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Zukunftsmärkte > Autoindustrie

Jetzt ist der Mercedes-Stern ein Pleitekandidat

In der deutschen Autoindustrie feiern die Hersteller satte Gewinne. Viele ihrer Zulieferer stehen hingegen am Abgrund. Allein im Südwesten bangt jeder Fünfte um seine Existenz. Arbeitsplätze verschwinden. Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt. Selbst der Hersteller des Mercedes-Sterns ist insolvent.

Das weltbekannte Markenzeichen prangt vor dem Kühler. Doch so prächtig es ist: Der Hersteller des Sterns ist pleite.© Shutterstock

Es ist die alte Geschichte von Koch und Kellner. Der eine muss flitzen, der andere sammelt am Ende die Lorbeeren ein. Das gleiche Spiel wiederholt sich seit Jahren in der Autoindustrie. Allerdings waren die Unterschiede noch nie so krass wie jetzt. Während vor allem die Premium-Hersteller ihre Gewinne in die Höhe schrauben, geraten immer mehr Zulieferer an den Rand der Pleite – und darüber hinaus. Jetzt trifft es einen Hersteller, der ein Mercedes-Teil fertigt, das jedes Kind kennt: Den Stern auf der Kühlerhaube. Auch die Kühlergrills von BMW werden nicht mehr im badischen Forst bei Bruchsal vom Band laufen. Der Zulieferer BIA GmbH macht die Fertigung dicht und 154 Beschäftigte stehen ohne Perspektive auf der Straße. „Angesichts der seit rund zwei Jahren stetig fallenden Umsätze und dadurch rasant ansteigenden Verluste sehen wir leider keine Möglichkeit mehr für eine nachhaltige Fortführung der Gesellschaft“, begründet Unternehmenschef Jörg Püttbach den Schritt.

 

Noch im Jahr 2020 war an dem Standort eine rund eine Million Euro teure Galvaniklinie in Betrieb genommen worden. Aufträge aus der Autoindustrie, die eine rentable Produktion erlaubt hätten, seien jedoch ausgeblieben, erklärt Puttbachs Kollege Danny Kelm, der das operative Geschäft leitet. Die Anlage soll jetzt demontiert und Teile davon an anderen Standorten genutzt werden. Auch die laufenden Aufträge würden vollständig erfüllt werden, heißt es. Die Produktion soll ans Stammwerk nach Solingen sowie in eine Niederlassung in die Slowakei verlagert werden.

Die steigenden Energiekosten hätten sich zu einem „unkalkulierbaren Risiko“ entwickelt.


Dieses Problem trifft immer mehr Zulieferer. Allein im Südwesten, der ganz besonders von der Autoindustrie und dem Maschinenbau lebt, sehen 17 Prozent der Unternehmen aus der Metall- und Elektroindustrie ihre Existenz in Gefahr. Nur ein Prozent der Betriebe hat es geschafft, die gestiegenen Kosten über höhere Preise auszugleichen. Entsprechend hart wird gerade in Baden-Württemberg um einen neuen Tarifvertrag verhandelt. „Die Krise trifft große wie kleine Zulieferer gleichermaßen. Das ist in der Form neu“, erklärt Harald Marquardt, der für den Arbeitgeberverband Südwestmetall die Verhandlungen führt. Tatsächlich verdienen selbst Branchenriesen wie Bosch oder Mahle kaum noch Geld oder kämpfen mit roten Zahlen. Beim Fahrwerkshersteller Continental rauscht der Aktienkurs in den Keller: Minus 44 Prozent in zwölf Monaten steht auf dem Kurszettel. „Noch nie war die Welt der Automobilindustrie so in Aufruhr wie heute“, stellt Thomas Burger, Präsident des Wirtschaftsverbandes der Badischen Industrie fest, der

Zulieferern fehlen die Stückzahlen

Die schwierige Entwicklung bei den Autozulieferern kennt Marquardt aus dem eigenen Unternehmen genau. Zwar wächst der Umsatz des gleichnamigen Familienunternehmens im schwäbischen Rietheim bei Tuttlingen in diesem Jahr auf 1,4 Milliarden Euro. Doch am Ende ist man froh, wenn rote Zahlen vermieden werden können. Wie viele Zulieferer leidet Marquardt darunter, dass die Hersteller weniger Autos bauen, weil Teile – vor allem Microchips – fehlen. Zudem läuft der wichtige Absatzmarkt China pandemiebedingt nicht wie gewohnt. Vor allem die Verkäufe der deutschen Hersteller sind rückläufig: Der Absatz von Volkswagen, BMW und der Mercedes-Benz ist gegenüber 2020 um neun Prozent gesunken. Der China-Anteil am Gesamtabsatz der drei deutschen Hersteller ist 2021 auf 37,4 Prozent gesunken (2020: 39,4 Prozent). Bei Volkswagen ist der Anteil am Gesamtabsatz mit 40 Prozent am höchsten.

Insgesamt wird der Weltmarkt in diesem Jahr lediglich ein Volumen von 73 Millionen produzierte Fahrzeuge erreichen. Die Prognosen lagen vor der Pandemie noch bei 90 Millionen und mehr.

 

Das schlägt auf die Zulieferer durch. Die Autokonzerne rufen derzeit die bestellte Ware, die bei ihnen oft direkt ans Band geliefert wird, nur zögerlich und unregelmäßig ab. Das führt bei manchem Zulieferer dazu, dass es von Sonderschichten direkt in die Kurzarbeit geht. Wer kontinuierlich produziert, bleibt oft auf der Ware sitzen. „Unser Lagerbestand hat sich innerhalb eines Jahres verdoppelt“, erklärt Marquardt. Das bedeutet höhere Kosten, die bei steigenden Zinsen immer teurer finanziert werden müssen. Und die Uhr tickt: Alle Fahrzeuggenerationen werden nach einer gewissen Zeit von einem Nachfolgemodell abgelöst. Zulieferer wie Marquardt laufen dann Gefahr, dass sie auf dem teuren Lagerbestand sogar ganz sitzen bleiben. 

Wer aufmuckt, fliegt raus

Die Hersteller interessiert die Not der Zulieferer wenig. Sie sitzen am längeren Hebel. Zulieferer überlegen sich genau, ob sie den Konflikt mit den mächtigen Großkunden wagen sollen. „Dann ist man bei der Vergabe des nächsten Auftrags einfach nicht mehr dabei“, beschreibt Klaus-Peter Manz, von der IG Metall auf der Schwäbischen Alb die rüden Methoden in der Branche. Von den Herstellern wird traditionell erwartet, dass die Preise jedes Jahr gesenkt werden, weil ja immer effizienter gefertigt wird. Von gestiegenen Kosten bei den Zulieferern will man in Ingolstadt, München, Wolfsburg oder Stuttgart meist nichts wissen. „Da muss jeder vor dem eigenen Hof kehren“, kommentierte jüngst Mercedes-Finanzchef Harald Wilhelm nachdem er kurz davor noch dargelegt hat, dass der Stuttgarter Konzern den Rekordgewinn 2021 um ein Fünftel steigern wird. Zwar sinken die Absatzzahlen, doch das kompensieren die deutschen Premiumhersteller, indem sie die vorhandenen Teile bevorzugt in die Oberklassemodelle verbauen. Deren Marge ist um ein Vielfaches höher. So stiegen in den ersten neun Monaten dieses Jahres auch die Gewinne von BMW um 8,5 Prozent, bei Audi um 14 Prozent und Porsche um 18,5 Prozent.

Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der deutschen Automobilindustrie (VDA), verfolgt die Entwicklung in ihrer Branche inzwischen auch mit Sorge: „Gemeinsame Verantwortung und gemeinsamer Erfolg können nur gelingen, wenn Risiken und Chancen zwischen den Partnern der Lieferkette angemessen verteilt und geteilt werden.“

Manchmal geht die Knauserigkeit der Autokonzerne aber dann doch nach hinten los. So erzählt man unter den genervten Zulieferern gern die Geschichte eines gebeutelten schwäbischen Kollegen, der von drei Großkunden jeweils acht Millionen Euro Vorkasse gefordert hat, um weiterarbeiten zu können. Wie vielen in der Branche, sind ihm die Kosten über den Kopf gewachsen. Doch eine Einkaufsabteilung dieser Konzerne weigerte sich. Die Folge: Der Zulieferer ging pleite. Der Hersteller musste am Ende nun dem Insolvenzverwalter satte 135 Millionen Euro auf den Tisch legen, um doch noch an die Ware zu kommen. Aber man hat‘s ja.

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