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Mercedes kehrt Zulieferern den Rücken

„Unser Zielbahnhof heißt Null-Emissionen“.

Mercedes-Chef Ola Källenius lässt keinen Zweifel daran, dass der Stuttgarter Konzern langfristig in der E-Mobilität die Zukunft sieht.

Wann der Autobauer endgültig in den Bahnhof einfahren wird, lässt der großgewachsene Schwede allerdings offen. Doch eine wichtige Weiche ist gestellt. Im Stammwerk in Stuttgart-Untertürkheim hat Mercedes ein Technologiezentrum in Betrieb genommen, das künftig die Entwicklung aller wichtigen Komponenten für die E-Mobilität bündelt. Der Ort hat Symbolkraft: es ist ausgerechnet der Stammsitz des Konzerns, wo seit 1904 Komponenten für Verbrennermotoren produziert werden.

Insgesamt wird Mercedes laut Technikvorstand Markus Schäfer „mehrere hundert Millionen Euro“ investieren. Auch bei der Zahl der Mitarbeiter bleibt Mercedes wage. Offiziell ist von mehreren Hundert die Rede. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung der künftigen Batterien. Sie gelten in der Elektromobilität als das eigentliche Herzstück dieser Antriebsform. Mercedes will vor allem die einzelnen Chemiebestandteile mitentwickeln und beherrschen. „Sie machen 75 Prozent der Kosten einer Batterie aus“, erklärt Schäfer. Aber auch die einzelnen Fertigungsschritte sollen von Mercedes entwickelt und an die Partner ACC und CATL vorgegeben werden.  Insgesamt wollen die Stuttgarter die Gesamtkosten für eine Batterie „um mehr als 30 Prozent senken“, betont Schäfer. Entwickelt werden auch Technologien, um die einmal produzierten Batterien zu recyceln. Mit „virtuellem Mining“ umschreibt Schäfer das Ziel: Eines Tages ganz auf neue Rohstoffe verzichten zu können.

Mercedes beginnt mit einer bereits selbst entwickelten Batterie zusammen mit den Spezialisten ACC mit einer ersten Fertigung in Frankreich. Der Speicher all dem neuen CLA eine Reichweite von 750 Kilometern ermöglichen. Die neue Fahrzeuggeneration benötige weniger als zwölf Kilowattstunden je 100 Kilometer für Laden und Fahren. Die eigentliche Strecke koste dann nur noch drei Euro, rechnet der Technikchef vor. Doch auch für die anderen Modelle übernimmt Mercedes wichtiger Schritte der Batteriefertigung schon heute. In Stuttgart und Kamen werden bereits alle Batterie-Packs zu ganzen Speichern endmontiert, um auch diesen schritt in den eigenen Reihen zu wissen. Mit der Batteriefertigung wagt sich der Autokonzern in eine völlig neue Welt vor, die nicht so flexibel auf Marktschwankungen reagieren kann. „Die Beschichtung der Katoden darf nie stehen bleiben“, betätigt Schäfer. Das heißt: So eine Fabrik muss Tag und Nacht laufen und die Endprodukte harren dann eines Abnehmers. So kooperieren die Stuttgarter beispielsweise mit Stellantis.

Doch aus dem Untertürkheimer E-Campus soll noch mehr hervorgehen. Mercedes entwickelt hier alle Bestandteile rund um den E-Antriebsstrang. Gemeint sind Batterie, Leistungselektronik, Software, E-Achsen und der Elektromotor selbst. „Wir steigen hier wesentlich tiefer ein als beim Verbrennungsmotor“ betont Schäfer. Die Stuttgarter wollen so in allen Bereichen die Kosten für ein E-Fahrzeug beeinflussen und möglichst drücken. „Die sind heute noch wesentlich höher als beim Verbrenner“, erklärt Schäfer. Das bedeutet konkret: Mercedes fertigt künftig wesentliche Teile des künftigen Autos wieder selbst, statt sie wie bisher von Zulieferern zu beziehen. „Das verändert die Lieferbeziehung“, räumt Schäfer ein. So sei nun mal der Wettbewerb.

Die Zulieferer dürften den Kurswechsel von Mercedes als eine Kampfansage verstehen. Große Unternehmen wie Bosch, Mahle oder ZF haben in den vergangenen Jahren hohe Beträge in die Fertigung von Produkten für die Elektromobilität investiert. So hat Mahle seine E-Motoren auch an Mercedes geliefert. Das ist nun vorbei. Im neuen CLA kommt ein Antrieb aus dem eigenen Haus zum Einsatz. Michael Häberle, Stellvertretender Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates, sieht in der Strategie des Konzerns eine Absicherung der eigenen Arbeitsplätze. Der Vertretung der Belegschaft quält schon lange die Erkenntnis, dass für die Produktion von „Stromer mit Stern deutlich weniger Menschen benötigt werden. „Antriebe müssen aus Untertürkheim kommen“, betont er deshalb. Und wenn eines Tages Mercedes fliegen sollen, kommen die Düsen von hier.“ Es sei nicht einfach, den technologischen Wandel den Kollegen zu vermitteln. Drum brauche es Zuversicht und den Willen etwas Neues wagen zu wollen.

Diesen Mut wünscht auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Die Autoindustrie des Landes sei immer der entscheidende Schrittmacher gewesen. Mit dem E-Campus werde der Weg für neuen Innovationen bereitet, damit der erreichte Wohlstand auch erhalten werden kann. Die Forschungseinrichtung hat sich bis nach Berlin herumgesprochen. So verfolgt auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Eröffnung vor Ort. Es sei wichtig am eingeschlagenen Kurs hin zur Elektromobilität festzuhalten. „Eine Achterbahnfahrt der Politik führt am Ende nur an den Ausgangspunkt zurück. Deshalb habe die Bundesregierung im neuen Haushaltsentwurf auch eine neue Förderung von E-Dienstwagen bis zum Preis von 95.000 Euro geplant. Die soll bis 2028 gelten. Er hoffe, dass dies für einen neuen Impuls sorgen werde.
Konzernchef Källenius hält ebenfalls am eingeschlagenen Kurs fest. Allerdings hat er den Verbrenner längst nicht mehr auf die Resterampe gestellt wie noch vor einem Jahr. „Wir entwickeln beides bis in die 30er Jahre weiter“, lautet die neue Losung aus der Stuttgarter Konzernzentrale. Doch als eine Abkehr der bisherigen Pläne will Källenius das nicht verstanden wissen. Mercedes sehe in der Elektromobilität den Antrieb der Zukunft. Dem E-Campus, der in Sichtweite von Källenius‘ Vorstandsbüro nun den Betrieb aufnimmt, gibt der Konzernchef ein Motto vor, das er aus dem benachbarten Fußballstadion entnommen hat: „Chance nutzen und auf Sieg spielen.“

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