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Einkauf, Marketing und Marken > Lufthansa und die Zukunft des Fliegens

Lieber Malle statt Berlin

Lufthansa sieht immer weniger lukrative Ziele in Deutschland. Wachstum verspricht das Touristikgeschäft. Konzernchef Spohr beklagt die unterschiedlichen Umweltauflagen und hofft auf einen EU-Kurswechsel.

Lufthansa-Chef Carsten Spohr
Lufthansa-Chef Carsten Spohr setzt auf Urlaubsdestinationen statt innerdeutsche Flüge. Lieferprobleme und Umweltauflagen stellen die Airline vor Herausforderungen. Ein EU-Kurswechsel könnte entscheidend sein.Bildnachweis: picture alliance/dpa | Marcus Brandt

„Wir befinden uns in einer spannenden Phase“, umschreibt Lufthansa-Chef Carsten Spohr die Lage der Airline. Nach einem glänzenden Jahr 2023 muss der Luftfahrtkonzern in diesem Jahr wohl etwas kleinere Brötchen backen. Erst die Streiks und nun eine unerwartet geringere Nachfrage drücken das Geschäft. Hinzu kommt, dass Lufthansa nicht so viele Flieger in die Luft bekommt, wie eigentlich geplant. Der Grund: Wartungsstau und eine verzögerte Auslieferung neuer Maschinen. Es fehle an allem, bestätigt Spohr die Lieferprobleme im Gespräch mit Journalisten das Wirtschaftspresseclubs Stuttgart. „So stehen 30 neue Maschinen in Spanien, weil Sitze oder Küchen fehlen.“ Die nagelneuen Flieger werden deshalb unter der iberischen Sonne zwischengeparkt.

Die Probleme der Lieferanten werden die geplante Modernisierung der Lufthansa auf Jahre hinweg belasten. Eigentlich hat die Airline – Laut Spohr jetzt Nummer vier in der Welt – bis Ende der Dekade 250 neue Maschinen geordert. Das entspricht einem Drittel der bisherigen Flotte. Inzwischen rechnet Spohr mit Verzögerungen von bis zu drei Jahren. So hat Boeing kürzlich angekündigt, deutlich weniger Maschinen auszuliefern, als ursprünglich geplant. Der US-Konzern steht wegen anhaltender Qualitätsproblemen unter der verschärften Beobachtung der Behörden. Aber auch Konkurrent Airbus kommt mit der Fertigung nicht hinterher. Es fehlen Teile vom Sitz bis zum fertigen Triebwerk. Das verzögert auch die Wartung der bestehenden Flotte. Spohr lässt zwischen den Zeilen erkennen, dass die Verknappung des Fliegerangebots auch einen Vorteil hat. Weniger Maschinen bedeuten einen geringeren Preisdruck durch die Billigkonkurrenz.

Die Modernisierung der Flugzeuge ist ein Teil der Strategie, um die Kosten zu drücken. Die Maschinen benötigen weniger Kerosin und verursachen somit auch weniger CO2-Ausstoß. Der wird in der EU zunehmend teuer. Die Kommission will zudem auch Belastungen besteuern wie Rußpartikel, Schwefel- und Stickoxide sowie Wasserdampf, die zur Bildung von Kondensstreifen führen. Ab nächstem Jahr sollen die Airlines auch verstärkt nachhaltige Kraftstoffe tanken. „Nur, die gibt es gar nicht“, erklärt Spohr. Von der benötigten Menge seien nur 0,2 Prozent Bio-Kerosin, das aus Abfällen und Altfetten erzeugt wird. Die Industrie müsse also komplett neue Anlagen erst erreichten. Jede Stunde verbraucht die Lufthansa etwas 1000 Liter Kerosin. An eine eigene Produktion - wie die beispielsweise Porsche plant - denke man angesichts der großen Mengen nicht, so der Lufthansa-Chef.

Spohr will den Kurs der EU mittragen – prinzipiell. „Dann muss es aber auch alle gleich treffen:“ Das ist seiner Ansicht nach nicht gegeben. Die Konkurrenz bietet die lukrativen Langstreckenflüge ab Istanbul oder Doha an und werde so von den europäischen Umweltbestimmungen nicht belastet. Bis 2030 werde jedes Ticket mit 230 Euro an Umweltauflagen verteuert. In Istanbul seien es nur 30 Euro. So entstehe eine nicht akzeptable Wettbewerbsverzerrung, die viele deutsche Arbeitsplätze gefährde.

„Da befinden wir uns in einer spannenden sozialgesellschaftlichen Diskussion“, stellt Spohr fest. In den USA würden klimafreundliche Kraftstoffe öffentlich gefördert, was den Ausbau der Produktion erleichtere und die Kosten drücke. Die EU sei hingegen der Meinung, der Endkunde müsse die Mehrkosten bezahlen. Das funktioniere nicht, wie auch das Beispiel E-Mobilität zeige. Spohr sieht allerdings Anzeichen, dass die neue EU-Kommission den bisherigen Kurs überdenkt und die bisher geplanten Zusatzkosten wieder einkassiert.

Erhebliches klimawirksames Potential sieht Spohr in Europa auch ohne neue Normen. In den USA sei man quer durchs Land auf gerader Linie unterwegs, erläutert der ehemalige Pilot. „In Europa fliegen unsere Maschinen zehn Prozent der Zeit Umwege aufgrund der unterschiedlichen Flugsicherungen.“ Hier könne man leicht erhebliche Mengen Treibstoff einsparen. Das werde jedoch durch nationale und gewerkschaftliche Interessen verhindert.

Die Lufthansa will dem steigenden Kostendruck dadurch begegnen, indem vor allem Kurzstrecken auf den Prüfstand kommen. So fliegt die Airline beispielsweise Friedrichshafen oder Nürnberg nicht mehr an. Zudem wurden die innerdeutschen Verbindungen verknappt. Das gehört zur grundsätzlichen Strategie Spohrs, der die Airline unabhängiger vom deutschen Markt machen will. Zudem sind Inlandsflüge besonders teuer: Jede Landung in Deutschland koste 4500 Euro. In Spanien berechnen die Flughäfen nur 600 Euro.

Laut Spohr machen Kerosin und Flughafengebühren rund 60 Prozent der Gesamtkosten aus. „Nur den Rest können wir mit eigenen Maßnahmen beeinflussen“, so Spohr. Dazu gehören jeden Monat eine halbe Milliarde Euro für die Gehälter der mehr als 100.000 Beschäftigten. Und es sollen noch mehr werden. Jeden Monat will Lufthansa 1000 neue Mitarbeiter einstellen. „Die meisten in Deutschland, wie Spohr betont.

Wachstum verspricht ohnehin vor allem das Touristikgeschäft. Die Menschen würden nach der Pandemie die zurückgewonnene Bewegungsfreiheit wieder sehr nutzen, so Spohr. So fliegen die Maschinen mit dem Kranich sowie deren Billig-Töchter wie Discovery oder Eurowings lieber nach Mallorca oder Mykonos statt nach Berlin. Bei den Töchtern fliegen die Kunden billiger aber auch die Beschäftigten arbeiten – im Vergleich zu den Kollegen bei Lufthansa – Economy. Bei einem Piloten kann der Unterschied bis zu 100.000 Euro betragen. Inzwischen fliegen 5.000 der insgesamt 11.000 Piloten unter diesen Konditionen – mit Jahresgehältern von 200.000 Euro, wie der Konzernchef den Gehaltsunterschied relativiert. Deshalb sei die Zahl der Bewerbungen immer noch sehr groß.

Doch bei allen Sparbemühungen im Inland: Der Lufthansa-Boss ist inzwischen vorsichtig geworden, weitere Ziele in Deutschland zu streichen. Das hat bereits viel Ärger mit den Geschäftskunden eingebracht, die tragen immerhin die Hälfte des Umsatzes beitragen. Zudem schläft der Wettbewerb nicht: So haben KLM und Air France schnell auf den Lufthansa-Abschied in Nürnberg reagiert und ihr Angebot ausgebaut. Sie fliegen nun die Manager von Siemens, Puma oder Adidas nach Amsterdam und Paris und von dort in die ganze Welt. Zwar bietet Lufthansa eine Busverbindung von Nürnberg nach München an. Doch diese Alternative, so ist zu hören, kommt offenbar nicht wirklich gut bei den Kunden an. Deshalb will Lufthansa die Verbindungen von Stuttgart nach Frankfurt oder München beibehalten.

Ein zusätzliches Standbein verspricht sich Lufthansa Technik von der Übernahme der italienischen ITA, die Anfang Juli besiegelt werden soll. Die Nachfolgerin der insolventen Alitalia bringt Rom als attraktives Drehkreuz ein. „Italien ist der zweitwichtigste Markt, Die meisten Amerikaner kommen über Rom nach Italien“, erklärt Spohr den Sinn der Übernahme. Allerdings muss Spohr das Geschäft der ITA noch auf Vordermann bringen. Nach Schätzungen von Marktbeobachtern beträft deren Marktanteil in Rom derzeit nur kümmerliche 13 Prozent. Da hat ITA noch viel Luft nach oben und Spohr eine beachtliche Baustelle vor sich.

Neue Geschäftsfelder verspricht sich die Lufthansa auch in Zusammenarbeit mit dem Bund. So übernimmt der Kranich-Konzern die Wartung der schweren Transporthubschrauber Chinook und will mit Rheinmetall auch die künftigen Kampfjets F35 betreuen. Zudem entwickelt Lufthansa mit am Aufklärungssystem Pegasus und rüstet Maschinen für die AWACS-Nachfolger E7 um. Auch die Wartung der Flugbereitschaft der Bundesministerien übernimmt die Fluglinie. Die war zuletzt ins Gerede bekommen, weil vor allem Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) mehrmals wegen defekter Maschinen gestrandet ist. Die Lufthansa hat hier mehr wohl durch den verstärkten Einsatz Erfahrung. Während eine Staatsmaschine höchstens ein paar Tage in der Woche in der Luft ist liegt ein Jumbo mit dem Kranich im Schnitt 16 Stunden – am Tag.

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