„Make in India Mittelstand“ vereinfacht einiges, aber nicht alles
Im vierten Jahr hilft „Make in India Mittelstand“ deutschen Unternehmern auf ihrem Weg nach Indien. Einige wichtige Lösungen bleibt das Programm aus Sicht von Mittelständlern jedoch schuldig.
An Indien scheiden sich die Geister. Kulturelle und praktische Hürden machen ein Engagement unprofitabel, klagen viele Mittelständler. Doch zugleich wollen sie Unternehmen in dem Wachstumsmarkt nicht gänzlich als Abnehmer ignorieren.
Stetig, aber sicher nimmt das Land seinen Skeptikern den Wind aus den Segeln. Erst im November stufte die US-amerikanische Ratingagentur Moody’s Indien das erste Mal seit 14 Jahren von Baa3 auf Baa2 hoch und bewertet die Volkswirtschaft nun als „stabil“. „Wirtschaftliche und institutionelle Reformen erhöhen mittelfristig Indiens Wachstumspotential“, heißt es in der Begründung der Ratingagentur. Schon jetzt wächst die Wirtschaft konstant. 2017 lag das Bruttoinlandsprodukt bei 2,4 Milliarden US-Dollar, ein Plus von 7,7 Prozent zum Vorjahr.
Indische Botschaft koordiniert „Make in India Mittelstand“
Das eigene Image poliert Indien zudem mit dem Programm „Make in India Mittelstand“ (MIIM) auf, das mittlerweile im vierten Jahr läuft und Erfolgsgeschichten sammelt. Ziel der Initiative ist es, speziell deutschen Mittelständlern den Weg auf den Subkontinent zu ebnen. Interessierte Firmen erhalten im Rahmen von MIIM eine Art Geleit durch den indischen Behörden- und Genehmigungsdschungel. Statt an die Behörden vor Ort wenden sich deutsche Unternehmer an die indische Botschaft in Deutschland, die alle weiteren Schritte koordiniert und begleitet. „Dadurch können Firmen mit deutlich höherer Effizienz ihre geplanten Indien-Aktivitäten umsetzen – im Vergleich zu einer Durchführung der Prozesse im Alleingang“, erklärt Daniela Bartscher-Herold, Partnerin bei EAC International Consulting, das die indische Botschaft bei der MIIM-Durchführung unterstützt. In dieser Funktion koordiniert und veranstaltet EAC regelmäßig Workshops, vermittelt Experten und liefert aktuelle Markt-, Industrie- und Sektorenberichte zum indischen Markt.
Unternehmer warnt: Indien ist nichts für Anfänger
Zu den ersten Unternehmen, die am MIIM-Programm teilnahmen, gehörte der Verpackungsmaschinenhersteller Uhlmann Pac-Systeme aus dem baden-württembergischen Laupheim. Auf einer Informationsveranstaltung sei er auf die Initiative aufmerksam geworden, erinnert sich Holger Hochdorfer, Leitung Business Development und Projektleiter für die Gründung der Uhlmann India Pvt. Ltd. Schnell reichte er bei der indischen Botschaft in Berlin eine Bewerbungsmappe ein. „Um den Zuschlag zu erhalten, sollte ein Unternehmen aber bereits Pläne für sein Indien-Engagement in der Schublade haben“, rät er anderen Interessenten. Für unvorbereitete Unternehmer sei dies nicht die beste Erstanlaufstelle.
Hochdorfer war zum Zeitpunkt der MIIM-Einreichung ein gebranntes Kind. Mehrere Versuche seines Unternehmens, in Indien nachhaltig Fuß zu fassen, waren nur bedingt erfolgreich. Hauptproblem damals: Uhlmann wollte den indischen Markt aus der Ferne bearbeiten. „Doch der indische Kunde erwartet, dass Sie rund um die Uhr für ihn erreichbar sind, wenn er ein Problem hat“, sagt Hochdorfer. „Das können Sie von Deutschland aus nicht leisten, schon wegen der unterschiedlichen Zeitzonen.“
Mit dem Rückenwind, den Hochdorfer durch MIIM erfuhr, errichtete der Mittelständler daher eine Vertriebs- und Serviceniederlassung vor Ort. Von der 3-Millionen-Einwohner-Stadt Pune aus möchte Uhlmann den gesamten indischen Markt bedienen, 20 Prozent Marktanteil sind das Ziel. Dafür nahm das Unternehmen bislang einen Millionenbetrag in die Hand.
MIIM will auch Expansionen vereinfachen
Aus Sicht der indischen Regierung hat MIIM im Fall des Uhlmann-Engagements genau ins Schwarze getroffen. Denn mittelbares Ziel des Programms ist, den Anteil des produzierenden Gewerbes an der Wirtschaft zu erhöhen. Derzeit trägt der Dienstleistungssektor den größten Anteil zum BIP bei. Ist ein deutscher Mittelständler erst einmal vor Ort angesiedelt, ist dessen Expansion nur noch eine Frage der Zeit, so das Kalkül der Regierung. Bei Uhlmann ging diese Rechnung auf: Nächster Schritt des Unternehmens ist laut Hochdorfer ein Standort für die Produktion von Formatteilen.
Verantwortlich für den Erfolg von MIIM und die generell positive Dynamik auf dem Subkontinent ist Indiens Premierminister Narendra Modi, glaubt Michael Wekezer, Berater bei Rödl & Partner vor Ort. "Zum ersten Mal ist in Indien ein Mann an der Macht, der tatsächlich eine Agenda für die soziale Entwicklung durch mehr Wirtschaftswachstum verfolgt." Viele Reformen hat er bei seinem Amtsantritt angekündigt, einige bereits umgesetzt. Dazu zählt die vereinfachte Gründung einer Private Limited Company (vergleichbar mit der deutschen GmbH), die im Sommer 2017 beschlossen wurde. Dementsprechend müssen Unternehmensgründer weniger Unterlagen einreichen, die Bearbeitungsdauer sinkt deutlich. In der internationalen Wirtschaft stieß dies auf großen Zuspruch. Auch der Korruption will Modi entgegenwirken, die laut Wekezer nach wie vor an der Tagesordnung ist. Mit der Abschaffung großer Banknoten im Herbst 2016 ist es der Regierung gelungen, einen Großteil des indischen Zahlungsverkehrs auf elektronische – und damit transparentere – Wege zu leiten.
Unterschiedliches Qualitätsverständnis indischer Partner
Ein Selbstläufer ist der Markteinstieg in Indien aber auch mit MIIM nicht, sagt Volkmar Klaus, Geschäftsführer von Flanschenwerk Thal. Das Unternehmen aus dem thüringischen Unstrut-Hainich-Kreis fertigt seit mehr als 40 Jahren Ringe, Roden und Flanschen unter anderem für Windkraftanlagen. Seit Februar 2017 arbeitet das Unternehmen an einer Kooperation in Indien. Mit einem Anlagenbau-Zulieferer beabsichtigt Klaus die Gründung eines Joint Ventures im westindischen Vadodora. Zwar habe ihm als MIIM-Teilnehmer die indische Botschaft für sämtliche Genehmigungen den richtigen Ansprechpartner genannt und den Kontakt vermittelt, lobt Klaus. „Doch blieben Probleme, bei denen ich auf mich selbst gestellt war.“ Herausfordernd sei unter anderem das unterschiedliche Qualitätsbewusstsein zwischen ihm und dem Joint-Venture-Partner. „Die Kollegen verstehen nicht, dass Qualität mehr als hübsche Optik ist“, bemängelt Klaus, „sondern auf in Normen eingebundenen Qualitätsstandards beruht.“
Ein weiteres Problem, das MIIM deutschen Unternehmern in Indien nicht abnimmt, ist das Finden qualifizierten Personals. „Facharbeiter wie bei uns, die gibt es in Indien nicht. Die Leute kommen von der Straße und werden angelernt“, sagt Klaus. Experten gehen davon aus, dass lediglich 5 Prozent aller indischen Erwerbstätigen über eine berufliche Qualifikation verfügen, ein duales Ausbildungssystem wie in Deutschland gibt es nicht.
Immerhin die theoretische Ausbildung sei bei Ingenieuren gut, berichtet Uhlmann-Projektleiter Hochdorfer. „Und sie sind hochmotiviert.“ Das Training on the Job müsse jedoch der Arbeitgeber übernehmen. Um einen hohen Standard der Ausbildung garantieren zu können, fliegt Uhlmann seine indischen Mitarbeiter dafür nach Deutschland.
MIIM hilft nicht beim Finden indischer Fachkräfte
Freilich steigt durch die gezielte Ausbildung im (deutschen) Unternehmen der Wert des jeweiligen Mitarbeiters auch für Wettbewerber. Da die Loyalität indischer Arbeitnehmer zu ausländischen Arbeitgebern sehr gering sei, berge jede Ausbildung daher auch Risiken, gibt Volkmar Klaus zu bedenken. „Wenn mein Nachbar seinen Angestellten 1.000 Rupien mehr im Monat zahlt, ist der Mitarbeiter weg.“
Auf diese Probleme versucht MIIM deutsche Mittelständler zumindest vorzubereiten – wenn die Initiative tatsächliche Lösungsansätze auch schuldig bleibt. In monatlich organisierten Webinaren geht es um steuerliche, rechtliche und infrastrukturelle Besonderheiten ebenso wie um die Netzwerkkultur vor Ort.
324 mittelständische deutsche Unternehmen haben sich bereits an die MIIM-Stelle der indischen Botschaft gewandt, seit die Initiative im September 2014 an den Start ging, berichtet Programm-Beraterin Bartscher-Herold. 104 von ihnen seien inzwischen als offizielle Programmteilnehmer registriert, 65 davon in einem fortgeschrittenen Investitionsstadium in Indien. „Auf 834 Millionen Euro summieren sich die angekündigten Investitionen“, freut sich Bartscher-Herold. Grundlage also für ein weiter stabiles Wirtschaftswachstum auf dem Subkontinent.
Der Text gehört zu einem Thema aus der Markt-und-Mittelstand-Ausgabe 02/2018. Hier können Sie das Heft bestellen und „Markt und Mittelstand“ abonnieren.