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Zukunftsmärkte > Gewinner der Krise

Man gönnt sich ja sonst nichts

Die Krise hat auch Gewinner. Chronometer und Ferraris, Appartements mit Hafenblick und Edelpizza: Das Geschäft mit den teuren Dingen des Lebens boomt.

Glänzende Geschäfte: Vor allem mit dem Top-Luxussegment, zu dem Fahrzeuge wie der Maybach gehören, verdient Mercedes Geld. Taschen und Schuhe sind da nur Beiwerk.© Carscoops.com

Krise ist die Armut der Anderen. Wer bei Henry’s in Kampen auf Sylt eine Pizza „Tippi Toppi“ bestellt, hat keine finanziellen Sorgen. Für die mit Hummer, Languste, Lachs, Beluga Kaviar und Trüffel belegte Teigplatte verlangt Dieter Gärtner einen satten Preis: 999 Euro. Anfangs habe er gar nicht damit gerechnet, dass die zweitteuerste Pizza der Welt immer wieder Abnehmer finde, erzählt der Wirt. Wie man sich täuschen kann. Kundschaft reist sogar aus den USA an. Erst vor Kurzem sei jemand da gewesen, der zuvor in New York ein Eis für 1000 Dollar probiert habe, sagt Gärtner. In der US-Metropole wird auch eine Pizza mit einem Belag aus Echtgold serviert – für 2000 Dollar.

Wer hat, der hat: „Die steigenden Preise beeinträchtigen vor allem die Mittelschicht, die Luxus zu besonderen Anlässen konsumiert“, erklärt Fernando Fastoso, der an der Hochschule Pforzheim die erste Luxus-Professur Deutschlands innehat. „Weniger Auswirkungen kann man beim Konsum der Oberschichten erwarten, weil sie eine höhere wirtschaftliche Stabilität genießen.“

Es ist kein Zufall, dass der Professor ausgerechnet vom Nordschwarzwald aus den Luxusmarkt erforscht. Hier ist ein Teil der deutschen Schmuck- und Uhrenindustrie beheimatet. Die Geschäfte laufen gut. Im ersten Halbjahr lagen die Umsätze der Branche über denen von 2019, wie der Bundesverband Schmuck und Uhren berichtete. Die Teile aus der Pforzheimer Uhrenindustrie kommen beispielsweise in edlen Zeitmessern zum Einsatz, die schnell Preise eines Mittelklasseautos und mehr erreichen.


Uhren begehrt wie nie

Marken wie Rolex oder Patek Philippe sind so begehrt wie nie. Der Fachhandel hat derzeit Mühe, überhaupt noch neue Uhren zu bekommen, denn die Hersteller halten das Angebot bewusst knapp. Das führt dazu, dass gebrauchte Luxusuhren gefragt sind. Auf Online-Plattformen wechseln Chronometer der Oberklasse im Wert von insgesamt 15 Milliarden Euro jährlich den Besitzer. Nummer eins in diesem Geschäft ist Chrono24 aus Karlsruhe. Eine bereits getragene „Audemars Piguet Royal Oak Offshore“ ist dort für 99.000 Euro zu haben. Wem das zu popelig ist, kann sich für knapp 1,1 Millionen Euro eine „Rolex Daytona Rainbow Pave“ ums Handgelenk legen – oder in den Safe. Nach eigenen Angaben hat Chrono24 jährlich eine halbe Million Uhren im Gesamtwert von vier Milliarden Euro im Angebot.

Angefacht hat die Nachfrage nach den analogen Chronometern unter anderem eine Kundschaft, die in der digitalen Welt sehr reich geworden ist. Die Bitcoin-Millionäre – oft erst zwischen 18 und 25 Jahre alt – wollen zeigen, was sie haben. „Man tauscht unsichtbaren gegen sichtbaren Wohlstand. Und weil die meisten Kryptomillionäre Männer sind, sind Uhren ihre erste Wahl“, erläutert Tim Stracke, Co-Chef von Chrono24.

Seit Bitcoins deutlich an Wert verloren haben, sinken auch die Preise für gebrauchte Uhren wieder. Zudem wirke sich auch hier die restriktive Geldpolitik der Notenbanken aus, meint Uhrenanalyst Patrik Schwendimann von der Zürcher Kantonalbank. Die Marktbeobachter sind sich einig: Im Sommer ist auf dem Markt der Occasion-Uhren eine Blase geplatzt. Das hat Folgen: Der Schweizer Chrono24-Konkurrent Chronext mit Sitz in Zug musste am Standort Köln 40 der 150 Beschäftigten entlassen. Der Börsengang ist abgesagt.

Hingegen brummt der Markt für teure Autos so laut wie die übermotorisierten Sportkarossen selbst. Das Geschäft von Ferrari legt beispielsweise in diesem Jahr voraussichtlich um 25 Prozent zu. Und die Erwartungen am Stammsitz im italienischen Maranello gehen von einem weiteren Wachstum aus. Bis 2026 soll der Umsatz auf 6,7 Milliarden Euro steigen – ein Plus von 40 Prozent im Vergleich zum erwarteten Geschäft für 2021. Konkurrent Lamborghini aus Modena meldete schon im Frühjahr: „Die Produktionsmenge der kommenden zwölf Monate ist ausverkauft.“

Massenmodelle gestrichen

„ Teuer“ läuft auch bei den deutschen Herstellern. Porsche hat im ersten Halbjahr den Umsatz um 8,4 Prozent auf knapp 18 Milliarden Euro gesteigert. In „Luxury“ wurden die Segmente bei Mercedes umfirmiert und verdeutlichen so die neue Ausrichtung. Trotz fehlender Chips und unsicherer Zeiten verbucht der Stuttgarter Konzern vor allem mit den ganz teuren Modellen der Sparte „Top-End-Luxury“ glänzende Geschäfte. Die Produktion der Massenmodelle A- und B-Klasse wird hingegen eingestellt. Der Absatz von Mercedes liegt 21 Prozent über dem Topjahr 2021. Die Konkurrenten BMW und Audi zielen ebenfalls verstärkt auf die betuchte Kundschaft, der es nichts ausmacht, wenn es ein bisschen teurer wird.

Auch die Luxusappartements im Überseequartier in der Hamburger Hafencity verkaufen sich hervorragend – sogar schon vor der Fertigstellung. Dabei kostet der Quadratmeter 11.500 Euro. Allerdings wird im hochpreisigen Segment inzwischen auch etwas genauer hingeschaut. „Wir sehen also einen geteilten Markt. Obwohl das Angebot an Premiumobjekten durchaus gegeben ist, steht für Käufer im Moment die Qualität absolut im Vordergrund, für die nach wie vor hohe Preise zu erzielen sind“, teilt der Immobilienspezialist Sotheby’s International Realty mit. Bei Topgrundstücken gehe die Nachfrage hingegen extrem zurück. Hier machten sich die fehlenden Arbeitskräfte und Materialien bemerkbar. Denn wer ein Grundstück hat, will bauen. Geht das nicht, lohnt sich wohl auch das Grundstück nicht. 

Doch die krassen Unterschiede zwischen den sehr Reichen und den Zeitgenossen mit überschaubarem Einkommen bleiben. Während beispielsweise in der Stuttgarter Königstraße die inflationsgeplagten Kunden immer seltener die Kaufhäuser und Einzelgeschäfte besuchen, herrscht in den Edelboutiquen und den Ablegern der Luxusmarken, die in der benachbarten Stiftstraße zu finden sind, weiter gute Stimmung.

 

Satter Zuwachs bei LVMH

Ein ähnliches Bild bieten die Nobelgeschäfte in der Düsseldorfer Königsallee, der Münchener Maximilianstraße oder dem Kurfürstendamm in Berlin. Inflation und explodierende Energiekosten kennt man hier wohl nicht. Die steigenden Preise für Vorprodukte und Rohstoffe können die Hersteller von Luxusartikeln offenbar problemlos an ihre wohlhabende Kundschaft weitergeben.

Entsprechend verdienen die Nobelmarken. So hat der wertvollste Luxuskonzern der Welt, LVMH Moët Hennessy – Louis Vuitton (LVMH) aus Paris, mit seinen 75 Marken wie Bulgari, Christian Dior, Fendi, Kenzo oder TAG Heuer im dritten Quartal mit 19,76 Milliarden Euro 19 Prozent mehr umgesetzt als ein Jahr zuvor. Der französische Wettbewerber Hermès setzte sogar knapp ein Drittel mehr um.

Allein in Deutschland wird im Luxussegment für dieses Jahr ein Marktvolumen von elf Milliarden Euro erwartet. Weltweit, so schätzt die Beratungsgesellschaft Bain, haben die 270 begehrtesten Marken ein Marktvolumen von 223 Milliarden Euro. Andere Schätzungen beziffern den Luxusmarkt auf bis zu 300 Milliarden Euro. Es hängt eben immer davon ab, was man alles dazuzählt.

Die europäischen Luxushersteller profitieren zudem vom schwachen Euro. Produziert wird größtenteils auf dem alten Kontinent. Verkauft werden die Produkte hingegen oft im Ausland – und dort werden sie mit dem aktuell starken Dollar bezahlt. „Wir verkaufen aktuell vier Mal so viel an US-Bürger wie im vergangenen Jahr“, verdeutlicht Jean-Marc Duplaix, Finanzchef des Kering-Konzerns, zu dem Luxusmarken wie Gucci, Yves Saint Laurent und Balenciaga gehören.

Dabei vermissen die Händler lieb gewonnene Kundschaft. Neben den kaufkräftigen Russen sind in den europäischen Geschäften auch die spendablen Chinesen ausgeblieben, die coronabedingt derzeit kaum nach Europa reisen. Doch Katerstimmung kommt deshalb nicht auf. „Der Luxusmarkt ist auch weniger anfällig für solche Veränderungen, denn er ist kein Monolith. Die globale Luxusnachfrage kann von Regionen, in denen sich die wirtschaftliche Lage jeweils besser entwickelt, sinkende Nachfrage in anderen Regionen ausgleichen“, erläutert Luxus-Experte Fastoso. Das bestätigt Kim-Eva Wempe, Eigentümerin einer der fünf größten Juwelierketten der Welt. Die durchaus hohen Umsätze durch die Kundschaft aus Fernost seien durch die Nachfrage aus dem deutschsprachigen Raum mehr als ausgeglichen worden.

Aber nicht nur die Superreichen gönnen sich mitten in der Krise das eine oder andere Extra. „Lippenstift-Effekt“ nennen die Marketingprofis eine Nachfrage, die besonders dann steigt, wenn die Zeiten nicht wirklich prickelnd sind. Lidschatten, Nagellack und Lippenstifte – all solche dekorativen Kosmetikprodukte erzielten in der ersten Jahreshälfte ein Plus von 15,7 Prozent. Der Absatz von Düften – dem Äquivalent für Männer – legte sogar um 56 Prozent zu.

Das Bedürfnis, in wirtschaftlich schlechten Zeiten gepflegt aufzutreten, ist nicht neu. Diese „Jetzt erst recht“-Haltung hat die Wissenschaft bereits für die Zeit während der Großen Depression in den 1930er-Jahren oder nach den Terroranschlägen vom 11. September untersucht. Im Krisenjahr 2009 konnte die Körperpflege- und Kosmetikbranche im allgemeinen Abschwung überraschend ihr Geschäftsniveau halten, während dekorative Kosmetik sogar um fünf Prozent wuchs. Ausnahme war die Corona-Krise: Denn bei Lockdown mit Maske macht auch der tollste Lippenstift einfach keinen Eindruck.

Welcher Effekt die Geldbörsen öffnet, ist Händlern, Gastronomen und Dienstleistern einerlei. Bei Henry’s hofft man, dass die Edelpizza weiter etwas die Umsätze aufpäppelt, denn insgesamt ist die Krise auch auf Sylt angekommen. Der Laden habe Probleme, verrät Wirt Gärtner dem Magazin „Moin.de“. Er habe schon Ersparnisse, die für den Ruhestand gedacht waren, anbrechen müssen. Auch im Luxussegment ist eben nicht alles „Tippi Toppi“.  

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