Inflation, Krieg, Zinsanstieg, drohende Rezession: Was bedeutet dies für den Aktienmarkt
Zunächst kam vor einem Jahr der überraschende Anstieg der Inflation, dann der Putin-Krieg, dadurch noch mehr Inflation und erstmals ein deutlicher Zinsanstieg. Jetzt droht in vielen Ländern eine Rezession. Das sieht auf den ersten Blick nicht nach einem guten Umfeld für Aktien aus, auf den zweiten Blick dagegen schon. Wir wagen den zweiten Blick.
In den USA, die keine kriegsbedingten Probleme mit der Energieversorgung haben, nimmt wegen der im Juni auf 9,1% gestiegenen Inflation die Angst vor starken Zinserhöhungen zu. Der seit 70 Jahren besonders zuverlässige Frühindikator für eine Rezession, die Zinsstruktur, hat alle 10 Rezessionen der US-Wirtschaft mit durchschnittlich 13 Monaten Vorlauf angekündigt. Nur Mitte der 60er Jahre gab es ein Fehlsignal. Im Juli 2022 ist die Zinsstruktur erneut mit minus 16 Basispunkten negativ geworden, da die kurzfristigen Zinsen stark gestiegen, aber dagegen die langfristigen Zinsen seit Mitte Juni bereits wieder um 70 Basispunkte gefallen sind.
Damit ergibt sich die Frage, welche einigermaßen gesicherten Erkenntnisse über die Auswirkung einer Rezession auf die Kapitalmärkte vorliegen:
Eine Rezession beginnt normalerweise mit steigenden Inflationsraten aufgrund einer starken Wirtschaft, die von den Zentralbanken mit steigenden Zinsen bekämpft wird, so dass auch die langfristigen Zinsen zu steigen und die Kurse der Anleihen zu fallen beginnen. Damit verteuern sich Kredite, was die Nachfrage nach Gütern belastet. Darunter leiden die Umsätze der Firmen und gleichzeitig steigen deren Kreditkosten. Dadurch werden die Gewinne schwächer. Außerdem steigt die Attraktivität von Anleihen, so dass mehr Anleger Aktien verkaufen und Anleihen kaufen, was die Aktienkurse schwächt. Schließlich reduzieren die Firmen ihre Investitionsausgaben und stellen weniger Arbeitskräfte ein. Vermehrte Angst um den Arbeitsplatz lässt den Konsum weiter sinken, so dass schließlich aufgrund sinkender Nachfrage die Inflationsraten fallen und das Volkseinkommen sinkt; eine Rezession beginnt.
Allen Rezessionen ist gemeinsam, dass die Aktienmärkte bereits vor dem Tiefpunkt der Konjunktur wieder ansteigen und von ihrem Tiefpunkt bis zur Konjunkturerholung in den drei auf den Konjunkturtiefpunkt folgenden Quartalen Kursgewinne von 23% bis 64%, durchschnittlich 45 %, in weniger als 15 Monaten erwirtschaftet haben. Es ist also eher nicht ratsam, angesichts der aktuell schwierigen konjunkturellen Lage Aktien zu verkaufen, zumal etliche Hinweise auftauchen, dass der Inflationsdruck nachlassen wird.
Wir befinden uns daher bereits im für Aktien besonders interessanten Bereich des Konjunkturzyklusses. Schon die ersten Zinserhöhungen der Zentralbanken haben ausgereicht, um Ängste vor einer Rezession auszulösen, auch in den USA. Daher haben etliche Anleger seit Mitte Juni begonnen, „sichere“ Staatsanleihen zu kaufen, obwohl das Zinsniveau überall noch weit unter der aktuellen Inflationsrate liegt. Dementsprechend beginnen die Rentenkurse bereits zu steigen, in der Eurozone auch deswegen, weil die EZB schon bei einem Zinsniveau von etwas über 4 % für Staatsanleihen Italiens dessen finanzielle Stabilität gefährdet sieht und über erneute Anleihekäufe nachzudenken begonnen hat.
Die Aktienkurse sind daher bereits stark gefallen. Selbst wenn eine Rezession kommen sollte, sind jedoch die Kurschancen von Aktien schon vor dem Erreichen des Konjunkturtiefpunktes sehr gut, zumal die Anleihen mit negativen Realzinsen von 6,5% in Deutschland und 6,3% in den USA weiterhin unattraktiv sind und keinerlei Konkurrenz für Aktien darstellen. Diese sind in Deutschland und Europa sehr preiswert und in Europa mit im Vergleich zu Deutschland deutlich weniger Gasversorgungsrisiken mit hohen Ertragserwartungen von 10% p.a. versehen. Deutsche Aktien sind aufgrund der Risiken der hohen Abhängigkeit von russischen Energierohstoffen sogar so billig geworden, dass sie mit 12% p.a. noch höhere Ertragserwartungen aufweisen, bei allerdings nur durchschnittlicher Qualität des Prognosemodells.
Fazit:
- Insgesamt beträgt die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in den USA inzwischen etwas über 50%. Dennoch sind die künftigen Aussichten für Aktien schon für die nächsten 1-2 Jahre recht gut, da der günstigste Zeitpunkt für Aktienkäufe nicht am Tiefpunkt der Konjunktur liegt, sondern einige Monate vorher. Jetzt könnte ein solcher Zeitpunkt sein, weil die Anleger weltweit sehr pessimistisch und Aktien entsprechend niedrig bewertet sind, was auch langfristig auf gute Aussichten für Aktien hinweist.
- Auch die seit einem Jahr stark steigende Inflation hat die Anleger beunruhigt. Es gibt aber wachsende Hinweise darauf, dass die Inflationsraten bald am Gipfel angekommen sein dürften. Die Inflation war insbesondere von den stark steigenden Preisen für Energierohstoffe (Öl, Gas) angetrieben worden, aber ein hoher Ölpreis ging in der Vergangenheit mit langfristig sinkenden Ölpreisen einher, weil Verbraucher, Unternehmen und der Staat in einer solchen Situation Maßnahmen zur nachhaltigen Senkung der Nachfrage ergreifen, die auch immer erfolgreich waren.
- Schließlich nimmt die Angst vor drastischen Zinserhöhungen seitens der Zentralbanken zur Bekämpfung der Inflation zurzeit ab. Es zeigen sich nämlich erste Probleme im weltweit hoch verschuldeten Finanzsystem. Die EZB wurde im Juni nervös, als der Zins für italienische Staatsanleihen über 4% gestiegen war und kündigte Maßnahmen gegen zu stark steigende Zinsen in den schwächeren Ländern der Eurozone an. Seitdem sind die langfristigen Zinsen in Italien um 70 Basispunkte gefallen. Auch in anderen europäischen Ländern und den USA sind die Zinsen in einer ähnlichen Größenordnung gesunken. Nur das hochverschuldete Japan musste den langfristigen Zins in der Nähe von Null belassen. Daraufhin brach der Wechselkurs des japanische Yen ein. Auch der Euro und sogar die chinesische Währung verloren deutlich zum US-Dollar. Damit dürfte die Stärke des Dollars in den USA zunehmend die Wirtschaft belasten, weil die Amerikaner weniger exportieren können, und die Inflation drücken. Die US-Zentralbank wird diese Entwicklung bei ihrer Zinspolitik im Auge behalten müssen.
Reinhard Panse ist Chief Investment Officer und Mitgründer der FINVIA Family Office GmbH. Bis Februar 2020 war er Mitglied der Geschäftsführung und Chief Investment Officer für die im Eigentum der Familie Harald Quandt stehende HQ Trust GmbH. Von 2004 bis zum Eintritt in die HQ Trust GmbH im Jahre 2011 war Panse Chief Investment Officer des in der UBS Deutschland AG geschaffenen Geschäftsbereichs UBS Sauerborn. Ab 2001 war er Mitglied des Vorstands der Sauerborn Trust AG bzw. der Rechtsvorgänger. Begonnen hat Reinhard Panse mit der Übernahme von Kapitalmarkt- und Kundenbetreuungstätigkeiten bei der Feri GmbH im Jahre 1989, nachdem er eine eigene Vermögensverwaltung als Geschäftsführer gegründet und geführt hatte