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Zukunftsmärkte > Innovationsfinanzierung Mittelstand

Bürokratie-Jungle lähmt Innovation! Der Mittelstand kämpft!

Von Förderchaos zu Finanzierungsengpässen: Warum innovative Ideen im deutschen Mittelstand oft im Bürokratie-Dschungel hängen bleiben.

Kreativer Kopf: Daniel ­Düsentrieb gehört zu den international bekanntesten Erfindern überhaupt. Über Finanz­sorgen ist wenig ­bekannt, doch dürfte Förderung auch ihn entscheidend voranbringen. (Foto: picture alliance / dpa | Nicolas Armer)

Innovationsreiche Mittelständler: Zwischen Ideen und Finanzierungsnot

„Zu kompliziert, zu aufwendig, zu langsam." Milko Konzelmann hält nichts von den Förderprogrammen der öffentlichen Hand. Bis das Geld endlich fließe, sei der Markt schon in vollem Gange. So könne man sich keine Wettbewerbsvorteile schaffen.

Konzelmann ist geschäftsführender Gesellschafter des gleichnamigen Unternehmens, das zu den besonders innovativen im Südwesten gehört. Der Mittelständler wurde vor einem Jahr sogar mit dem Innovationspreis des Landes Baden-Württemberg für eine besondere Membran ausgezeichnet. Die kann beispielsweise als Sicherungselement in Hochleistungsbatterien für die E-Mobilität eingesetzt werden. Entwickelt wurde sie von Schwiegersohn Andre Konzelmann, der als dritte Generation an der Führung des Familienunternehmens beteiligt ist.

Konzelmann hat, wie andere Unternehmen auch, ein kurioses Problem: Innovationen sind reichlich da, doch Geld, zumal staatliches, fließt nicht – wegen Bürokratie, ungeeignetem Förderzuschnitt, weil Investoren die Fantasie fehlt oder das Verständnis für den Mittelstand. Oder sie nicht einfach nur Geld geben, sondern Anteile am Unternehmen haben wollen. Und die Konditionen für Kredite schrecken oft auch ab. Und so bleibt oft nur, alles selbst zu finanzieren, was zwangsläufig den Spielraum einschränkt. Im schlimmsten Fall kommen gute Innovationen deshalb nicht auf den Markt.

In Löchgau, einer Gemeinde zwischen Stuttgart und Heilbronn, hat sich Konzelmann auf Kunststofflösungen, Membrane, Ventile und Werkzeuge spezialisiert. Grundlage sind tribologische Erkenntnisse – also die Lehre von Reibung und Verschleiß. Im eigenen Labor werden Polymerwerkstoffe danach entwickelt und getestet. Etwa ein Zehntel der 260 Beschäftigten ist mit der Forschung sowie der Entwicklung von individuellen Kundenlösungen befasst. Abnehmer sind Autoindustrie, Medizintechnik und Maschinenbau. Ziel sei es, sich möglichst breit aufzustellen, sagt Konzelmann, um Schwankungen in einer Branche ausgleichen zu können. Und das muss man derzeit im Unternehmen, denn die Lösungen für E-Mobilität und Wasserstofftechnik stoßen zwar auf großes Interesse, doch der erwartete Markt will nicht starten. Für Milko Konzelmann ist dies ein Ergebnis der erratischen Förderpolitik in Berlin: „Das führt zum Chaos."

Großauftrag abgelehnt

Das vor 60 Jahren gegründete Unternehmen plant langfristig, denn neue Erzeugnisse brauchen fünf bis sieben Jahre, bis sie in Serie gehen können. Das Familienunternehmen steckt dabei stets im Spannungsfeld: einerseits möglichst viele Innovationen zu entwickeln, ohne sich andererseits zu verzetteln oder zu sehr in die Abhängigkeit einer Branche zu geraten. Der Seniorchef deutet an, dass er deshalb schon mal einen Massenauftrag ablehnt, wenn dafür extra eine neue Halle gebaut werden müsste. Gerade als Autozulieferer wäre das mit hohem Risiko verbunden. „Wir setzen auf Wachstum, aber organisch", lautet die Maxime von Milko Konzelmann. Das Unternehmen solle möglichst auch noch für die nächste Generation da sein.

Die Konzelmanns orientieren sich bei ihrer Ausrichtung an den Megatrends und suchen sich lukrative Marktnischen, die für große Wettbewerber zu klein sind. So hat Konzelmann beispielsweise einen eigenen Kunststoff entwickelt, ohne die Konkurrenz von Riesen wie die BASF fürchten zu müssen. Für besondere Analysen mit teuren Geräten arbeitet das Unternehmen mit Universitäten zusammen. Von dort kommen auch einige der Spezialisten nach Löchgau. Die widerstehen dabei dem Lockruf der benachbarten Konzerne Bosch, Porsche, AMG oder Audi, die im Umkreis von 30 Kilometern Standorte haben. Die Konzelmanns kontern mit den typischen Stärken eines mittelständischen Unternehmens: flache Hierarchien, viel Verantwortung schon in jungen Jahren und persönliche Verbundenheit zwischen Familie und Mitarbeitern.

Karsten Weiß gehört ebenfalls zu jenen Parade-Tüftlern aus dem Ländle, die nur Insidern bekannt sind. Seinen Erfindergeist hat er schon früh beim Wettbewerb „Jugend forscht" unter Beweis gestellt. Seinerzeit hat er eine neue Lösung für Melkmaschinen entwickelt. Heute arbeitet seine Firma mit 24 Beschäftigten nahe Ludwigsburg an Softwarelösungen und Anwendungen für Roboterarme. Damit schließt der Betrieb eine Lücke, die für viele Mittelständler unüberwindbar erscheint: die Integration digitaler Fertigung in das Unternehmen. Den Schritt würden viele gerne vollziehen. Doch ohne eigene IT-Spezialisten?

Weiß und seine Mitarbeiter haben genau hier eine Lösung. Sie entwickeln die Fähigkeiten von Robotern großer Hersteller wie Mitsubishi, Bosch oder Kuka so weiter, dass sie auch spezielle Aufgaben in der Feinmechanik, Medizintechnik oder im Labor übernehmen können. Grundlage ist eine eigene Software und spezielle Sensoren an den Greifern. Die werden für die Kunden – oft Mittelständler, die ihre Fertigung modernisieren wollen – individuell angepasst.

Ideen hat man bei Weiss Robotics mehr als genug. Allerdings sind ihnen durch die überschaubare Größe enge Grenzen gesetzt. Fördermittel – beispielsweise vom Land Baden-Württemberg – sind nicht auf solche Betriebe zugeschnitten. Man müsse im ersten Schritt eine 30-seitige Abhandlung abgeben, sagt Weiß. „Kommt man in die engere Auswahl, muss man wieder eine umfangreiche Dokumentation verfassen. Das übersteigt unsere Möglichkeiten." Zumal solche Förderungen nur zeitlich begrenzt sind. „Wenn ich für so ein Projekt zwei Leute einstelle, bleibe ich nach zwei Jahren auf den vollen Kosten sitzen", rechnet Weiß vor.

Bürokratie als Innovationsbremse: Die Tücken der Förderlandschaft

Die negativen Einschätzungen von Konzelmann und Weiß lässt das Stuttgarter Wirtschaftsministerium nicht gelten. So seien 5600 geförderte Klein- und Kleinstunternehmen seit Einführung der Innovationsgutscheine im Jahr 2008 ein Beleg für die Wirksamkeit des Programms für diese Zielgruppe. Von den Antragsstellern bei der Digitalisierungsprämie Plus hätten 77 Prozent bis zu 20 Mitarbeitende, 56 Prozent seien Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitenden. Auch die landeseigene Förderbank helfe bei Start-, Gründungs- und Wachstumsfinanzierung. Die Förderverfahren seien vereinfacht worden, betont ein Sprecher auf Anfrage. Glaubt man den Stimmen aus der Praxis, bleiben aber noch genug Hürden.

Forschung und Entwicklung in Deutschland sind vor allem im Maschinenbau bedeutend. Denn in den meisten Unternehmen der Branche entstehen Innovationen vor allem am Heimatstandort. Sogar der ausländische Wettbewerb nutzt hier vorhandenes Wissen und die Infrastruktur an den Hochschulen. Als wichtiges Instrument sieht das Forschungsinstitut ZEW die Steuererleichterung von bis zu 25 Prozent der förderfähigen F&E-Aufwendungen bis zur Grenze von vier Millionen Euro. Fast jede fünfte Zulage (17 Prozent) kommt Unternehmen der Branche zugute, die somit an der Spitze liegt. Etwa 40 Prozent der Maschinenbauer stellten schon Anträge, die dem ZEW zufolge zum Großteil auch bewilligt wurden.

Die Bürokratie bleibt eine Herausforderung, der kleine Betriebe schon bei der Antragstellung ohne externe Experten nicht gewachsen sind. Doch damit endet der Aufwand nicht. So muss jedes zweite Unternehmen Nachfragen der Finanzämter mit zusätzlichen Unterlagen beantworten. „Hier sollte frühzeitig auf schlanke, bürokratiearme Verfahren im Bereich der Finanzverwaltung hingewirkt werden", heißt es in der Studie. Immerhin: 71 Prozent der Unternehmen erwarten zusätzliche Umsätze aus den über die Forschungszulage finanzierten F&E-Aktivitäten.

Lücke im System

Die Experten des ZEW erwarten zusätzlichen Schub durch das Wachstumschancengesetz, das unter anderem den Fördersatz von 25 auf 35 Prozent erhöht hat. Das sei vor allem für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) von Bedeutung. Gedeckelt wird zudem erst bei 15 Millionen Euro. Hier sieht der VDMA jedoch noch einige Defizite. „Viele große Mittelständler fallen durch das Förderraster. Sie sind zu groß für die umfangreiche KMU-Förderung, zugleich sind die großen Förderprojekte der EU nicht passgenau", bemängelt VDMA-Chefvolkswirt Johannes Gernandt. Sein Verband warnt zudem davor, dass die in Deutschland erzielten Entwicklungen zu leicht ins Ausland abwanderten. Dieser Wissensverlust müsse gestoppt werde.

Verbesserungsbedarf sieht der Maschinenbauverband VDMA bei der Verrechnung der Sachkosten über das bislang sehr schmale Band hinaus. „Dies könnte ohne großen bürokratischen Aufwand dadurch erfolgen, dass ein pauschaler Zuschlag auf die zu fördernden Personalaufwendungen ohne Einzelnachweis gewährt wird", erklärt Gernandt. Zudem sollte man auf detaillierte Stundenaufzeichnungen zumindest für KMU verzichten. Hier sollte eine Schätzung der zu fördernden Personalaufwendungen ausreichen. Die zuständige Bescheinigungsstelle müsste ferner die Antragsteller umfassender beraten dürfen.

Lösungsansätze: Neue Wege der Innovationsfinanzierung

Diese Lücke versucht die IHK Ostwürttemberg zu schließen – zumindest im Gebiet zwischen Aalen und Heidenheim. Sie hat die Genossenschaft „Scale it" gegründet. Sie bietet eine Alternative für Unternehmen, die statt auf Fördergeld auf eine direkte, kooperative Finanzierung und Nutzung von Ressourcen setzen wollen. „Durch die Genossenschaft erhalten die Unternehmen nicht nur Zugang zu einer gemeinsam entwickelten innovativen Software-Infrastruktur, sondern auch zu wichtigen Technologien im Bereich Edge-Plattformen", teilt die Kammer mit. Ein besonderer Vorteil sei der unmittelbare Zugang zu einem Netzwerk von Kooperationspartnern und potenziellen Kunden. Die Mitglieder der Genossenschaft können so ihre Innovationen schneller und gezielter entwickeln und vermarkten.

Solche Modelle brauchen Unternehmer und Tüftler wie Karsten Weiß. Dem schwant nämlich bereits, dass er von Aufträgen überrollt wird, wenn die Rezession überwunden ist und viele Betriebe wieder investieren. Doch Weiß gehört zu jenen Unternehmern, die vor der bangen Frage stehen, wie sie ihre Stärke auch in eine erfolgreiche Firmenentwicklung ummünzen können. Die Banken würden trotz dieser Perspektive undiskutable Konditionen verlangen. Risikofreudige Investoren, wie es in den USA etliche gibt, sind im Ländle rar. Also finanziert die Familie nur das, was aus eigener Kraft geht. Ein Beispiel, wie ein innovatives Unternehmen trotz bester Voraussetzungen in der Innovationshochburg Deutschland allein gelassen wird.

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