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Einkauf, Marketing und Marken > Marken reloaded

Wie Melitta Group, Bad Orb sowie Stadt und Messe Frankfurt sich neu erfinden

Marken sind Identität und können von der Talfahrt zum Triumph führen. Wie Marken sich wandeln und wie es gelingt, aus Krisen gestärkt hervorzugehen. Und dabei möglichst alle mitzunehmen.

Lady Amanda Kayne als Marke: Ein Beispiel dafür, wie kreative Neuinterpretation in der Unternehmenswelt zur erfolgreichen Positionierung führen kann.(Foto: grossaufnahme)

Nachhaltigkeit. Das war auf jeder Führungskräftekonferenz das Thema. „Ich konnte es teils selbst nicht mehr hören“, erinnert sich Katharina Roehrig. Dann kam sie zur Melitta Gruppe, als damals erste Geschäftsführerin für Kommunikation und Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit im Unternehmen voranzutreiben und zum Teil der Marke Melitta werden zu lassen, dafür war und ist Überzeugungskraft nötig. Überall im Unternehmen fand Roehrig nach ihrem Einstieg kleine Königreiche vor, wie sie berichtet, aus denen heraus die Verantwortlichen ungern treten wollten. „Wie bringe ich nun zwei Menschen auf einen Nenner, die meine Chefs sind und nicht auf einem Nenner sind?“ fragte sie sich. „Und wie zeige ich: ‚Das kostet nicht nur Geld, sondern bringt auch was?‘“ Denn natürlich sei da immer auch die Frage der Ziele. „Wir haben ja auch KPIs, die wir messen können“, sagt Roehrig.

Bei Roehrig war nicht nur eine Marke im Wandel, sondern durch den Wandel auch nicht immer leicht fest zu machen, wofür sie steht. Das Gefühl teilen viele Unternehmer. Auf den Future Days von Markt und Mittelstand in Frankfurt am Main gewährten Teilnehmer persönliche Einblick, wie sie enge Denkschemata aufsprengen und ihre Marke nicht nur als verkaufswirksames Asset nutzen, sondern zunehmend für mehr Resilienz in der und gegen die Krise.

Zauberwort Aktivierung

Bei Roehrig war das Zauberwort Aktivierung. „Man fängt ja als Führungskraft im Verborgenen an und muss Dinge durchdenken“, sagt Roehrigs Berater in dieser Transformation bei Melitta, Tell Münzing, Geschäftsführer von 1Transform. Die Frage aus seiner Sicht: „Wie bekommen wir von Einzellogiken her etwas Übergeordnetes hin?“

Mit Münzings Hilfe fand Roehrig die Antwort. Nicht nur darin, als Führungskraft Zuhören zu lernen, berichtet sie, sondern auch in der Suche nach der Antwort auf ganz praktische Fragen. „Wir haben Kunststoff als einen Sekundärrohstoff in Indien“, gibt Roehrig ein Beispiel. Diesen gemeinsam auf den Müllhalden sammeln zu gehen, sei ein Türöffner in Richtung Nachhaltigkeit bei Melitta gewesen. „Menschen haben angefangen, Ideen zu teilen“, sagt sie.

Wir machen alles – bis hin zu Einlegematten für Särge

Die Sache breite sich aus wie die Wellen um einen Stein, den man ins Wasser werfe, beschreibt Roehrig. „Es geht darum, immer mehr Menschen zu begeistern“, sagt sie. „Dann funktioniert es irgendwann auch.“

Ein Leuchtturmprojekt in Punkto Nachhaltigkeit waren die Tapetenfliesen. Nachhaltigkeit auch hier heißt Wiederverwendung. „Wir machen alles – bis hin zu Einlegematten für Särge.“ Oder Matten auf Rennbahnen, damit man auch im Winter trainieren kann. „Allein damit verdienen wir einen zweistelligen Millionenbetrag“, sagt Roehrig. „Ab da hat mir jeder CEO zugehört.“ Und erst dann kann Nachhaltigkeit – oder welcher Wert auch sonst – überhaupt nach außen auf die Marke abstrahlen.

 

 

Eine Stadt als Marke?

Eine Herausforderung auch, wenn es um die Regionalmarke einer so vielseitigen Stadt wie Frankfurt geht. Einerseits Messestadt, Bankenstadt, Finanzstandort – Mainhattan. Andererseits auch etwa Designhauptstadt, große Oper, Museen. Wie sie die vielen Marken der Stadt Frankfurt zu einer Marke machen können, darüber denken Alicja Feltens, Präsidentin des Marketing Clubs Frankfurt und die Frankfurter Stadträtin Stephanie Wüst gemeinsam nach. Erstmals ist in der Mainmetropole jemand vom Stadtmarketing in einem Dezernat dabei, um an der Marke zu arbeiten.

 

Bad Orb is back und Boomtown

Doch Eindeutigkeit, die stark nach außen strahlt, kann auch ein Problem für eine Marke sein. Etwa, wenn das, wofür sie steht, passé ist. So gab die Gesundheitsreform von vor nun gut 20 Jahren Bad Orb den Todesstoß als Kurstadt. „Unser Ground Zero war, dass wir das Solebad schließen mussten“, berichtet Steffen Kempa, Geschäftsführer von Bad Orb Kur. Schlecht für alle Heilbäder, die Innenstädte und die Hotellerie. Dann sei seine Stadt auch noch „falschen Investoren auf den Leim gegangen.“

Den Wendepunkt brachte der Berufsbekleidungsanbieter Engelbert Strauss. Nicht sofort natürlich. „Ein Unternehmer kommt in eine behäbige Kurstadt mit Plan und Geld und trifft erstmal auf Bürokratie“, wirft Peter Tauber ein, Autor und Berater auch von Kempa. Kommunale Gremien. Bürgermeister. Bürgerbeteiligung. Berater Tauber hatte der Kurstadt für die Neuaufstellung als Tourismusmarke nicht nur Einigkeit und die Bereitschaft, neu zu denken empfohlen, sondern auch, Unternehmen als Partner einzubeziehen.

„Henning Strauss musste abwarten, bis wir klare Verhältnisse im Parlament und in der Verwaltung hatten“, gibt Kempa zu. „Wir mussten ja sicherstellen, dass es Vorteile auch für Bürger und Gäste hat.“ Der Fall schien irgendwann klar. Seither wird investiert. Ein großes Spa-Resort. Ein Golfplatz. Eine erste Studi-WG für die Auszubildenden und dual Studierende. Apartmenthäuser für Beschäftigte, Partner und Gäste im Resort.

So wurde aus der altbacken wirkenden Kurstadt nicht nur eine Tourismusmarke, sondern ein Wohn- und Anziehungsort für junge Familien. „Wir waren in Bad Orb immer sehr gut darin, uns schlechtzureden“, blickt Kempa zurück. „Wir mussten lernen, wie toll unsere Natur ist.“ Mittlerweile hat die Heimatstadt des gebürtige Bad Orbers ihren Altersschnitt gewaltig gesenkt. Vor allem Familien schätzen die Wohnqualität Bad Orbs. „Wir haben Natur, wir haben Vereine – die Leute wohnen gerne hier.“

Unabhängig von Gesundheitsministern jeder Couleur lernte Bad Orb außerdem, Gesundheit neu zu denken. Die Kurstadt begann, nach Sole zu bohren. „Das weiße Gold“ wie Kempa sagt, schwebte den Kurstadtverantwortlichen vor. Die Stadt investierte zwei Millionen Euro, um eine Quelle zu finden. „Das ist eine Menge Geld für eine kleine Stadt wie unsere“, erinnert Kempa. Lange fand sich nichts. Keine Sole. Dann setzte man ein Limit: 100 Meter bohren, nicht mehr. „Bei Meter 99 haben wir dann endlich Sole gefunden“, freut sich Kempa. Nun sind Heilbehandlungen möglich. Eine kleine Gesundheitsindustrie siedelt sich an. Ambulante chirurgische Operationen. Ein Badehaus mit Radiologie. Die Regionalmarke gewinnt an Facetten. „Bad Orb is back und Boomtown“, freut sich Kempa.

Das alte Narrativ der Messe Frankfurt ist auch das neue Narrativ

Von Städten wie Bad Orb oder auch Frankfurt können sich Unternehmer mit mehreren, vielleicht sehr unterschiedlichen, Sparten allerhand abgucken. Und daraus auch lernen, ihren Blick zu schärfen für Zusammenarbeit mit ihren Kommunen. Die bieten Raum für neue Geschäftsmodelle und außerdem die Chance, die eigene Marke in der Region zu verankern. „Das ist superwichtig für unsere Arbeitgebermarke“, weiß Melitta-Geschäftsführerin Roehrig. „Wer wollte vor zehn Jahren nach Minden?“ fragt sie. Heute finde Melitta wesentlich leichter Beschäftigte. „Begeisterte Mitarbeiter sorgen für Begeisterung“, pflichtet Anabel Ternès von Hattburg bei, Zukunftsforscherin und Autorin.

Auch die Messe Frankfurt musste sich neu erfinden. Und auch für das 800 Jahre alte Unternehmen löste eine Krise den Wandel aus. „Wir haben 1200 Messen abgesagt – oder verschoben und dann abgesagt“, erinnert sich Detlef Braun, Geschäftsführer des Unternehmens, an die ersten zwei Pandemiejahre. „Wir haben 80 Prozent Umsatz verloren und so von tiefschwarz auf tiefrot gedreht.“ Das Einzige, was sich noch bewegt habe, sei die Kehrmaschine gewesen. Ob die Leute nach der Pandemie wiederkämen, sei unklar gewesen.

„Wir haben Infrastruktur und Leute behalten und hybride Geschäftsmodelle etabliert“, erklärt Braun. Und dabei auch einiges über das eigene Markenversprechen gelernt. „Messe ist heute nicht mehr der Platz, an dem Geschäfte abgeschlossen werden“, beobachtet Braun. „Sie hat ihre Funktion als Orderplattform verloren.“ Doch ob hybrid oder präsent sei Messe der Ort für internationale Netzwerke. „Sie bekommen Einblick in Innovationsprozesse, die die Branche verändern“, sagt Braun. Messe sei heute eine Netzwerk- und Innovationsplattform. „Unternehmen richten ihre Innovationszyklen an Messezeitplänen aus“, sagt Braun.

So groß der Wandel der Messe und ihrer Funktion ist, so stabil bleibt ihr Markenkern. „Das alte Narrativ der Messe Frankfurt ist auch das neue Narrativ“, sagt Braun. „Wir realisieren unseren Revenue durch Begegnung.“

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