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„It’s the economy, stupid!“ – Warum Deutschlands Wirtschaft wieder Einfluss nehmen muss

Politik ignoriert Wirtschaft? Warum Unternehmen jetzt handeln müssen – und was der „Circle of Influence“ dabei leisten kann.

(Foto: shutterstock)

Von Prof. ­Andreas Engelen 

Vor knapp zwanzig Jahren teilte mir der Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens mit, dass er Politik und Wirtschaft in Deutschland als eine Erfolgskooperation sehe. Seit dem Zweiten Weltkrieg habe die Politik die Wirtschaft schätzen gelernt. Sie schaffe Wohlstand und Wachstum, was der Politik das ohnehin schwierige Regieren in diesen Jahrzehnten erheblich erleichtert habe. Auch die Wirtschaft schätzte die Politik: Sie setzte die den verlässlichen Rahmen für erfolgreiches Wirtschaften, sei es durch Gesetzgebung oder durch Bundeskanzler, die mit Delegationen von Unternehmen in fremde Länder reisten und dort die deutsche Wirtschaft erfolgreich bewarben. Politik und Wirtschaft – das war jahrzehntelang eine Erfolgsstory in Deutschland. 

Vor ziemlich genau zehn Jahren sprach ich mit einem ehemaligen Vorstandsmitglied eines deutschen Dax-Unternehmens. Bezogen auf die Herausforderungen damals beklagte er, dass die Politik kaum noch auf die Wirtschaft höre. Hatte sich in nur zehn Jahren so viel verändert? 

Heute, zehn Jahre später, ist die Situation noch dramatischer: In vielen Unternehmen beginnen Meetings mit einer aufgewühlten Diskussion über politische Entscheidungen und deren negative Folgen. Im Vordergrund steht das ungläubige Hinnehmen neuer Vorschriften und Regularien. Politiker selbst lassen sich nicht mehr gern mit Entscheidungsträgern aus der Wirtschaft fotografieren. Andere Interessengruppen haben sich geschickt in den Vordergrund gespielt. Im vergangenen November luden zwei Kabinettsmitglieder hastig zu zwei Wirtschaftsgipfeln – allerdings eher, um sich gegenseitig eins auszuwischen.

Was bedeutet diese Entwicklung für Entscheidungsträger in Unternehmen? Zur Analyse dieser Situation kann Stephen Coveys Konzept des „Circle of Influence“ genutzt werden. Covey unterscheidet zwischen dem Bereich, den wir beeinflussen können (Circle of Influence), und dem, der uns zwar betrifft, aber unserer Kontrolle entzogen ist (Circle of Concern). Effektive Entscheidungsträger konzentrieren ihre Energie auf den Circle of Influence. 

Ein einfaches Alltagsbeispiel: Sie fahren auf der Autobahn und geraten unerwartet in einen Stau. Der Stau selbst liegt außerhalb Ihres Circle of Influence. Es bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als ihn hinzunehmen. Innerhalb Ihres Einflussbereichs liegt jedoch, das Beste aus der Situation zu machen – etwa die Zeit zu nutzen, um lange nicht kontaktierte Freunde anzurufen. 

Was bedeutet das für die Wirtschaft? Für kleinere Unternehmen und deren Entscheidungsträger, die realistischerweise keinen politischen Einfluss haben, ist es ratsam, sich nicht von der Politik frustrieren zu lassen. Stattdessen sollten sie sich auf die Dinge konzentrieren, die sie beeinflussen können, und dementsprechend handeln. 

Für Verbände und Vertreter großer Unternehmen, die sehr wohl Gehör finden, ist ein Umdenken erforderlich. Während viele von ihnen in den vergangenen Jahren – besonders in der Autoindustrie – weitgehend unkritisch den politischen Vorgaben gefolgt sind, müssen sie ihren Circle of Influence wieder aktiv nutzen. 

Das Motto „It’s the economy, stupid“, das Bill Clinton in den 90er-Jahren zum Wahlsieg verhalf, bleibt aktuell. Unternehmen müssen kontinuierlich ihre zentrale Bedeutung für Deutschland verdeutlichen und sich gegen wirtschaftsferne politische Entscheidungen wehren. Die Politik muss wieder in den Circle of Influence geholt werden – auch wenn es ein steiniger Weg ist. Vielleicht ist es möglich, die Erfolgsgeschichte zwischen Politik und Wirtschaft in Deutschland nach einer erheblichen Unterbrechung fortzusetzen. 

Prof. ­Andreas Engelen

Die Forschung schafft Wissen, die Praxis nutzt es – wenn dazwischen nur nicht ­immer so viel Interessantes verloren ginge.

Unser Kolumnist ­Professor ­Andreas Engelen setzt sich für den gezielten Wissenstransfer von den Hochschulen in die Unternehmen zu betriebswirtschaftlichen Themen ein.

Der Inhaber des Lehrstuhls für Management an der Heinrich-­Heine-Universität in Düsseldorf forscht mit seinem Team erfolgreich über Fragen des strategischen Managements, der Innovation und des digitalen Managements. Aktuell schlägt er in Projekten mit mehr als 20 Unternehmen die Brücke ­zwischen Theorie und Praxis – für seine Studierenden wie für Firmen.

 

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