältere Erwachsene freigegeben. In einigen Staaten lag die Altersuntergrenze bereits im Januar bei 65 Jahren. Damit begannen allerdings Probleme, die die Studie detailliert darstellt.

Ein Beispiel liefert der 71jährige Steven Kite aus South Carolina. Er buchte am 13. Januar seinen Impftermin in einem Krankenhaus. Aber am nächsten Tag wurde sein Termin zusammen mit Tausenden anderer wegen Mangels an Impfstoffen abgesagt. "Es war frustrierend", sagte Kite. Nach einer Woche der Unsicherheit erhielt er schließlich einen neuen Termin. Er und seine Frau sind jetzt geimpft. "Es hat dann gut geklappt. Aber bei der Ausgabe des Impfstoffes hat es am Anfang offenbar gehapert", sagte Kite.

In Missouri, wo mehr als die Hälfte der Erwachsenen bereits bis Februar geimpft werden sollten, kam es ebenfalls zu erheblichen Engpässen in den Großstädten mit der Folge, dass einige Impfwillige hunderte von Kilometern aufs Land fuhren, um ihre Impfdosis zu erhalten. Elizabeth Bergamini, Kinderärztin aus einem Vorort von St. Louis, chauffierte nach eigenen Angaben in den vergangenen Tagen rund 30 Impfwillige in Provinzkrankenhäuser, nachdem der Bundstaat am 18. Januar zunächst erlaubt hatte, 65jährige und ältere zu impfen und diese Erlaubnis dann schrittweise auf jünger Altersgruppen ausgedehnt worden war. "Wir mussten mit einmal nicht mehr nur einige hunderttausend Menschen in der Gegend von St. Louis impfen, sondern eine weitere halbe Million Menschen. Dabei hatten wir diese erste Gruppe immer noch nicht geimpft, es war eine ganze heiße Sauerei", schimpft die Ärztin.

"Es wurde ein wenig chaotisch", räumt Marcus Plescia, Chefarzt der Association of State and Territorial Health Officials mit gesetzteren Worten ein. "Wir haben weit mehr Nachfrage geschaffen als Angebot. Das hat das System gestresst und weniger effizient gemacht." Der Chefarzt fügt hinzu, dass "ein methodischerer, gemessener, vernünftigerer, prioritätsbasierter Ansatz - trotz der Wahrnehmung der Menschen - tatsächlich genauso effizient oder effizienter sein kann, als alles zu öffnen und die Impfungen mehr Menschen zur Verfügung zu stellen." Das Vorgehen in anderen Ländern, die langsamer vorgingen, sei möglicherweise effizienter.

Laut Studie waren Gesundheitspersonal und Pflegeheimbewohner die am einfachsten zu impfenden Gruppen. Dosen konnten zuverlässig dorthin geliefert werden, wo sie lebten und arbeiteten. "Wir wussten, wo die Patienten waren, und wir wussten, wer sie waren", sagt Gesundheitsdaten-Expertin Wurtz. Sobald Staaten über diese Bevölkerungsgruppen hinausgingen, sei es deutlich schwieriger, den Überblick zu behalten. "Pflegeheimbewohner leben in Pflegeheimen. Menschen ab 65 Jahren leben überall."

Ein Beispiel für methodisches Vorgehen liefert West Virginia, das streng nach Plan handelt. Der Bundesstaat widersetzte sich dem Trend, sowohl mit einer hohen Anzahl impfberechtigter Einwohner als auch gleichzeitig mit hohen Impfraten zu beginnen. Erst Anfang März begannen die Verantwortlichen in West Virginia langsam ihre Kapazitäten auszubauen und die Anzahl der Impfungen deutlich zu erhöhen. Ähnlich machte es Alaska, wo eine überschaubar große Bevölkerung systematisch geimpft wurde. Seit dem 9. März sind dort bereits 16jährige an der Reihe. Hawaii hatte am 10. März mit etwa 26 Prozent den niedrigsten Anteil seiner erwachsenen Bevölkerung geimpft. Dennoch hat Hawaii mit mehr als 42 000 Dosen pro 100000 Erwachsene die achthöchste Impfrate im Land, was für ein gründliches Vorgehen spricht. Im Gegensatz dazu hat beispielsweise Mississippi, wo sehr schnell jeder eine Impfung bekommen sollte, zwar mit angeblich 83 Prozent im Vergleich zu anderen Bundesstaaten den sechstgrößten Anteil seiner erwachsenen Bevölkerung immunisiert. Dennoch hat Mississippi nur 35.174 Gesamtdosen pro 100.000 Erwachsene verabreicht – was nicht zusammenpasst und für Chaos bei der Zählung spricht.

"Dies ist eine gründliche Analyse, die einen klaren Zusammenhang zwischen dem hohen Angebot an Impfungen und den tatsächlichen Impfraten in den einzelnen Bundesstaaten zeigt", sagt Mark McClellan, ehemaliger Leiter der Food and Drug Administration, der nicht an der Analyse beteiligt war, diese jedoch überprüft hat. Die leistungsstärkeren Staaten könnten bessere Ergebnisse erzielen, indem sie der Impfstoffversorgung mehr Aufmerksamkeit schenkten, Hochrisikogruppen gründlich impften und sich dann langsamer weiteren Kategorien öffneten, während sie auf den Aufbau der Versorgung warteten, sagt McClellan.

Auf eine Entwicklung machen die befragten Experten bereits jetzt aufmerksam: Mit einer zunehmenden Zahl von Geimpften, lässt die Bedrohung nach und die Fallzahlen sinken. Das könnte zu Nachlässigkeiten führen und die Impfbereitschaft senken.

Ähnliche Artikel