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Matcha-Boom stellt Japans Teeindustrie vor Herausforderungen

Von einem Kulturgut zur globalen Trendzutat – und warum Japans Teebauern darunter leiden.

Ein Barista bereitet kunstvoll Matcha zu – zwischen ästhetischem Ritual und globalem Lifestyle-Trend. (Foto: shutterstock)

Im Schatten glitzernder Matcha-Lattes, Instagram-tauglicher Eiswaffeln und Detox-Versprechen vollzieht sich in Japan eine stille Krise. Der weltweite Hype um das leuchtend grüne Teepulver hat den Matcha aus seiner jahrhundertealten Zeremonie befreit – und ihn zugleich in eine industrielle Massenware verwandelt. Was auf westlichen Märkten als Zen in der Tasse verkauft wird, führt vor Ort zu einem ökonomischen Ungleichgewicht, das die traditionelle Teeproduktion bedroht.

Wenn der Trend die Wurzeln vergisst

Matcha, fein vermahlener Grüntee, galt einst als Ausdruck ästhetischer Reduktion. In der japanischen Teezeremonie – chanoyu – war er nie bloß Getränk, sondern Teil eines rituellen Aktes der Achtsamkeit. Doch mit dem Aufkommen globaler Wellness-Trends wurde Matcha zum Superfood umetikettiert – Antioxidantien! Koffein! Detox! –, und sein kultureller Wert einem rein funktionalen Nutzen geopfert.

In den Regalen westlicher Supermärkte stehen heute farblose Billigprodukte, die kaum mehr sind als grünes Koffeinpulver. Oft stammen sie nicht einmal aus Japan, sondern aus China oder Vietnam.

Für Japans Teebauern bedeutet dieser Boom keineswegs ein stabiles Einkommen. Im Gegenteil: Die Nachfrage konzentriert sich auf eine winzige Auswahl an hochqualitativem Matcha aus wenigen Anbauregionen wie Uji oder Nishio. Kleinere Teebauern, die auf Sencha oder Bancha spezialisiert sind – Tees, die in Japan seit Generationen getrunken werden –, verlieren rapide Marktanteile. Ihre Produkte passen nicht ins Bild der globalen „Green Aesthetic“.

Der weltweite Absatz von Matcha wächst seit 2018 im Durchschnitt um mehr als fünf Prozent jährlich. Experten prognostizieren eine Steigerung des globalen Marktwertes von 2,9 Milliarden US-Dollar im Jahr 2023 auf 4,7 Milliarden Dollar bis 2028.

Herausforderungen für Japans Teeindustrie

Die Statistik ist ernüchternd: Der Inlandsverbrauch von traditionellem Grüntee ist in Japan seit Jahren rückläufig. Junge Menschen greifen lieber zu Kaffee oder abgefüllten Softdrinks. Gleichzeitig steigen die Exporte von Matcha – allerdings oft unter Preisverfall und mit Qualitätsverlust. Die industrielle Nachfrage, insbesondere aus den USA und Europa, fragt nicht nach den subtilen Umami-Noten eines handverlesenen Matcha erster Ernte, sondern nach Volumen und Farbintensität.

Die steigende Nachfrage überfordert zunehmend die japanischen Teebauern. Simona Suzuki, Mitbegründerin der Global Japanese Tea Association, erklärt gegenüber der Japan Times die Problematik: "Eine Maschine mahlt nur 40 Gramm Matcha." Diese geringe Produktionskapazität verdeutlicht die Schwierigkeit, den wachsenden Bedarf zu decken.

Hinzu kommt ein strukturelles Problem: Viele Teebauern finden keine Nachfolger für ihre Betriebe. Der demografische Wandel und die Landflucht in Japan verschärfen dieses Nachwuchsproblem. Die Zeitung The Japan Times sprach Anfang des Jahres sogar von einem "Matcha-Engpass".

Viele Produzenten geraten dadurch in eine gefährliche Abhängigkeit. Denn während hochwertiger Matcha arbeitsintensiv und kostenintensiv bleibt – die Beschattung der Teepflanzen, das Dämpfen, das Steinmahlen – setzen Großabnehmer zunehmend auf billigere Mischungen. 

 

Vom Teefeld zur Tasse: Der aufwändige Weg des Matcha

Die Matcha-Produktion ist ein zeitintensiver und komplexer Prozess. Vier Wochen vor der Ernte werden die Teepflanzen beschattet, was die Reifezeit verlängert und dem Tee seine charakteristische grüne Farbe verleiht. Nach der Ernte werden die Blätter gedämpft, getrocknet und sorgfältig selektiert. Nur das Blattfleisch ohne Stängel und Blattadern wird weiterverarbeitet.

Das getrocknete Material wird anschließend in Steinmühlen zu feinem Pulver zerrieben - ein Vorgang, der teilweise noch von Hand durchgeführt wird. Diese aufwändige Produktionsweise erklärt die hohen Preise: Hochwertiger Matcha kann mehrere Tausend Euro pro Kilogramm kosten.

Gesundheit im Fokus: Matcha als Superfood?

Der Matcha-Boom wird durch zahlreiche gesundheitliche Vorteile befeuert, die dem Tee zugeschrieben werden. Wissenschaftlich nachgewiesen ist der hohe Gehalt an Antioxidantien und Vitaminen sowie der im Vergleich zu Kaffee langsamer und nachhaltiger freigesetzte Teein-Gehalt. Zudem gilt Matcha als magenschonender als säurehaltiger Kaffee.

In sozialen Medien preisen Influencer Matcha als Wundermittel an. Behauptungen über positive Effekte bei Gewichtsreduktion oder in der Alzheimer- und Krebstherapie konnten bisher jedoch nicht durch klinische Studien belegt werden. Trotzdem trägt das Image als Superfood zur steigenden Popularität bei.

Fazit

Vielleicht braucht es eine neue Form von Tee-Aktivismus – eine Verbindung von Genuss und Bewusstsein. Der Matcha-Hype muss kein Verhängnis sein, wenn er zurückgeführt wird zu seinen Wurzeln.

Wer Matcha trinkt, trifft eine Wahl – nicht nur für den Geschmack, sondern für eine ganze Produktionskette. Wer Herkunft hinterfragt statt bloß Farbe zu bewundern, wer sich für direkt gehandelten Tee aus kleinbäuerlicher Produktion entscheidet, hilft mit, ein gefährdetes Kulturgut zu erhalten. Herkunftssiegel, Bio-Zertifikate und ein prüfender Blick aufs Etikett sagen oft mehr als jede Instagram-Rezension.

Auch Cafés, Feinkosthändler und Gastronomen sind gefragt. Statt auf den günstigsten Import zu setzen, können sie gezielt mit Produzenten in Japan kooperieren, Transparenz schaffen und aufklären. Qualität wird nicht durch Lautstärke vermarktet, sondern durch Haltung. Denn Matcha ist mehr als Pulver. Und Japans Teeindustrie verdient mehr als einen Platz im Schatten westlicher Trends.

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