Kasachstan im Aufwind: Der neue Chancenmarkt für den deutschen Mittelstand
Kasachstan lockt den Mittelstand: Neue Chancen für deutsche Firmen dank Reformen, Rohstoffen und strategischer Lage im Herzen Eurasiens.

Von Oliver Rolofs aus Astana
Wer Ende Mai 2025 auf dem Astana International Forum (AIF) in Kasachstans Hauptstadt unterwegs war, spürte es: Hier ist ein neues Kapitel in den Wirtschaftsbeziehungen mit Europa im Entstehen – und mittendrin ein Land, das sich selbstbewusst als Brücke zwischen Ost und West präsentiert.
„Kasachstan ist bereit, ein Brückenbauer in einer fragmentierten Welt zu sein“, sagte Präsident Kassym-Schomart Tokajew zum Auftakt des AIF. Unter dem Motto "Connecting Minds, Shaping the Future" kamen mehr als 5.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus über 70 Ländern zusammen. Neben Staats- und Regierungschefs, Top-Ökonomen und Vertretern internationaler Organisationen war auch Europas Politik prominent vertreten. Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bezeichnete Kasachstan als "Drehkreuz der Zukunft" und rief Europa auf, "den Geist Marco Polos neu zu entfachen".
Tokajew positionierte sein Land beim AIF 2025 als Mittelmacht zwischen Russland, China und Europa. Ein Akteur, der weder blockgebunden noch neutral agiert, sondern einen konstruktiven, multilateralen Weg geht. Diese "dritte Option" stößt in Brüssel zunehmend auf Interesse – wie auch der EU-Zentralasien-Gipfel 2025 in Samarkand verdeutlichte. Mit dem „Global Gateway“-Programm sollen insgesamt 12 Milliarden Euro in regionale Infrastruktur und Rohstoffpartnerschaften fließen.

Melonis Initiative: Italien als EU-Vorreiter in Zentralasien
Meloni hat vorgemacht, wie geopolitische Strategie und wirtschaftliches Engagement Hand in Hand gehen können. Ihre Zentralasienreise und ihr Auftritt auf dem AIF markieren den Beginn eines dauerhaften Formats zum Austausch zwischen der EU und den Staaten entlang der neuen Seidenstraße. Mit Investitionsabkommen über vier Milliarden Euro, insbesondere in den Bereichen Energie, kritischer Rohstoffe, Wasserwirtschaft und Maschinenbau, positionierte sich Italien als wirtschaftlicher Vorreiter. Doch auch für Deutschland birgt Kasachstan beachtliche Chancen, insbesondere für mittelständische Unternehmen, die neue Märkte erschließen wollen.
Zentralasien im Fokus: Europa entdeckt die alte Seidenstraße neu
Die geopolitische Lage Kasachstans macht das Land zu einem strategischen Knotenpunkt. Es grenzt an China und Russland, verfügt über reiche Vorkommen an fossilen Energieträgern, kritischen Rohstoffen, Seltenen Erden und Metallen. Zu letzteren konnte das Land erst im Vorfeld des AIF den Fund eines vielversprechenden Vorkommens an Seltenen Erden in der Region Karaganda vermelden. Vorläufige Schätzungen beziffern die Reserven am Standort Kuyrektykol auf 20 Millionen Tonnen, bei einer Tiefe von bis zu 300 Metern. Bei den Seltenen Erden soll es sich um Cer, Lanthan, Yttrium und Neodym handeln, dringend benötigte Rohstoffe die der Westen in der Hochtechnologie-Produktion, etwa im Bereich der erneuerbaren Energien verwendet.
Nicht nur im Bereich der Förderung von Rohstoffen rückt der sogenannte "Mittlere Korridor" in den Fokus europäischer Wirtschaftsinteressen. „Der Mittlere Korridor ist wahrscheinlich die faszinierendste Herausforderung“, sagte Italiens Regierungschefin Meloni. Gemeint ist die transkaspische Handelsroute, die China und Südostasien über Zentralasien mit Europa verbindet – schneller, stabiler und unabhängiger als maritime Routen.
Transport auf der Schiene soll verdoppelt werden
In Astana erklärte Nurlan Zhakupov, CEO des über 80 Milliarden US-Dollar schweren kasachischen Staatsfonds Samruk-Kazyna, dass heute über 90 Prozent des Gütertransports für Europa über den Schiffverskehr liefen und lediglich 4 Prozent über die Schiene. Etwa im Bereich Logistik möchte Kasachstan mehr mit europäischen Unternehmen zusammenarbeiten und beabsichtigt, über die voll im Besitz des Staatsfonds Samruk-Kazyna befindliche Kasachische Staatsbahn das Transitvolumen von Gütern im nächsten Jahr mit 50 Millionen Tonnen auf 8 Prozent zu verdoppeln. „Der Ausbau der transkaspischen Verkehrsroute soll dabei helfen, die Transportzeiten zwischen China und Europa von bis zu 60 Tagen per Schiff auf 14 bis 16 Tage per Bahntransport drastisch zu verkürzen,“ so Zhakupov. Ein strategischer Vorteil angesichts wachsender Unsicherheiten und deutlich längerer Transportwege im Seeverkehr.
Wirtschaftswachstum und Investitionsklima: Fakten, die überzeugen
Für deutsche Unternehmen ist diese Entwicklung in der Region ein spannender Wachstumsmarkt. Die geopolitischen Spannungen, Lieferkettenrisiken und der Trend zur Diversifizierung machen die Region zum strategischen Anker. Kasachstan ist dabei der zentrale Player: rohstoffreich, politisch stabil, reformorientiert.
Die kasachische Wirtschaft verzeichnete 2024 ein solides Wachstum von 5,1 Prozent, das Nachbarland Usbekistan gar 6,3 Prozent. Deutsche Direktinvestitionen erreichten in Kasachstan ein Volumen von rund 1,4 Milliarden Euro – Tendenz steigend. Besonders attraktiv für deutsche Firmen sind die Bereiche Logistik, erneuerbare Energien, Landwirtschaft und Digitalisierung. In letzterer sieht der ebenfalls beim Astana International Forum anwesende ehemalige Bundeskanzler Österreichs, Sebastian Kurz vielversprechendes Potenzial: „Heute entwickeln sich Länder wie Kasachstan zu Vorreitern in der Digitalisierung und im Bereich Künstlicher Intelligenz. In internationalen Rankings zur digitalen Verwaltung liegt Kasachstan ganz vorne. Das ist eine beeindruckende Entwicklung und zeigt neben den Feldern Rohstoffe und Logistik das große Potenzial der Region.“ So will das Land zur Dienstleistungsnation werden. Fintech, E-Government und IT-Dienstleistungen sind Teil der Wachstumsstrategie.
Kasachstan wirbt dabei mit verbesserten Investitionsbedingungen, wachsender Rechtssicherheit und gezielter Wirtschaftsansiedlung mittels Sonderwirtschaftszonen um internationale Partner. Das Astana International Finance Center (AIFC) etwa bietet mit einem eigenen Rechtsrahmen nach angelsächsischem Vorbild, Steueranreizen und Schiedsgericht eine Investitionssicherheit, wie sie in vergleichbaren Schwellenländern selten ist.
Praxisbeispiele: Made in Germany in Zentralasien
Rund 480 deutsche Firmen sind laut dem Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft heute bereits in Kasachstan. Da wäre etwa die Rhenus Group aus dem westfälischen Holzwickede. Rhenus betreibt Niederlassungen in Astana und Almaty und plant den Ausbau seiner Aktivitäten mit einem neuen Standort und Containerdepot in Karaganda. Zudem arbeitet das Unternehmen mit der kasachischen Eisenbahngesellschaft KTZ zusammen, um Logistikzentren in der Kaspischen Region zu entwickeln und den Frachtumschlag entlang des Mittleren Korridors zu erhöhen.
Ein weiteres Beispiel ist die HMS Bergbau AG, ein unabhängiges Rohstoffhandelsunternehmen mit Sitz in Berlin. Im Rahmen des Staatsbesuchs von Bundespräsident Steinmeier im Juni 2023 erwarb HMS Bergbau Mehrheitsbeteiligungen an zwei kasachischen Gesellschaften mit Abbau- und Aufsuchungslizenzen für Lithium, Kobalt, Nickel, Tantal und seltene Erden in der Region Alatau.
Auch die norddeutsche Enercon GmbH sieht in Kasachstan einen zukunftsträchtigen Markt. Im Rahmen eines Kooperationsprojekts mit dem kasachischen Energieministerium entstehen derzeit Windparks nahe Schesqasghan, die ab 2026 Ökostrom für mehr als 300.000 Haushalte liefern sollen.
Klima, Energie, Agrar, neue Technologien: Die strategischen Sektoren für die Zukunft
Die kasachische Regierung hat ambitionierte Klimaziele ausgerufen. Bis 2060 soll das Land klimaneutral wirtschaften. Dafür werden Investitionen in Wasserstoff, Windkraft, Solarenergie und grüne Technologien massiv gefördert, breites Know-how, das deutsche Unternehmen liefern können. Gleichzeitig bietet die kasachische Agrarlandschaft mit 80 Millionen Hektar fruchtbarem Boden ein enormes Potenzial. Laut dem ebenfalls beim AIF anwesenden Generaldirektor der Welternährungsorganisation (FAO) QU Dongyu sind Kooperationen mit Europa essenziell, um Wasserknappheit, Bodenerosion und Ernährungssicherheit gemeinsam zu adressieren. Technologisch führende deutsche Firmen, ob im Bereich Speichertechnologie, Wasserwirtschaft, Umwelttechnik bis hin zur Künstlichen Intelligenz können hier wertvolle Partner sein.
Und das auch bei modernen urbanen Lösungen: Immer mehr Menschen in Kasachstan zieht es vom Land in die Städte des rund 20 Millionen Einwohner umfassenden neuntgrößten Flächenstaats der Welt. Angesichts des starken Zuzugs droht vor allem Almaty, das wirtschaftliche Zentrum im Süden des Landes, zu kollabieren. Denn die wachsende Bevölkerung bedeutet auch mehr Verkehr, schlechtere Luft und höhere Mieten. Nun will die Regierung das gegenwärtige wirtschaftliche Momentum nutzen und Abhilfe schaffen. Etwa 60 Kilometer nördlich von Almaty ist mit Alatau eine Smart City geplant. Die geplante Stadt für etwa 1,9 Millionen Menschen soll nachhaltig und digital vernetzt sein.
Die Einladung nach Kasachstan steht. „Wir wollen mehr mit Europa zusammenarbeiten und bieten viele Möglichkeiten“, wirbt Zhakupov. Sein Staatsfonds Samruk-Kazyna plant für 2025 die Privatisierung weiterer Großunternehmen, unter anderem aus der Energie-, Transport- und Kommunikationsbranche. Damit soll die Staatsquote unter 14 Prozent gesenkt werden – ein beispielloser Schritt zur Marktliberalisierung in der Region Diese Umstrukturierung öffnet deutschen Unternehmen Wege in strategisch zentrale Sektoren.

Fazit: Jetzt einsteigen, wenn die Weichen gestellt werden
Kasachstan bietet dem deutschen Mittelstand und darüber hinaus ein dynamisches Umfeld mit Wachstumspotenzial, politischer Stabilität und strategischer Relevanz. Während andere noch zögern, zeigt Italien unter Giorgia Meloni bereits, wie wirtschaftliche Diplomatie konkret aussieht. Deutsche Unternehmen sollten schnell aufschließen. Wer heute in Kasachstan investiert, profitiert nicht nur von attraktiven Renditen, sondern gestaltet aktiv die neue Wirtschaftsordnung Eurasiens mit. Die Seidenstraße ist zurück – und diesmal führt sie über Astana.