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Zukunftsmärkte > Internationalisierung

Wie China deutsche Unternehmen unter Druck setzt

Am chinesischen Markt führt für viele Mittelständler kein Weg mehr vorbei. Dies nutzen chinesische Unternehmen und die dortige Regierung aus. Wer in China Geschäfte machen will, muss viele Rechte abgeben.

Die Gäste aus dem Reich der Mitte schauten ganz genau hin: Als vor einigen Jahren eine Gruppe Chinesen die Produktionsstätte eines deutschen mittelständischen Automobilzulieferers besuchte, nahmen die Teilnehmer das Werk genau unter die Lupe, fotografierten die Maschinen und krabbelten sogar unter die Anlagen, um ja kein Detail zu verpassen. Auch ein Blick in Unternehmensunterlagen fehlte nicht. Auf diese Weise bekamen die Besucher – Mitarbeiter eines chinesischen Automobilzulieferers – Zugang zum Know-how für eine Produktionstechnologie, über das bis dahin nur das deutsche Unternehmen verfügt hatte. Die Chinesen waren allerdings nicht heimlich und illegal auf das Werksgelände eingedrungen, sondern mit Erlaubnis der damaligen Geschäftsführung vor Ort.

Wie kam es zu dem sogar für chinesische Verhältnisse ungewöhnlich offenen Ideenklau? Der Kunde, ein deutscher OEM, dessen Name hier nicht genannt werden soll, hatte zusammen mit einem chinesischen Automobilzulieferer ein Joint Venture im Reich der Mitte gegründet. Das Ziel: den chinesischen Markt besser beliefern zu können. Für den deutschen Mittelständler, der den OEM mit Karosserieteilen belieferte, lohnte sich ein eigener Produktionsstandort in China nicht. Zumal auch ein solches Werk in China als Gemeinschaftsunternehmen mit chinesischen Mehrheitsanteilen hätte aufgesetzt werden müssen, da dies das chinesische Gesetz vorschreibt. Daher fragte der deutsche Fahrzeughersteller, ob der Mittelständler sein Know-how an einen chinesischen Zulieferer weitergeben könne, der dann vor Ort produziere und das Joint Venture beliefere.

Der damalige Geschäftsführer willigte ein: „Mein Vorgänger fürchtete, dass wir sonst den Kunden und damit einen Großteil unserer Aufträge verlieren könnten“, sagt der heutige Firmenchef. „Offen wurde das zwar nie gesagt, aber die Drohung schwang mit.“ Beide Seiten einigten sich letztlich darauf, dass der chinesische Zulieferer die Technologie kostenfrei nutzen könne, um damit den chinesischen Markt zu beliefern. Vertraglich festgehalten wurde allerdings nichts. Ein Fehler: Das Joint Venture wurde nach kurzer Zeit beendet, und der chinesische Zulieferer hielt sich nicht an die Absprache. Inzwischen beliefert er auch Europa. „China hat uns und unseren Kunden ausgenutzt, um an unsere Technologie zu kommen. Das war von Anfang an deren Intention“, ist der Geschäftsführer überzeugt.

Verträge aufsetzen

Zugleich ist er sich aber auch bewusst: Eigentlich war die Entwicklung vorhersehbar, und die damalige Firmenleitung muss sich zumindest Blauäugigkeit vorwerfen lassen. „Wir hätten unbedingt eine Lizenzvereinbarung mit dem chinesischen Zulieferer abschließen sollen“, sagt der Geschäftsführer. „Damit hätten wir sowohl Geld verdienen als auch bei Vertragsbrüchigkeit gegen den Zulieferer rechtlich vorgehen können.“ So hingegen muss der Mittelständler machtlos zusehen, wie viele Aufträge an die selbst geschaffene Konkurrenz verlorengehen. Damit ist genau das Szenario eingetreten, das das Unternehmen durch die Weitergabe seines Produktions-Know-hows für einen vorab vereinbarten Markt eigentlich hatte verhindern wollen.

Wie oft es zu ähnlichen Vorfällen in der Automobilindustrie kommt, lässt sich nicht beziffern. Klar ist aber: Fahrzeughersteller, die massiven Druck auf ihre mittelständischen Zulieferer ausüben, sind keine Seltenheit. „Bei technischen Innovationen erwarten die OEMs mittlerweile von uns, dass wir Ergebnisse erzielen, die weit über das hinausgehen, was ihre eigenen Ingenieure liefern können“, beschwerte sich beispielsweise ein mittelständischer Zulieferer bereits vor zwei Jahren gegenüber „Markt und Mittelstand“ (Ausgabe 11/2018). Auch dieses Unternehmen wollte damals aus Angst vor Repressalien seines Kunden nicht namentlich in dem Artikel genannt werden.

Zu der Frage, wie angespannt das Verhältnis zwischen OEMs und ihren mittelständischen Zulieferern mitunter ist, wollte sich der in Berlin ansässige Verband der Automobilindustrie auf Anfrage von „Markt und Mittelstand“ nicht äußern. Die Auswirkungen der Corona-Krise und des Strukturwandels in der Branche seien so gravierend, dass Verband und Mitgliedsunternehmen derzeit andere Probleme hätten. Dies dürften manche mittelständischen Zulieferer anders sehen. „Gerade in einer solchen wirtschaftlichen Krise tun der Preisdruck, den die OEMs auf uns Zulieferer ausüben, sowie die Aufträge, die wir verloren haben, besonders weh“, sagt der vom chinesischen Joint-Venture-Partner hintergangene Unternehmer.

Wahl des Rechts

Wie für viele andere Branchen auch, ist China für die Automobilindustrie inzwischen einer der wichtigsten Märkte weltweit. Hier präsent zu sein entscheidet nicht selten über das Wachstum eines Unternehmens. Nach wie vor ist das Reich der Mitte aber auch eine Region, in der deutsche Unternehmen Probleme bekommen können, ihr Recht juristisch durchzusetzen – auch dann, wenn Dokumente vorliegen. „Verstöße gegen Schutzrechte wie Patente werden in China nach wie vor nicht so konsequent verfolgt wie in Europa“, sagt Daniel Wuhrmann, Rechtsanwalt bei der Kanzlei Reuschlaw Legal Consultants.

Eine Lizenzvereinbarung mit dem Zulieferer hätte dem Mittelständler dennoch helfen können – sofern sie richtig gestaltet gewesen wäre. „Bei internationalen Verträgen sollten Unternehmen vertraglich vereinbaren, welches nationale Recht maßgebend ist und wo die zuständige Gerichtsbarkeit liegt“, rät Wuhrmann. Dabei könnten sich beide Seiten auch auf das Recht eines Drittstaates einigen, so dass keine der Firmen einen „Heimvorteil“ habe. Die Beratung durch einen Juristen sei beim Abschluss einer Lizenzvereinbarung so oder so unabdingbar.

Lizenzvereinbarungen

So können Sie sich vor Ideenklau schützen

  • Vereinbarungen sollten immer vertraglich festgehalten werden. Mündliche Absprachen sind zwar mitunter auch rechtlich wirksam, aber schwer nachweisbar.
  • Der Vertrag sollte genau definieren, was geregelt ist, für wen er gilt und in welchem Zeitraum.
  • Im Vertrag sollten gegebenenfalls Absicherungen durch Dritte und/oder Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen aufgeführt werden und welche Gerichtsbarkeit bei juristischen Auseinandersetzungen zuständig ist.
  • Bei Punkten, die nicht vertraglich vereinbart sind, entscheidet je nach Fall das nationale oder internationale Recht darüber, welche Regelung gilt. Dies kann zu Streitigkeiten bei der Interpretation der Gesetze führen. Daher gilt: Lieber zu viele als zu wenige Details im Vertrag regeln.

Bei Geschäften mit chinesischen Firmen kann die Wahl der Gerichtsbarkeit eine wichtige Rolle spielen: „Ich rate dazu, sich auf ein internationales Schiedsgericht zu einigen, das von China anerkannt wird“, sagt Wuhrmann. „Bei Urteilen dieser Schiedsgerichte werden Titel wie Zwangsvollstreckungen gegen chinesische Unternehmen auch umgesetzt, bei Urteilen von nationalen Gerichten ist dies nicht ohne weiteres der Fall.“ Allgemein gilt bei Verträgen: Gibt es das Dokument in verschiedenen Sprachen, sollte festgelegt sein, welche Fassung bei der Definition der Rechtsbegriffe die verbindliche ist.

Trotzdem kann es für mittelständische Zulieferer schwierig sein, sich bei Auseinandersetzungen ihr Recht zu verschaffen. Hier können die Kunden helfen. „In dem vorliegenden Fall hätte der Zulieferer einen Lizenzvertrag aufsetzen können, bei dem der deutsche OEM bei Verstößen des chinesischen Unternehmens mithaftet“, sagt Wuhrmann. Das erleichtere es, gegen Vertragsverletzungen vorzugehen. Für den Mittelständler kommt der Ratschlag zu spät: Ihm bleibt nur die Hoffnung, dass sein chinesischer Konkurrent früher oder später Qualitätsprobleme bekommt, weil er die Produktionstechnologie doch nicht beherrscht. Dann könnten abtrünnige Kunden reumütig zurückkehren.

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